Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Jackson Hole haben sich die Zentralbanker getroffen – man hatte den Eindruck von erheblicher Ratlosigkeit. Stimmt das, oder sind die Damen und Herren nicht einfach sehr abgebrüht?
Markus Krall: Ich glaube, dass den Herrschaften Zentralbankern allmählich aufgeht, dass ihre Experimentierlust und ihr Wille zur monetären Staatsfinanzierung sie in eine aussichtslose Lage manövriert haben. Man hat mit dieser Politik gigantische Ungleichgewichte geschaffen, die nach Entladung drängen. Das größte davon dürfte sich die EZB geschaffen haben. Ihre Politik hat die Anreize für ein Ende der ungebremsten Schuldenmacherei in Südeuropa abgeschafft und zugleich mit der Nullzinssubvention seit Jahren ineffiziente und unproduktive Unternehmen am Leben gehalten. Diese Zombies gehen nicht mehr Pleite, weil sie ihre Kapitalkosten nicht mehr verdienen müssen. Sie sammeln sich still und leise in der Volkswirtschaft an und das hat Folgen: Sie verseuchen die Kreditportfolien der Banken mit schlechtem Kredit, weil ihre Pleite ja nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben ist. Werden diese Pleiten eines Tages, zum Beispiel ausgelöst durch eine Zinswende, nachgeholt, dann sprengen die Verluste das Bankensystem in Europa in die Luft. Nach meiner Schätzung kommen zu den 1.000 Milliarden Euro an ausgefallenen Krediten, die Herrn Enria von der EBA vor einigen Wochen zugegeben hat nochmals mindestens 1.500 Milliarden Euro an Krediten, deren Ausfall dann nachgeholt wird. Dafür haben die Banken keinerlei Risikovorsorge als Reserven angelegt.
Die Zentralbanken haben sich also ein Loch gegraben, das über ihnen einstürzt, wenn sie versuchen herauszuklettern. Es ist unfreiwillig komisch, dass sie sich in einem Ort namens Jackson Hole treffen, was so viel wie Jackson Loch heißt, um ihre Lage zu beraten, fast als wollten sie dokumentieren, dass sie in einem Loch sitzen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann das Zögern von Yellen auf die Erkenntnis zurückzuführen sein, dass es um das globale Finanzsystem doch nicht so gut bestellt ist wie stets behauptet wird?
Markus Krall: Genau so sehe ich das. Yellen hat die Zinsen um gerade mal 0,25% erhöht und was stellt sie fest: Dass in den Sektoren, in denen ihre jahrelange Nullzinspolitik die Bereinigung verhindert hat, jetzt die Pleiten nachgeholt werden. Das muss man sich mal vorstellen! Eine winzige Zinserhöhung und in einigen Sektoren, wie zum Beispiel dem Einzelhandel kippen die Unternehmen in den USA wie die Fliegen. Dabei hat sie im Vergleich mit Herrn Draghi noch zwei Vorteile: Sie präsidiert nicht über eine fehlkonstruierte Währungsunion, sondern über eine richtige Währung und sie hat ein Bankensystem, dass durch die spezifischen Bedingungen in den USA seit Jahren wieder richtig Geld verdient und so Polster für die Krise ansammeln konnte. Kratzspuren in den Bilanzen wird es aber dennoch geben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie unterscheidet sich die Lage bei den US-Banken von jenen in der EU?
Markus Krall: Die US-Banken genießen gegenüber ihren europäischen Wettbewerbern gleich mehrere Vorteile: Die Fed hat zwar auch eine extreme Niedrigzinspolitik betrieben, sie hat jedoch darauf geachtet, die Zinsstrukturkurve mit einer Steigung zu belassen. Dadurch konnten die US-Banken im Gegensatz zu ihren Peers in der EU weiterhin Fristentransformationsgewinne bei überschaubarem Zinsänderungsrisiko einstreichen. Zweitens ist das US-Retailbankensystem sehr viel oligopolistischer strukturiert, als hierzulande. Damit können die Banken dort höhere Margen und Gebühren durchsetzen, was ihrer Profitabilität ebenfalls zugutekommt. Drittens ist die US-Wirtschaft wesentlich weniger vom Bankkredit abhängig, als die Europäische, weil ein viel größerer Teil der Finanzierung über die Kapitalmärkte läuft. Die Investmentbanken verdienen an diesem Produkt bei vergleichswiese geringeren Risiken, weil sie die Kredite nicht auf ihr eigenes Buch nehmen.
