Finanzen

Neue Regeln: Immobilien-Kredite werden zum Pulverfass für Schuldner

Lesezeit: 4 min
09.12.2017 23:32
Die EU plant neue Regeln für Kredite, die die Banken zu rascher Verwertung zwingen. Für viele Schuldner könnte der Kredit so zum Pulverfass werden.

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Die EU-Kommission will in Abstimmung mit der Europäischen Zentralbank dafür sorgen, dass Banken prompt Immobilien, Aktien, Anleihen und andere Werte verkaufen, die der Absicherung von Krediten dienen. Dieses Konzept ist im „Mid-term Review of the Capital Markets Union Action Plan“ festgeschrieben. Der Plan wurde im Juni veröffentlicht und soll nun im Rahmen der Bankenunion umgesetzt werden. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Gesetze zu beschließen, die den Kreditinstituten die Umsetzung der angestrebten Praxis erleichtern. Derzeit kann eine Bank nicht einfach ein Grundstück verkaufen, das einen Kredit absichert.

Alle Kredite, ob besichert oder nicht, werden gleich bewertet

Das Projekt stößt auf totales Unverständnis: Ein gut abgesicherter Kredit bedeutet nach den Grundsätzen traditioneller Bankwirtschaft kein besondere Risiko. Die Bank kann somit den Kunden auch in schwierigen Phasen begleiten, da in letzter Konsequenz bei einem Ausfall die Forderungen durch die Verwertung der Sicherheiten eingebracht werden können. Diese Logik wird durch die EU-Finanzpolitik in Frage gestellt.

Alle Kredite werden bereits seit längerem gleich bewertet, egal ob Sicherheiten vorhanden sind oder nicht. Für alle Kredite gilt: Bei Problemen der Kunden sind die Forderungen in der Bonität herabzustufen und mit mehr Kapital zu unterlegen. Kontenüberziehungen, Zahlungsverzug bei der Bedienung von Krediten, schwächere Umsätze oder geringere Gewinne haben Konsequenzen, auch wenn die Kreditnehmer wirtschaftlich gesund sind und über ausreichende Vermögen verfügen. Nach diesen Grundsätzen wird ein Kredit sehr rasch zu einem gefährdeten Kredit, im modernen Sprachgebrauch zu einem „non performing loan“ (NPL).

Familien würden ihre Wohnung verlieren, Betrieben droht der Zusammenbruch

Ist nun ein NPL mit Sicherheiten ausgestattet, so soll nach den neuen Vorstellungen der EU-Kommission und der Aufsichtsbehörden die Bank Immobilien, Wertpapiere und andere Elemente verwerten.

Die Umsetzung dieser Initiative hätte dramatische Folgen für die Kreditnehmer:

  • Beispiel 1: Ein Privathaushalt lebt in einer kreditfinanzierten Eigentumswohnung. Durch den Verlust einer Einkommensquelle – ein Familienmitglied wird arbeitslos – verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage. Der Kredit wird zu einem NPL, die Wohnung wird verkauft. Die Bank kann nicht warten, bis ein neuer Job gefunden wird. Die Bank muss agieren, als ob die Familie pleite und der Kredit uneinbringlich wäre.
  • Beispiel 2: Der Umsatz eines mittelständischen Unternehmens beruht auf mehreren Produkten. In einem Bereich erfolgt ein marktbedingter Umsatzeinbruch. Die Firma wird als höheres Risiko eingestuft. Die vorhandenen Wertpapiere werden verkauft, der Kontokorrent-Kredit als „NPL“ getilgt. Die wirtschaftlich sinnvolle Lösung, die Finanzierung einer Investition zum Aufbau einer neuen Sparte, ist in der Folge unmöglich oder zumindest extrem schwierig.

Nicht nur die Kreditnehmer würde man schädigen:

  • Wenn die Vorstellungen der EU-Kommission umgesetzt werden, käme ein massenweiser Verkauf von Grundstücken zustande, der zu einem Verfall der Preise führen muss. In der Folge würden die Banken bei der Verwertung der Sicherheiten geringere Erlöse erzielen.
  • Bei allen anderen Eigentümern von Immobilien käme durch den Verfall der Preise und somit der Verkehrswerte ein Vermögensverlust zustande.
  • Der plötzliche Verkauf größerer Wertpapierdepots hätte negativen Auswirkungen auf die Börsen.
  • In größte Verlegenheit kämen Personen, die für Kredite bürgen. Zur Illustration: Ein Kreditnehmer hat einen Wohnungskredit in der Höhe von 200.000 Euro, der mit Monatsraten von 1.000 Euro zu bedienen ist. Ein Freund, ein Familienmitglied bürgt in der Annahme, dass im Ernstfall mit verkraftbaren 1.000 Euro im Monat geholfen werden muss. Nach dem EU-Konzept fordert die Bank bei Schwierigkeiten des Kreditnehmers die kompletten 200.000 Euro ein, die den Bürgen ruinieren können.

