Politik

Machtkampf in Saudi-Arabien flammt erneut auf

Der saudische Kronprinz Bin Salman ist wegen des Todes des Dissidenten Khashoggi und den Problemen bei Saudi Aramco unter Druck geraten.
09.10.2018 00:42
Lesezeit: 5 min

Ehemalige US-Regierungsbeamte kritisieren, dass die freundliche Politik der Trump-Regierung gegenüber Saudi-Arabien dazu geführt hat, dass Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS) glaubt, er habe bei der Verfolgung von Oppositionellen einen Freischein erhalten, berichtet die israelische Zeitung Haaretz.

Auslöser der Kritik ist ein Vorfall der sich im saudischen Konsulat in Istanbul ereignet haben soll. Es geht um das Schicksal des saudischen oppositionellen Journalisten Jamal Khashoggi. Die New York Times führt aus: "Jamal Khashoggi, ein prominenter saudischer Dissident, traf am vergangenen Montag in London zwei Freunde zum Mittagessen, um über eine von ihm verfasste Zeitungskolumne zu diskutieren, in der er sich über die fehlende Redefreiheit in der arabischen Welt beklagt."

Einen Tag später, am 2. Oktober 2018, ging er in das saudische Konsulat um ein Dokument abzuholen, das für die Heirat mit seiner türkischen Verlobten Hatice Cengiz erforderlich ist, berichtet der türkischsprachige Dienst der BBC. Seine Verlobte wartete vor dem Konsulat, doch Khashoggi kam nicht wieder. Nach Informationen der New York Times sollen ihn Freunde davor gewarnt haben, in das saudische Konsulat zu gehen. Doch er ignorierte die Warnung. Er soll nach Angaben seines Vertrauten Azzam Tamimi gesagt haben, dass das Personal des Konsulats sich aus "gewöhnlichen Saudis" zusammensetzt. "Und die gewöhnlichen Saudis sind gute Leute", soll Khashoggi gesagt haben.

Nach Angaben der türkischen Sicherheitsbehörden soll Kashoggi im Konsulat ermordet worden sein. Der Vorsitzende des Vereins der türkisch-arabischen Medien, Turan Kışlakçı, sagte der Zeitung Yeniçağ zufolge in einer Erklärung: "Unseren Informationen zufolge, die wir von den Behörden erhalten haben, wurde Kashoggi im Konsulat ermordet. Das gilt als sicher. Er war nicht nur unser Freund, sondern ein weltweite beliebter Journalist. Gott hab ihn selig (...) Wir haben gefordert, dass die Kameraaufnahmen im Konsulat freigegeben werden. Doch das Konsulat teilte uns mit, dass die Kameras am 2. Oktober defekt gewesen sein sollen. Kashoggi und seine gesamten Familienmitglieder sind US-amerikanische Staatsbürger - außer einer seiner Kinder. Wir erwarten eine entschiedene Haltung der USA. Außerdem fordern wir eine entschiedene Haltung der Türkei auf der diplomatischen Ebene."

Das türkische Außenministerium bestellte den saudischen Botschafter in Ankara, Walid Bin Abdul Karim El Khereiji, am Montag zum zweiten Mal ein. Vertreter des türkischen Außenministeriums forderten vom Botschafter eine Genehmigung zur Durchsuchung des Konsulatsgebäude in Istanbul durch türkische Sicherheitskräfte, so das Blatt Yeniçağ.