Das Ergebnis sind höhere Erträge, damit sehr viel bessere Cost-Income-Ratios und das schlägt sich in den Bewertungen der Bankaktien an der Börse nieder. Dort liegen die Börsenwerte der Banken über ihren Buchwerten, während EU-Banken mit Preis-Buch-Ratios von unter 50% herumdümpeln, was ihre Möglichkeiten, an den Märkten frisches Kapital aufzunehmen deutlich erschwert. Das macht sie nicht gerade krisenfester.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem Buch „Der Draghi-Crash“ sagen Sie einen Zusammenbruch des europäischen Banken-Systems mit unabsehbaren Folgen vorher. Was kann einen solchen Crash auslösen?
Markus Krall: Die Wurzel dieses Problems liegt in dem oben erwähnten Phänomen der Zombieunternehmen. Vor der Krise 2007 konnte man beobachten, dass jedes Jahr 1,5% - 2% der Unternehmen pleite machten und damit aus dem Wirtschaftsgeschehen ausschieden. Das ist Ausdruck eines für Innovation, Fortschritt, Produktivitätswachstum und damit Wirtschaftswachstum notwendigen Prozesses, nämlich der Schumpeter’schen kreativen Zerstörung. Der Nullzins verhindert diese Pleiten zu einem großen Teil, weil er die Fremdkapitalkosten auf Null reduziert. Diese Subvention hält eigentlich tote Unternehmen am Laufen. Die Zahl der Pleiten ist zum Beispiel in Deutschland kontinuierlich auf zuletzt ein halbes Prozent gesunken. Jedes Jahr akkumulieren wir so mehr und mehr „Zombies“. Sie binden Kapital, Humankapital und Arbeit in ineffizienten Verwendungen und verhindern so das Wachstum.
Wenn eine externe Störung die Tragfähigkeit dieser Unternehmen überschreitet, dann werden diese Pleiten nachgeholt. Das kann eine Zinserhöhung sein, was der Grund für die Bewegungsunfähigkeit der Zentralbanken ist. Es kann aber auch eine andere konjunkturelle Störung sein, wie zum Beispiel eine Konjunkturkrise in China mit einem entsprechenden Einbruch der Exportnachfrage und einer nachfolgenden konjunkturellen Störung in Deutschland. Es kann auch ein Platzen der durch den Nullzins geschaffenen Blasen sein, die uns die Asset Inflation bei Immobilien und Aktien beschert hat. Diese wiederum können von unterschiedlichsten Risiken, einschließlich der sich zur Zeit bedrohlich entwickelnden geopolitischen Risiken ausgelöst werden.
Kommt die Pleitenwelle erst einmal in Gang, so wird sie einen sich selbst verstärkenden Prozess auslösen. Pleiten erzeugen Arbeitslosigkeit, Kreditausfälle und Kollateralschäden bei den Geschäftspartnern der fallierenden Unternehmen. Der Zeitraum zwischen dem Beginn einer solchen Entwicklung und dem Beginn einer Bankenkrise könnte also sehr kurz sein.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sagen, dass die EZB die Hauptverantwortung trägt. Die EZB hat allerdings immer aktenkundig gemacht, dass sie nur den Staaten „Zeit kaufen“ will – hätten daher nicht die Regierungen handeln müssen?
Markus Krall: Der Satz vom Zeit kaufen ist eigentlich der Offenbarungseid dieser ganzen Politik. Die EZB hat ihn als Alibi für ihre illegale Staatsfinanzierung benutzt ohne dabei zu bedenken, dass sie damit erstens alle Anreize für eine Konsolidierung der südeuropäischen Staatsfinanzen abgeschafft hat und zweitens ignorierend, dass dieser Satz doch ganz konkret eine Aussage macht, die lautet: Wir verschaffen den Regierungen finanzielle Spielräume, die sie sonst nicht hätten. Wenn das nicht das Eingeständnis der illegalen Staatsfinanzierung ist, dann weiß ich nicht, was Herr Draghi sagen müsste, um es zu Protokoll zu geben, dass das Handeln der EZB illegal ist.