Die Banken sollen NPL verkaufen – es gibt allerdings kaum Käufer

Die Politik der EU, alle Kredite bei den geringsten Problemen als Risiko einzustufen, erklärt wieso die Bankenaufseher von 800 bis 1000 Milliarden Euro NPLs sprechen, die in den europäischen Banken liegen. In der Öffentlichkeit wird zwischen gefährdeten und nicht-einbringlichen Kredite nicht unterschieden. Auch wird nicht hinterfragt, was unter „non performing“ zu verstehen ist.

Besonders auffällig ist die Behauptung, dass die NPLs seit der Finanzkrise 2008/2009 weiter geschleppt werden. Diese Feststellung enthält einen Widerspruch in sich: Tatsächlich uneinbringliche Kredite müssten längst abgeschrieben sein, weil sonst die Bankbilanzen keinen Bestätigungsvermerk durch die Wirtschaftsprüfer bekämen und die Institute schließen müssten. Also sind die NPLs gefährdete, aber aufrechte Kredite, die nach der üblichen bankwirtschaftlichen Praxis betreut werden können.

Die EU-Kommission will nun, dass die Banken alle NPLs, besichert oder unbesichert, verkaufen. In den Unterlagen wird allerdings eingeräumt, dass im Markt kaum ein Interesse für den Kauf von NPLs besteht. Auch der entscheidende Faktor überzeugt nur wenige Investoren: NPLs werden mit einem Abschlag verkauft, wodurch im Falle einer letztlich doch stattfindenden, vollständigen Tilgung und Verzinsung ein attraktiver Gewinn zustande kommt.

Nachdem kein funktionierender Markt existiert, sollen in den Mitgliedstaaten Agenturen, so genannte „Asset Management Companies“ (AMC) eingerichtet werden, die NPLs kaufen und verwerten sollen. Empfohlen werden staatliche Förderungen – „natürlich nur soweit sie den EU-Verboten von staatlichen Subventionen nicht widersprechen“. Wie dieser Widerspruch aufzulösen ist, sagt die Kommission nicht. Außerdem wird die Schaffung von Service-Firmen gefordert, die die Kredite betreuen sollen.

Zur Erinnerung: 2008 haben verkaufte Kredite, im Rahmen der sogenannten „Asset backed securities“ (ABS), die Krise verschärft: Die Forderungen wurden von Computern verwaltet, die bei geringstem Verzug automatisch den gesamte Kredit fällig gestellt haben – ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer. In der Folge verloren ohne Notwendigkeit viele Familien ihre Häuser. Betriebe mussten schließen. In Gerichtsverfahren wurden Banken, die die Kredite verkauft hatten, in vielen Fällen zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilt.

Die Entmündigung der Banken ist überflüssig und schädlich

Die von der EU-Kommission und den Aufsehern angestrebten NPL-Agenturen und Service-Stellen zur Betreuung der Kredite würden also die eigentliche Arbeit der Banken übernehmen. Die naheliegende Frage, warum nicht die Banken ihre Arbeit machen sollen, wird in eigenartiger Weise beantwortet: Die Banken sollen die Risiken auslagern.

Als Begründung wird angegeben, dass für die verkauften Risiken keine Kapitalunterlegung erforderlich ist und die Institute durch den Verkauf Kapital frei bekämen. Auf diese Weise soll die Vergabe neuer Kredite ermöglicht, die vielfach beklagte Kreditklemme entschärft und die Wirtschaft belebt werden. Der Schaden, der durch den massenweisen Verkauf von NPLs entstehen muss, findet hingegen keine Beachtung.

Auch hier besteht ein Widerspruch. In allen seit der Krise 2008 verfassten Analysen wird betont, dass beim Verkauf von Krediten die abgebende Bank einen Teil des Risikos behalten und durch eine Kapitalunterlegung absichern muss. Dieser Grundsatz wird auch bei der Umsetzung der EU-Pläne zu berücksichtigen sein.

Es ist nicht verständlich, warum die Banken nicht weiterhin die Kredite behalten und betreuen sollen. Es ist das Geschäft der Institute, in eigener Verantwortung Kredite zu vergeben, das Risiko einzuschätzen und die Finanzierungen über Jahre zu begleiten. Die Eingriffe der EU-Kommission, die von den Aufsehern umgesetzt werden, kommen einer Entmündigung der Banken gleich.

Die EU verteidigt ihre Politik mit dem Hinweis auf die Krise 2008. Die Krise haben aber Kredite, die von Banken in üblicher Weise betreut wurden, nicht ausgelöst. Die Ausfälle im traditionellen Kreditgeschäft bewegen sich in einer überschaubaren Größenordnung, die von den Instituten mit wenigen Ausnahmen gut verkraftbar sind.

Für Ausfälle sorgten 2008 die verkauften Kredite, also jenes Instrument, das nun von der Politik forciert wird. Die tatsächlich katastrophalen Verluste wurden allerdings durch Milliarden-Spekulationen verursacht, die paradoxerweise bis heute erlaubt sind und von den Großbanken mit gigantischen Summen weiter betrieben werden.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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