Politik

Russland strebt autonome Lebensmittel-Versorgung an

Russland strebt eine vollkommen autonome Versorgung mit den wichtigsten Lebensmitteln an.
06.04.2018 17:14
Lesezeit: 3 min

Die russische Regierung strebt im Bereich der Lebensmittelversorgung wirtschaftliche Unabhängigkeit an, berichtet Bloomberg. Statt Waren aus anderen Ländern einzuführen, setzt der Staat auf den Ausbau der eigenen Landwirtschaft. Bislang ist Russland neben den USA und China der wichtigste Handelspartner der EU und Hauptabnehmer von weltweit produziertem Obst und Gemüse.

Kühe statt Milch, Apfelbäume statt Äpfel – so lautet die Antwort der russischen Regierung auf die seit 2015 anhaltende europäische und US-amerikanische Importembargopolitik gegenüber Russland. Die EU hat gemeinsam mit den USA die Ausfuhr von Rüstungsgütern und Waren mit einem doppelten Verwendungszweck gestoppt. Bis voraussichtlich Juli sollen die Sanktionen anhalten.

Wie aus einer Studie der russischen Beratungsunternehmens Agriconsult hervorgeht, setzt Russland darauf, langfristig eine Landwirtschaft aufzubauen, die den Import von Getreide, Obst und Gemüse überflüssig macht. Im vergangenen Jahr investierte das Land rund 5,4 Milliarden Euro in neue landwirtschaftliche Technologien und Anbaumethoden. Erworben hat es diese von überwiegend europäischen und US-amerikanischen Unternehmen. Darüber hinaus stellte die Regierung um Ministerpräsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr Agrarsubventionen von 3,6 Milliarden Euro bereit.

Mit Erfolg: Im Jahr 2016 importierte Russland Lebensmittel im Wert von knapp 20 Milliarden Euro und damit rund fünf Prozent weniger als sechs Jahre zuvor. Der Gesamtimport lag 2016 bei rund 155,6 Milliarden Euro, 2015 bei knapp 157 Milliarden Euro.

Gegenüber russischen Bauernverbänden lobte Putin diese Entwicklung vor zwei Wochen während eines Treffens in Krasnodar. Außerdem sagte er, dass die technische Entwicklung in den meisten Agrarbereichen mittlerweile vergleichbar mit der in anderer Staaten sei. Auch stehe das Landwirtschaftsministerium in einem engen Technologieaustausch mit ausländischen Unternehmen und strebe einen Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen an.

In der Kaukasusregion rund um Krasnodar betreibt das Landwirtschaftsunternehmen AFG National Group (AFG) seit 2015 auf Anweisung der Regierung eine Apfelplantage. Russland ist weltweit der größte Importeur von Äpfeln. Geliefert bekommt es die Früchte vorwiegend aus den USA, China, Italien und Polen. Um den Bedarf an Red Delizious, Gala und Granny Smith künftig aus eigenem Anbau zu decken, beauftragte der Staat die AFG vor drei Jahren, statt Äpfeln 143.000 ein- bis zweijährige Bäume aus italienischen Baumschulen zu kaufen und eine eigene Plantage aufzubauen. Die AFG ist ein halbstaatliches Unternehmen und wurde 2006 in Moskau zum Anbau von Reis in der Kaukasusregion gegründet. Die Reisterrassen wurden zu Obstplantagen umgewandelt. Im vergangenen Jahr produzierte die AFG rund 8.000 Tonnen Äpfel und lag damit erstmals mit seinem Ernteergebnis über dem Wert der zusätzlich importierten Äpfel (7.000 Tonnen). Im Jahr 2015 importierte Russland 9.000 Tonnen und produzierte 6.000 Tonnen aus eigenem Anbau.

Profit aus dem staatlichen Landwirtschaftsprogramm zieht nicht nur die russische Regierung, sondern auch Firmen aus Europa und den USA. Um den Anbau von Gemüse und Obst in Russland zu ermöglichen, setzen Bauern und Agrarbetriebe vermehrt auf Pflanzenzucht in Treibhäusern. Geliefert werden diese unter anderem von der schwedischen DeLaval Gruppe, der deutschen Big Dutchman International und von den niederländischen Firmen Certhon und der Kubo Gruppe.

Wie der der Exportmanager der Kubo-Gruppe, Henk van Tuijl, gegenüber Bloomberg sagte, machen die Handelsgeschäfte mit Russland rund ein Viertel des unternehmerischen Gesamtumsatzes aus. Auch habe Kubo seit der Aufnahme der russischen Beziehungen seine Produktionskapazitäten verdreifachen können. Auch seien für dieses Geschäftsjahr bereits Verträge über die Lieferung von Treibhäusern für eine Fläche von 70 Hektar mit Russland geschlossen worden.

Anbauen will Russland unter den Glasdächern vor allem Tomaten. Im weltweiten Vergleich ist das Land laut einer Studie der Welthandelsorganisation der drittgrößte Tomatenimporteur und der zweitgrößte Käseimporteur.

Durch die Nutzung von Gewächshäusern konnte der Tomatenanbau laut Aussage der russischen Obst- und Gemüseanbauvereinigung im vergangenen Jahr um 11 Prozent gesteigert werden. Um den nationalen Bedarf zu decken, mussten rund 60 Prozent der Tomaten importiert werden. Hauptexportländer sind in diesem Bereich Italien, Spanien, Frankreich und die Niederlande.

Im Januar bewilligte die Regierung Putins dem vietnamesischen Molkereigruppe TH, in Russland einen Betrieb mit 1.100 Milchkühen zu eröffnen. Geliefert wurden die von einem US-amerikanischen Viehzüchter. Nach Unternehmensinformationen will die TH-Gruppe rund 2,1 Milliarden Euro in den Aufbau eines russischen Milchmarktes investieren.

Biologen und Ökonomen weltweit kritisieren diese Art der Landwirtschaft hingegen als nicht nachhaltig. So kaufe Russland bereits gezüchtete und aufgezogene Pflanzen und Tiere an, investiere aber nicht ausreichend in eigene Nachzüchtungen. Der Aufbau einer selbständigen Landwirtschaft sei auf diesem Weg nicht möglich. Präsident Putin kündigte unterdessen in Krasnodar an, insbesondere im Bereich der Saatgut-Nachzucht verstärkt investieren zu wollen.

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