Die Vorstellung, die Regierungen könnten diese erkaufte Zeit im Sinne einer Konsolidierung der fiskalischen Lage nutzen, zeigt im Übrigen nur die Ignoranz der Akteure hinsichtlich des Moral Hazard den sie damit schaffen. Genauso gut könnte man einem Heroinabhängigen einen Vorrat seiner Droge schicken, damit er Zeit kaufen kann, ohne Entzugserscheinungen von ihr loszukommen. Jedem, der sich je mit der Frage ökonomischer Anreize und politischer Ökonomie befasst hat ist klar, dass das grober Unfug ist. Nein, die Sache verhält sich anders: Wir haben mit der undemokratischen und von den Folgen des eigenen Handelns entkoppelten Stimmrechtsverteilung im EZB Rat dem Hund die Schlüssel für den Wurstvorrat in die Hand gedrückt. Hier wird nicht Zeit gekauft, hier wird der Vorrat geplündert in dem vollen Wissen, dass man den Untergang der Währung riskiert.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie erinnern an einen der Gründe für das Entstehen der Finanzkrise: Die US-Regierung zwang Freddie Mac und Fannie Mae, den Banken die Hypothekenpapiere abzukaufen. Sehen wird da im Anleihen-Ankauf-Programm eine Parallele – und wie kann das Programm enden?
Markus Krall: Diese beiden Themen sind nur bedingt miteinander zu vergleichen. Die Hypothekenkrise basierte darauf, dass man Marktakteuren durch staatliche Eingriffe und falsche Regulierung marktwidrige und damit falsche Anreize setzte. Das hat letztlich die Katastrophe von 2007/08 programmiert. Das Kaufprogramm der EZB schafft das Ungleichgewicht ohne den Umweg über die Marktakteure, indem es die Zentralbank nicht nur zum größten, sondern zum bestimmenden Marktakteur macht, der kraft der Druckerpresse alle Marktpreise nach seinem Willen manipuliert. Deshalb gibt es auch gar keinen Marktzins mehr. Was wir haben ist ein reiner Manipulationszins. Hatten wir also im ersten Fall eine Marktstörung, sehen wir jetzt eine komplette Aushebelung des Marktes, gewissermaßen die monetäre Planwirtschaft, die sich aus der Hybris der Zentralbank nährt, es besser zu wissen als der Markt. Wer seinen Böhm-Bawerk gelesen hat, der weiß, dass das nicht gut gehen wird.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was – wenn man so will – „gut gemeint“ ist, kann aber unbeabsichtigt sehr negative Konsequenzen haben: Wie würde sich ein Crash auf Arbeiter, Sozialhilfeempfänger und Sparer auswirken?
Markus Krall: Die Folgen werden katastrophal sein. Es wird der sprichwörtliche kleine Mann sein, der diese Zeche bezahlt. Arbeitnehmer werden durch die Pleitewelle die Folgen zuerst und am härtesten spüren, indem die Arbeitslosigkeit Höhen erklimmt, die Europa seit den 30er Jahren nicht gesehen hat. 10% aller Unternehmen sind heute Zombies, sie beschäftigen auch ca. 10% aller Arbeitnehmer. Besonders hart wird es die jungen Familien treffen, die eine Immobilienfinanzierung zu bedienen haben und die ihr Haus in einem fallenden Markt notverkaufen müssen.
Sozialhilfeempfänger werden erst in der zweiten Welle darunter leiden, nämlich dann, wenn die Staatsfinanzen in Deutschland ins Rutschen kommen und ihre Transfers nicht mehr finanzierbar sein werden.
Die Sparer, die in Deutschland eine große Schnittmenge mit den Arbeitnehmern haben, werden über gewaltige Verluste bei den Sparprodukten zur Kasse gebeten werden, das betrifft Lebensversicherungen, Pensionskassen, Sparkonten, Aktienfonds, Immobilienwerte.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie schreiben, dass Deutschland wegen der Geldpolitik der EZB der „größte Hedgefonds der Welt“ ist. Wie ist das zu verstehen?