Druck auf Mohammed Bin Salman wegen Khashoggi

Die Washington Post führt aus, dass der aktuelle Vorfall eine "Krise in den US-saudischen Beziehungen" darstelle. Das US-Außenministerium trage eine Mitschuld an den Menschenrechtsverletzungen von MBS. Sie habe wider besseren Wissens gesagt, dass Riad alle Vorkehrungen getroffen habe, um zivile Opfer im Jemen-Krieg zu verhindern. Wenn MBS bei der Aufklärung des Falls Kashoggi nicht kooperieren sollte, muss der US-Kongress mit sofortiger Wirkung die militärische Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien einstellen, so das Blatt. Wenn sich herausstellen sollte, dass Kashoggi tatsächlich ermordet wurde, müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

The Middle East Eye führt aus:

"Jamal Khashoggi ist nicht der erste saudische Exilant, der getötet wurde. Niemand erinnert sich heute an Nassir al-Said, der 1979 aus Beirut verschwand und seither nie wieder gesehen wurde. Prinz Sultan bin Turki wurde 2003 aus Genf entführt. Prinz Turki bin Bandar Al Saud, der in Frankreich Asyl beantragte, verschwand 2015. Generalmajor Ali al-Qahtani, ein Offizier der saudischen Nationalgarde, starb noch in Haft. Sein Körper zeigte Anzeichen von Missbrauch, einschließlich eines verdrehten Halses und eines stark geschwollenen Körpers. Und es gibt viele, viele andere. Tausende schmachten im Gefängnis.

Menschenrechtsaktivisten, die als Terroristen gebrandmarkt werden, befinden sich in den Todeszellen (...) Ich kenne einen Geschäftsmann, der kopfüber aufgehängt und anschließend nackt gefoltert. Seither ist nichts mehr von ihm gehört worden. Ein saudisches Flugzeug ließ eine von den USA hergestellte Bombe in einen Schulbus im Jemen fallen, bei der 40 Jungen und 11 Erwachsene auf einem Schulausflug getötet wurden. Der Tod wird ferngesteuert, aber kein westlicher Verbündeter oder Waffenlieferant Saudi-Arabiens verlangt eine Erklärung. Die Kontrakte laufen weiter. Kein Aktienmarkt wird die vielversprechende Aussicht auf den größten Börsengang der Geschichte (Saudi Aramco, Anm. d. Red.) aufgeben."

Druck auf Mohammed Bin Salman wegen Saudi Aramco

Saudi-Arabien hatte im August verkündet, den Börsengang der staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco einstellen zu wollen. Obwohl Khalid al-Falih, der saudische Energieminister, sagte, dass die Regierung sich weiterhin verpflichtet, einen Anteil von fünf Prozent an Saudi Aramco "zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl" verkaufen zu wollen, waren nur wenige überzeugt, so das US-Magazin Foreign Policy am 28. September 2018. MBS habe den Börsengang zwar bereits im Jahr 2016 verkündet, doch es sei immer wieder zu Verzögerungen gekommen.

Reuters zufolge erhielt der saudische König im Monat Ramadan, der im Juni endete, eine Reihe von Beschwerden von Prinzen, Bankiers und Aramco-Managern über den bevorstehenden Börsengang. Ihre Hauptsorge: Jede Notierung an einer der wichtigsten Börsen der Welt würde eine zu große Offenlegung der finanziellen Transaktionen von Aramco erfordern und möglicherweise Unregelmäßigkeiten und Schwächen aufdecken, die nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Legitimität des Hauses Saud in Verlegenheit bringen und untergraben könnten.

