Volkswirte rechnen nach einer Reuters-Umfrage mehrheitlich erst für den Oktober mit einem Schritt der EZB in Richtung Eindämmung der Geldflut. Nach den Ergebnissen der Erhebung erwarten 46 der 66 befragten Ökonomen – das sind fast 70 Prozent – dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Oktober eine monatliche Verringerung ihrer billionenschweren Anleihekäufe ankündigen wird. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die Euro-Wächter ab Januar 2018 nur noch Wertpapiere im Volumen von 40 Milliarden Euro je Monat erwerben. Bislang sind es 60 Milliarden Euro.
Nur 15 Ökonomen rechnen damit, dass die EZB bereits auf ihrer Sitzung am nächsten Donnerstag in Frankfurt eine Reduzierung der Transaktionen verkündet. Fünf Experten erwarten einen solchen Schritt erst für die Ratssitzung im Dezember. Die große Mehrheit der Ökonomen – 58 von 63 Volkswirten – geht davon aus, dass die EZB die monatlichen Käufe bis Ende 2018 auf null absenken wird. Reuters befragte Volkswirte vom 28. bis 31. August zu ihren Erwartungen.
Seit März 2015 erwerben die EZB und die nationalen Euro-Notenbanken im großen Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere. Mit den Käufen wollen sie die Konjunktur anfeuern und für mehr Inflation im Euro-Raum sorgen. Im August zogen die Verbraucherpreise um 1,5 Prozent an – Ziel der EZB ist aber eine Teuerung von knapp unter zwei Prozent. Das Anleihenkaufprogramm soll nach den bisherigen Planungen noch bis mindestens Ende Dezember laufen und dann ein Gesamtvolumen von 2,28 Billionen Euro erreichen.
Der Hauptzweck des Anleihe-Kaufprogramms dürfte allerdings darin liegen, die Finanzierungszinsen der überschuldeten Eurostaaten an den globalen Kapitalmärkten zu senken. Indem die EZB als potentieller Käufer der Schuldscheine mit praktisch unbegrenzter Liquidität in Erscheinung tritt, werden die Renditeforderungen der Geldgeber gedrückt und die Regierungen der betroffenen Staaten können sich günstiger verschulden.
Weil viele überschuldete Staaten in Europa praktisch von den permanenten Interventionen der EZB auf dem Anleihemarkt abhängig geworden sind, gestaltet sich ein Rückzug der Zentralbank aus dem Programm schwierig und könnte zu Verwerfungen an den Finanzmärkten und einer deutlichen Erschwerung der Staatsschulden einiger Länder führen. Aus diesem Grund deutete EZB-Präsident Mario Draghi bereits an, den Rückzug durch Re-Investitionen von Anleihegeldern zu dämpfen.
EZB-Chef Mario Draghi und seine Ratskollegen hatten im Juni angesichts der sich festigenden Erholung im Euro-Raum einen ersten Mini-Schritt Richtung Kurswende gewagt. Daraufhin kam es an den Finanzmärkten – die offensichtlich ebenfalls von geldpolitischen Stützungen der Zentralbanken abhängig geworden sind – zu Spannungen.
Auch EZB-Vizepräsident Vitor Constancio deutet an, dass die Ziele der Zentralbank noch nicht erreicht seien. Damit könnte Beobachtern eine vorsichtigere Vorgehensweise angedeutet werden. Zwar sei die wirtschaftliche Erholung im Währungsraum inzwischen breiter geworden und habe sich mehr gefestigt, sagte der Stellvertreter von EZB-Chef Mario Draghi am Freitag auf einer Veranstaltung im italienischen Cernobbio laut Redetext. Die starke Phase eines weltweiten Wiederanstiegs der Inflation, die zu Jahresbeginn noch wahrscheinlich schien, sei aber nicht eingetreten. „Deshalb sind die Aufgaben, die Inflation und die Arbeitslosigkeit auf akzeptable Niveaus zu normalisieren, weiterhin schwierig“, sagte Constancio.