Markus Krall: Deutschland hat als Ergebnis der Konstruktion des Euro, der Eurorettungspolitik und des Anlageverhaltens seiner großen institutionellen Investoren als Land ein Risikoportfolio, das in dieser Form in der Welt einmalig ist. Dabei ist es nicht die Tatsache an sich, dass ein Land Risiken trägt, die Anlass zur Sorge gibt. Es sind vielmehr die gewaltige Größe der Risiken einerseits und ihre Korrelation durch einen gemeinsamen Risikotreiber, der diese Risiken für das Land eigentlich untragbar macht. Dieses Risikoportfolio setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Den Staatsanleihen der südlichen und überschuldeten EU-Länder in den Büchern der Investoren, hier vor allem von Versicherungen, Pensionsfonds und ähnlichen Vehikeln, den Krediten, die die Bundesregierung im Zuge der Eurorettungsaktionen insbesondere an Griechenland ausgereicht hat und die man bei klarem Verstand leider als uneinbringlich abschreiben muss und die Target-2 Salden der Bundesbank, die nichts anderes sind als ein zinsloser, unbesicherter, unlimitierter und nicht rückzahlbarer Kredit an die anderen Zentralbanken im Eurosystem und die sich per Ende Juli auf 857 Milliarden Euro aufsummierten.
Diese drei Teile haben einen gemeinsamen Faktor, der die Risiken schlagend werden lässt, wenn er eintritt: Es ist dies das Ende des Euro. Mit anderen Worten: Das sind drei Wetten auf den Fortbestand des Euro und wenn er nicht gerettet werden kann, treten die Verluste ein. Sie summieren sich auf über 2.000 Milliarden Euro, also etwa die Hälfte des Nettogeldvermögens der deutschen Bürger. Ich bin gespannt darauf, wie die Bundesregierung diese Abschreibung den Wählern erklären wird, wenn der Fall eintritt. Und eintreten wird er, wenn die nachgeholte Pleitenkrise der Zombieunternehmen Europa mit voller Wucht trifft.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie erklären, dass die Stresstests der EZB nicht die wahren Probleme der Banken adressieren. Welche sind das – und warum werden sie nicht adressiert?
Markus Krall: Die von der EBA im Tandem mit der EZB, bzw. der in die EZB eingegliederte europäische Bankenaufsicht SSM durchgeführten Stresstests sind schon von ihrem methodischen Ansatz her nicht geeignet, die Risikosituation der Banken zu verstehen. 60 – 80% des Gesamtrisikos einer Bank liegt im Kreditportfolio begründet. Um es zu messen, benötigen Sie Instrumente, die jeden einzelnen Kredit mit hoher Qualität und Trennschärfe einem internen Rating unterziehen. So etwas haben die Banken in Europa im Prinzip als sogenanntes internes Rating entwickelt. Das sind statistische Verfahren, die es erlauben, jedem Kreditnehmer eine Kreditausfallwahrscheinlichkeit zuzuordnen. Das Problem: Die Qualität dieser Verfahren ist über Europa verteilt sehr unterschiedlich. Und die Unterschiedlichkeit der Verfahren und ihre sehr heterogene statistische Validierung verhindern es, dass die Ergebnisse der Bankenratings untereinander sauber vergleichbar sind. Das fängt schon damit an, wie man einen Ausfall definiert. Was in Hamburg ein Kreditausfall ist, mag in Sizilien oder Athen normales Zahlungsverhalten sein.
Um also die Kreditrisiken wirklich zu verstehen, müsste die Bankaufsicht statistisch validierte Verfahren entwickeln, die über ganz Europa hinweg einheitliche Maßstäbe und Messungen ermöglichen. Das hat sie aber nicht. Die Aufsicht wusste von Anfang an, dass es ohne so ein System, wie man es von jeder Bank in Europa für die eigenen Portfolien verlangt, nicht funktionieren wird. Dennoch hat sie auch fast 5 Jahre nach Ihrer Gründung noch nicht mal damit angefangen. Stattdessen hat sie gedacht, wenn sie nur genug Berater und Wirtschaftsprüfer mit dem Job betraut, wird schon irgendwas Taugliches dabei rauskommen.
Das Ergebnis sind vier in Reihe an den Klippen der Realität zerschellte Stresstests, die in jedem einzelnen Fall durch die Ereignisse kurz nach der Veröffentlichung der Ergebnisse ad absurdum geführt wurden.
