Politik

Andrej Hunko: Bundesregierung muss Spionage durch türkischen Geheimdienst beenden

Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages der Partei Die Linke, kritisiert das Vorgehen des türkischen Geheimdienstes in einem Interview mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.
01.08.2017 14:24
Lesezeit: 2 min

Der türkische Geheimdienst sammelt einem Zeitungsbericht zufolge verstärkt Informationen über deutsche Politiker. Im Visier stünden Innen-, Außen- und Verteidigungspolitiker des Bundestags, berichtete Die Welt am Mittwoch. Das Bundeskriminalamt (BKA) habe dazu mit einigen Abgeordneten sogenannte Sicherheitsgespräche geführt und über eine solche Gefährdungssituation gesprochen.

Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages der Partei Die Linke, kritisiert das Vorgehen des türkischen Geheimdienstes in einem Interview mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

DWN: Wie würden sie die Gefährdungssituation für Bundestagsabgeordnete und Bürger einschätzen?

Andrej Hunko: Dass der türkische Geheimdienst auch Bundestagsabgeordnete abhört, ist ein Skandal und stellt einen Angriff auf ein Verfassungsorgan Deutschlands dar, der nicht zu tolerieren ist. Zugleich verwundert es angesichts der systematischen und massenhaften Menschenrechtsverletzungen durch den türkischen Staat nicht, dass er auch zu diesem Mittel greift. Dennoch schätze ich die Gefahr physischer Angriffe auf Abgeordnete durch den MİT als gering ein. Bei Reisen in die Türkei kann dies jedoch anders aussehen. Hierzulande sind eher durch die Erdoğan-Regierung Fanatisierte ein Problem. Natürlich genießen Abgeordnete mehr Schutz als Bürgerinnen und Bürger, weshalb ich befürchte, dass die Gefährdung für sie größer ist. Hier sind die Behörden gefragt, endlich zu handeln und die Aktivitäten türkischer Geheimdienste in Deutschland nicht weiter zu dulden.

DWN: Welche Maßnahmen können die Betroffenen treffen, um sich zu schützen?

Andrej Hunko: Natürlich sollte man versuchen, sich durch sichere Kommunikation soweit wie möglich gegen Spähangriffe zu schützen. Diese kommen ja nicht nur aus der Türkei. Darüber hinaus können Abgeordnete durch die deutsche Polizei geschützt werden, wenn dies nötig ist. Für Bürgerinnen und Bürger, die ins Visier des MİT geraten sind, ist dies natürlich schwieriger. Ich fordere die Bundesregierung und die Behörden auf, die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland unverzüglich zu unterbinden und die Sicherheit aller hier lebenden Menschen zu garantieren.

DWN: Kommen die deutschen Sicherheitsbehörden ihrer Schutzfunktion gegenüber den betroffenen Bundestagsabgeordneten nach?

Andrej Hunko: Ja, hier sehe ich kein Problem. Wer Unterstützung beantragt, erhält sie auch. Ich selbst hatte Kontakt zum BKA als ich Drohanrufe bekam, nachdem Erdoğan mich im Fernsehen als Terroristen-Unterstützer diffamiert hatte.

DWN: Ist davon auszugehen, dass deutsche Bundestagsabgeordnete auch Spionageziele weiterer ausländischer Geheimdienste sind?

Andrej Hunko: Mit Sicherheit. Gerade ist der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Ende gegangen, der sich mit der massenhaften Ausspähung durch US-Geheimdienste beschäftigt hat. Es ist ja bekannt, dass sogar die Kanzlerin Ziel der Spionage war. Ich bin mir sicher, dass dies nur die Spitze des Eisbergs war und dass noch wesentlich umfassender und durch Geheimdienste anderer Länder spioniert wird – auch gegen Abgeordnete. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir die Rolle von Geheimdiensten als eine Gefahr für die Demokratie sehen.

DWN: Erwarten Sie eine Eskalation der deutsch-türkischen Beziehungen im Zusammenhang mit dem aktuellen Spionage-Skandal, oder ist eine Lösung möglich?

Andrej Hunko: Eine Eskalation erwarte ich nicht. Die deutsche Bundesregierung sieht die Türkei als strategische Partnerin und hat gezeigt, dass sie für diese Partnerschaft bereit ist, bei den gravierendsten Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen wegzuschauen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie diese Politik aufgibt. Zuletzt sind aber Risse im deutsch-türkischen Verhältnis sichtbar geworden, zum Beispiel beim Auftrittsverbot für Erdoğan oder der Verlegung der Bundeswehr von Incirlik nach Jordanien. Wir fordern jedoch konsequentere Schritte, bspw. die Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen und der Zahlung der sogenannten EU-Heranführungshilfen sowie ein Ende der Kooperation im militärischen, polizeilichen und geheimdienstlichen Bereich.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Putins Frontstopp: Moskaus neues Angebot könnte Trump in die Falle locken
23.04.2025

Putins überraschende Gesprächsbereitschaft trifft auf strategisches Kalkül in Washington – der Westen steht vor einer geopolitischen...

DWN
Politik
Politik Bye bye, Washington: Elon Musk will erstmal Tesla retten
23.04.2025

Elon Musk zieht sich zunehmend aus Washington zurück – und verspricht dafür Millionen autonomer Teslas. Doch die Zweifel an seiner...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft China in der Zwickmühle: Handelskrieg trifft Arbeitsmarkt – Millionen Jobs in Gefahr
23.04.2025

Die chinesische Wirtschaft wächst – zumindest auf dem Papier. Doch der Schein trügt. Hinter den offiziellen Zahlen verbirgt sich ein...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Zölle treffen Chinas digitale Angriffsstrategie ins Mark: Temu und Shein vor Rückzug aus dem US-Markt
23.04.2025

US-Zölle beenden Chinas E-Commerce-Expansion – Temu und Shein geraten ins Wanken, Europas Märkte droht eine neue Importwelle.

DWN
Panorama
Panorama Frankreich: Luxusimmobilien machen das Land zum neuen Hotspot der Superreichen
23.04.2025

Frankreich, einst als Kulturnation verehrt, wird nun zunehmend zum globalen Epizentrum des Luxuskapitals. Wie aus dem aktuellen Bericht von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftliche Eskalation durch Trump-Zölle: Kommt jetzt die Wende für Europa?
22.04.2025

Zwei der einflussreichsten Ökonomen der Welt – Lawrence Summers und Olivier Blanchard – schlagen Alarm: Donald Trumps aggressiver...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Weltwirtschaft: IWF warnt vor Folgen von Trumps Zollpolitik
22.04.2025

Trumps neue Zolloffensive sendet Schockwellen durch die Weltwirtschaft. Der IWF sieht die globale Konjunktur in der Krise und senkt seine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Preis der Führungsdiplomatie: Zwischen Beziehung und Ergebnis
22.04.2025

Harmonie und Klarheit: Warum effektive Führung mehr verlangt als nur gutes Zuhören – und wie man den Spagat meistert.