Foreign Policy wörtlich: "Beobachter sahen die Annullierung unweigerlich als einen schweren Schlag für Mohammed bin Salmans reformatorische Referenzen an. Zum Besseren oder Schlechteren hatte der Kronprinz den Ausverkauf konsequent als wesentlichen Bestandteil seines kühnen Programms Vision 2030 zur Transformation der saudischen Wirtschaft dargestellt. Er beharrte darauf, dass Aramco mit zwei Billionen US-Dollar bewertet werde (was es leicht zum wertvollsten Unternehmen der Welt macht) und dass die 100 Milliarden Dollar, die durch den Börsengang gesammelt werden sollten, die enormen Kosten des Vision 2030-Plans zur Diversifizierung der Wirtschaft decken würden (...) Die Anleger stellten schnell fest, dass Mohammed bin Salmans Bewertung von zwei Billionen Dollar stark übertrieben war, obwohl nicht genügend Informationen vorhanden waren, um genau zu beurteilen, wie hoch der tatsächliche Wert sein sollte. Die saudische Regierung hat weder eine verbindliche Erklärung für die ständigen Verzögerungen des Börsengangs abgegeben noch sich bemüht, ihre Bedenken hinsichtlich des Verkaufs zu artikulieren. Anstatt die undurchdringliche Mauer rund um das Königreich zu zerstören, hat der Börsengang-Prozess dazu beigetragen, die Bedenken zu vergrößern (...) Die Überreaktion des Königreichs auf eine Handvoll Tweets (darunter auch auf Arabisch) des kanadischen Außenministeriums, das die Festnahme von zwei weiteren Menschenrechtsaktivisten Anfang August milde kritisierte, verschlimmerte die Lage. Praktisch über Nacht hat Saudi-Arabien den kanadischen Botschafter ausgewiesen, Flüge nach Kanada abgesagt, saudische Studenten nach Hause bestellt, Investitionen in Kanada liquidiert und neue kanadisch-saudische Geschäfte und Investitionen eingefroren."

Doch am 5. Oktober 2018 machte MBS eine rhetorische Kehrtwende. Er versicherte im Gespräch mit Bloomberg, dass der Börsengang von Saudi Aramco Anfang 2021 stattfinden wird. MBS sagte zudem, dass der Wert von Saudi Aramco bei zwei Milliarden Dollar liege, obwohl Analysten den Wert der Ölgesellschaft auf maximal eineinhalb Milliarden Dollar schätzen. Als zweiter Börsenplatz für Saudi Aramco bieten sich derzeit insbesondere London und New York an. Die Bloomberg-Journalisten fragten MBS auch über den Verbleib von Khashoggi. MBS antwortete: "Wir hören Gerüchte über das, was passiert ist. Er ist ein saudischer Staatsbürger und wir sind sehr gespannt darauf, was mit ihm passiert ist. Und wir werden unseren Dialog mit der türkischen Regierung fortsetzen, um zu sehen, was dort mit Jamal passiert ist". MBS fügt hinzu, dass die türkischen Sicherheitsbehörden das saudische Konsulat in Istanbul auch sehr gerne untersuchen können, wenn die türkische Regierung dies wünscht. "Die Räumlichkeiten sind souveränes Territorium, aber wir werden ihnen erlauben, einzutreten und nachzuschauen und zu tun, was immer sie wollen. Wenn sie darum bitten, werden wir ihnen das natürlich erlauben. Wir haben nichts zu verbergen."

Der saudische Khalid al-Falih sagte im März 2018 bei einem Besuch in London, dass er "ernsthafte Bedenken" im Zusammenhang mit einem Börsengang von Saudi Aramco in New York habe. "Ich würde sagen, dass Rechtsstreitigkeiten und Haftung in den USA ein großes Problem darstellen. Ehrlich gesagt ist Saudi Aramco zu groß und zu wichtig, als dass das Königreich einem solchen Risiko ausgesetzt wird", zitiert CNN al-Falih.

David Hodson von Blue Pearl Management sagte anlässlich des Besuchs von al-Falih: "Das großartige an London ist, dass es nicht New York ist. Es ist in jeder Hinsicht ein weniger aggressiver Investitionsstandort". Ein anonymer US-amerikanischer Investmentbanker sagte Arab News: "New York stellt eine Reihe von Problemen dar, mit Sarbanes-Oxley (US-Anlegerschutzgesetze), sowie JASTA (Anti-Terrorismus-Finanzierungsgesetzgebung) und das ganze System von Klassenaktionen. Das Londoner Rechtssystem ist in vieler Hinsicht anders. Es gibt kein britisches Äquivalent der JASTA-Gesetze, Offenlegung und regulatorische Anforderungen sind lockerer (vor allem für Ölfirmen)."

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