Zudem heißt Stresstest ja nicht nur, den aktuellen Risikogehalt eines Bankportfolios zu verstehen. Es bedeutet auch, die Wirkung von kritischen Szenarien zu testen. Ein solches wäre zum Beispiel die Wirkung der Nullzinspolitik, die – das habe ich in meinem Buch detailliert demonstriert – die größten Verwüstungen in den Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Banken anrichtet. Die EZB bzw. EBA und SSM weigerten sich aber beharrlich, die katastrophale Wirkung der Geldpolitik als Szenario in ihrem Stresstest zu untersuchen. Das ist ja klar, dass man das nicht macht, weil es den Interessenkonflikt offenbar machen würde, der darin liegt, die EZB mit der Aufsicht über die Banken zu betrauen. Und selbst wenn man es hätte untersuchen wollen: Mit den Mitteln und der Betriebsblindheit, die den Betriebszustand dieser neuen Bürokratie definieren, hätte man es wohl auch nicht hinbekommen oder so manipuliert, dass der offensichtliche Zusammenhang geleugnet wird.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann die neue europäische Regulierung, der Bail-in, eine Lösung sein, wenn eine Bank vor der Pleite steht?
Markus Krall: Die Bail-in Lösung ist grundsätzlich eine gute Idee, weil sie dem Markt Raum verschafft. Der Anleger oder Sparer soll sich Gedanken machen über die Risiken der Bank, der er sein Geld anvertraut. So entstehen für alle Beteiligten die richtigen Anreize. Die Bank erhält so einen Anreiz für mehr Risikotransparenz, der Anleger für genaues Hinsehen.
Soweit die Idee. Der guten Umsetzung stehen aber leider zwei Hindernisse entgegen: Wie das Beispiel Italien zeigt, wird die Bail-in Lösung von den gleichen Interessen ausgehebelt, die auch sonst Regelbindung für eine spleenige germanische Idee halten. Drei Bankpleiten in Italien (die der Stresstest übrigens nicht vorausgeahnt hat) wurden unter Verletzung dieses Prinzips allein in diesem Jahr mit Steuergeld aufgefangen. Nur für eine, in Spanien, fand sich eine Lösung ohne Steuergeld, weil offenbar noch genug Substanz da war, dass ein private Bank, Santander, in die Rolle des Retters geschlüpft ist. Mit diesem Verhalten verbunden ist das zweite Problem: Wenn die Marktteilnehmer, Banken und Sparer, nicht daran glauben, dass es mit dem Bail-in ernst ist, wird auch keiner sein Verhalten ändern, weder bei der Transparenz, noch bei der Risikoselektion der Wahl der Bank für das Ersparte.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Bisher wurde die europäische Gesetzgebung außer in Spanien ausdrücklich nicht angewendet – in Italien haben wieder die Steuerzahler die Banken gerettet, im Falle de MPS mit Milliarden-Verlust. Ist die EU in der Frage der Banken-Union gescheitert, oder sind das bloß Anfangsschwierigkeiten?
Markus Krall: Nein, das sind keine Anfangsschwierigkeiten, es sind vielmehr Beispiele, die zeigen, dass es den Verantwortlichen nicht ernst ist mit einer marktwirtschaftlichen Lösung. Die Bankenunion ist schon gescheitert, auch wenn ihre Bürokratie noch wächst, wie ein Krebsgeschwür. Mehr als Papier und Absichtserklärungen wird sie nicht mehr erzeugen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Hängen die doch rapide fortschreitenden Reduktion und Abschaffung von Bargeld mit der Krise zusammen? Wenn das Geld im System verbleiben muss, dann kann es ja beliebig zu Rettung herangezogen werden – und niemand kann sich dem Zwang entziehen?
Markus Krall: Ja, das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Herr Rogoff, dessen bevorzugte Freizeitbeschäftigung das Spannen von Büchsen für die Planwirtschaft des Geldes von Herrn Draghi ist, hat ihm ja auch erst am 23.8. bei der Konferenz der Nobelpreisträger in Lindau wieder sekundiert. Dort forderte Herr Draghi weniger Regelbindung für die Geldpolitik und begründete das mit dem wissenschaftlichen Fortschritt und der durch Krisen geänderten Lage. Herr Rogoff, immerhin früher Chefökonom des Internationalen Währungsfonds IWF nahm die nachfolgende Diskussion zum Anlass, die Bargeldabschaffung zu fordern, um den Instrumentenkasten der Geldpolitik – natürlich losgelöst von allen Regeln und damit auch von der Herrschaft des Rechts – so zu erweitern, dass künftig auch massive Negativzinsen möglich werden. So konnte Herr Draghi den Moderaten geben, der diesen Vorschlägen zur Zeit – noch – nicht folgen mag. Die sozialistische Mehrheit im Zentralbankrat will das gleiche, macht es aber Schrittweise, um den Frosch im Wasser langsam abzukochen. Sie weiß, dass er sonst raushüpfen würde.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sehen auch die Blockchain-Technologie in der Finanzwirtschaft kritisch. Warum?
Markus Krall: Ich sehe nicht die Blockchain-Technologie als solche generell kritisch. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass sie die Finanzwirtschaft revolutionieren wird. Ich sehe es aber kritisch, wenn die Zentralbank, deren freiheitlich-marktwirtschaftliche Reputation ich stark in Zweifel ziehe, anfängt, über so etwas nachzudenken, weil ich weiß, dass man eine Blockchain-Währung auf ganz unterschiedliche Weise programmieren kann. Man kann sie 100% anonym gestalten, wie die Bitcoin, dann bietet sie die Freiheit von Bargeld und ich bin überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird, wenn die Herrschaften in der EZB und FED so weiter machen, denn die Leute werden sich dann eine Alternative suchen. Oder man kann sie 100% transparent machen, dann weiß der Staat in Gestalt der EZB über jede ihrer Einnahmen und Ausgaben bis zum letzten Cent Bescheid. Es gibt dann keine Privatsphäre mehr und wir sind im totalitären Staatswesen angekommen.
Ein solcher Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger halte ich für unvereinbar mit Demokratie und Grundgesetz. Ich bin überzeugt, dass er unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen würde mit allen Konsequenzen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es fällt auf, dass Sie sehr prominente „appraisals“ für Ihr Buch gewonnen haben. Wenn man diese Themen vor vier Jahren angesprochen hat, wurde man des „Alarmismus“ geziehen. Andererseits hat sich die Sache ja weiter verschleppt – und nichts ist geschehen. Kommt der Crash jetzt wirklich – oder gibt es noch Hintertürchen?
Markus Krall: Was den Vorwurf des „Alarmismus“ angeht, kann ich keine Entwarnung geben. Es gibt genug mit Halbwissen gesegnete Journalisten, die den Vorwurf gegen mein Buch und meine Thesen erheben und in den online-Foren wie Twitter ihre Luftballons steigen lassen. Auch von Verhetzung war da schon die Rede. Dem Angebot einer sachlichen Diskussion entzieht man sich aber dann von dieser Seite. Man kneift, weil man weiß, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit linken Sprechblasen nicht zu gewinnen ist. Aus der gleichen Redaktion kam der Vorwurf, mein Buch bediene die Ängste „rechtsgerichteter Angstbürger“. Auch dies ist ein klassisches Schema der Ausgrenzung unbequemer Wahrheiten. Fragt man nach Argumenten, kommt flegelhaft dümmlicher Spott, der mehr über seine Urheber aussagt, als über seinen Adressaten.
Die Appraisals für mein Buch zeigen allerdings eines: Eine wachsende Zahl von Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Finanzen, Politik und Wissenschaft hat genug von dieser Debattenverweigerung, weil auch sie die Zeichen an der Wand lesen können, zum Teil weil sie sich informieren, zum Teil, weil sie als Insider wissen, was sie Stunde geschlagen hat. Einige von ihnen erheben auch schon länger ihre Mahnungen, ohne Gehör zu finden.
Die zweite Frage ist, gibt es einen Ausweg? Ja, ich glaube, dass es den theoretisch gibt, aber ich bin leider auch davon überzeugt, dass die Politik nicht den Mut haben wird, ihn zu gehen. Man steckt lieber den Kopf in den Sand, verschiebt die große Abrechnung auf nächstes oder übernächstes Jahr und hofft, dass das Problem von alleine weggeht. In meinem Buch habe ich ja auch einen möglichen Ausweg skizziert, die Staatsfinanzen der Euroländer durch Privatisierung zu sanieren und das Bankensystem so zu entlasten und zu restrukturieren, dass es tragfähig wird. Das geht nur mit schmerzhaften Reformen und unsere europäischen Kollegen werden das nicht machen, weil sie überzeugt sind, dass Deutschland und Holland zahlen werden. Auch andere haben sich der Mühe des Nachdenkens für Lösungswege unterzogen. Ich erlaube mir an dieser Stelle auf die Arbeiten von Prof. Hans Werner Sinn, Daniel Stelter, Prof. Thomas Mayer und anderen zu verweisen. Ihnen gemeinsam ist: Der Lösungsweg ist nicht bequem, weil es den nicht gibt.
Auch muss man sehen, dass die Zentralbanken ihr Pulver noch nicht komplett verschossen haben. Sie können die Zombifizierung der Wirtschaft und der Banken noch eine Weile betreiben, Japan ist dafür ein warnendes Beispiel. Ich habe keinen Zweifel, dass die EZB das versuchen wird, um ihren Offenbarungseid zu vermeiden. In einer Währungsunion ist das aber sehr viel schwieriger, als in einem homogenen Staatsgebilde wie Japan. Sie werden es versuchen, sie gewinnen weiter Zeit und sie werden scheitern. Der Knall wird dann umso lauter werden, je länger sie es schaffen, ihn zu verzögern.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sollten sich Anleger schützen?
Markus Krall: Es ist für die meisten Anleger sehr schwierig, sich gegen die Folgen dieser Politik zu schützen. Internationale Diversifikation außerhalb des Euroraums ist nötig: Canada-Dollar, Singapur-Dollar, Norwegische Krone, Schweizer Franken, auch Brit. Pfund, Australische Dollar und US-Dollar, sowie Gold. Gold ist zwar keine klassische Anlage, aber eine klassische Versicherung.
Bei der Auswahl von Aktien sollte man sehr stark auf Qualität achten und die Cash-Flow-Bewertung mit Zinssätzen vornehmen, die über den aktuellen liegen, um die Bewertungsdifferenz nach einer Zinswende zu simulieren.
Wer spekulativ agieren will, kann auch auf das Ende dieser Politik wetten und short auf die Blasen gehen. Man muss sich aber dabei darüber klar sein, dass es eine Sache ist, das Platzen der Blase vorherzusehen und eine andere, auf ihren Zeitpunkt zu wetten.
Markus Krall ist promovierter Diplom-Volkswirt und arbeitete während seiner Dissertation als Inhaber des Monbusho-Stipendiums der japanischen Regierung an der Kaiserlichen Universität in Nagoya. Nach dem Beginn seiner Karriere im Vorstandsstab der Allianz AG arbeitete er als Berater in der Boston Consulting Group, bevor er Oliver Wyman in Deutschland mit aufbaute. 2003 wechselte er als Partner zu McKinsey, wo er die Risikomanagement-Practice leitete, und organisierte später die Initiative zur Gründung einer europäischen Ratingagentur. 2014 trat er bei der unabhängigen Beratung goetzpartners als Managing Director ein. Er leitet dort die Financial Institutions Practice. Er verfügt damit über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Bank- und Versicherungswirtschaft mit Fokus auf Risikomanagement, Strategie und Digitalisierung.
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Markus Krall: Der Draghi-Crash.
Warum uns die entfesselte Geldpolitik in die finanzielle Katastrophe führt.
Kralls äußerst lesenswertes Buch zeigt in ernüchternder Klarheit, wie Politik und Geldpolitik in Europa sich von den Grundsätzen verabschiedet haben, die in der Vergangenheit die Garanten des Erfolgs für den Kontinent waren. Die Finanzkrise und ihre nicht enden wollenden Nachbeben verleiten eine verunsicherte und überforderte Elite an den Schaltstellen der Macht dazu, ihr Heil in Staatsplanung, Intervention und Bürokratie zu suchen. Allen voran entzieht sich die Geldpolitik von Mario Draghi als Chef der Europäischen Zentralbank jeglicher Kontrolle. Auf dem Weg der Eurorettung ist sie zur ungebremsten Staatsfinanzierung degeneriert.
Das Buch ist beim FinanzbuchVerlag erschienen, kostet 17,99 Euro und kann im guten Buchhandel sowie direkt beim Verlag oder bei Amazon erworben werden.