Finanzen
EZB saugt Kapital ab

Negativzinsen: Versicherer erwägen, vermehrt Bargeld zu horten

Die Nullzins-Politik der EZB hat bereits dazu geführt, dass die Versicherer ihre Anlagen immer mehr diversifizieren müssen. Der Branchenverband rechnet damit, dass die Unternehmen jetzt verstärkt Bargeld horten werden.
13.08.2019 17:05
Lesezeit: 2 min

„Die deutsche Konjunktur befindet sich derzeit in schwierigem Fahrwasser“, sagen die Volkswirte des traditionsreichen ifo-Instituts, das seit knapp 70 Jahren die Investoren mit Einschätzungen versorgt. Doch nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. So ist die Stimmung unter den europäischen Managern derzeit angespannt, wie sich auf dem aktuellen Geschäftsklima-Index der Einrichtung ablesen lässt: Immer weniger Firmenvertreter sind mit ihrem Geschäft zufrieden und immer mehr blicken skeptisch in Zukunft.

Ein Grund ist die derzeitige Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die vielen Unternehmensvertretern und manchmal sogar den Repräsentanten ganzer Branchen zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Dazu gehört die Versicherungsbranche – einer der größten Investoren, die es in Deutschland überhaupt gibt.

„Je niedriger die Zinsen sind, desto attraktiver wird es, Geld in Tresoren zu lagern“, sagte der Chefvolkswirt des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GdV), Klaus Wiener. „Wenn die Zinsen weiter sinken und man das Bargeld nicht verbietet, ist es für die Versicherer zunehmend attraktiv, Geld in den Tresor zu legen,“ zitiert die Zeitung der „Tagesspiegel“ den Ökonomen in ihrer Montagsausgabe.

EZB verlangt Strafzinsen für überschüssige Liquidität

Hintergrund: Die Versicherungsbranche in Deutschland hat schon seit Jahren unter der Zinspolitik der EZB zu leiden, die in den vergangenen Jahren immer mehr an der Zinsschraube gedreht hat, um die Konjunktur zu stimulieren und einen Zusammenbruch des überschuldeten Wirtschafts- und Finanzsystems zu verhindern. Die Versicherer gehören zu den größten Investoren am Kapitalmarkt. Ihr Hauptproblem: Die EZB verlangt für überschüssige Liquidität, die die Banken bei der Notenbank parken, Strafzinsen. Deswegen müssen auch manche Sparer für besonders hohe Summen bei kürzeren Laufzeiten bei ihrem Finanzinstitut draufzahlen.

Dabei haben auch die Bundesanleihen ebenfalls negative Renditen, da die Nachfrage nach diesen Wertpapieren besonders hoch ist. Und das wirkt sich auch auf das Investitionsverhalten der Versicherer aus: „Kaum ein deutscher Versicherer kauft noch Bundesanleihen“, erklärte der Chefvolkswirtschaft der GdV, einem der mächtigsten Wirtschaftsverbände, die es in Deutschland gibt.

Versicherer: Struktur der Anlagen wandelt sich

Wie wichtig die Versicherer als Investoren für die gesamte deutsche Volkswirtschaft sind, wird auch an folgenden Zahlen deutlich: Die Unternehmen haben im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr den Gesamtwert ihrer Kapitalanlagen um 3,1 Prozent auf 1,351 Billionen Euro erhöht. Damit gehört die Branche zu den größten Anlegern überhaupt in Deutschland. Wie aus dem statistischen Jahrbuch des GdV hervorgeht, ist das Gesamtvolumen seit 2011 von Jahr zu Jahr stetig im einstelligen Prozentbereich geklettert.

Doch es noch ein Problem zu sehen, das auf die EZB-Politik der niedrigen Zinsen zurückzuführen ist: Die Struktur der Kapitalanlagen wandelt sich immer mehr. So investieren die Versicherer immer weniger in Renten, die zwar 2017 mit 84,9 Prozent aller Finanzanlagen nach wie vor den Löwenanteil ausgemacht haben. Doch hatte ihr Anteil sechs Jahre zuvor noch bei 88,7 Prozent gelegen – also fast vier Prozentpunkte mehr.

Munich Re will von Bargeld-Sammlung nichts wissen

Auffällig ist, dass das Volumen der Finanzprodukte, das unbestimmt ist und unter die Rubrik „sonstige“ fällt, immer größer geworden ist. Es lag 2017 schon bei 2,4 Prozent, während es 2011 noch 1,5 Prozent zum Gesamtwert beigesteuert hatte. Hierzu gehören auch die Barmittel, die die deutschen Versicherer nach Aussagen des GdV-Chefvolkswirts wahrscheinlich verstärkt in ihren Tresoren sammeln wollen.

Die Munich Re, einer der größten Versicherer Deutschlands, will davon allerdings nur wenig wissen: „Das gegenwärtige Zinsumfeld erfordert von allen Anlegern laufende Anpassungen im Portfolio“, sagte Irmi Joas, die Sprecherin des Unternehmens auf Anfrage der Deutschen Wirtschaftsnachrichten. „Für Munich Re gilt dabei, dass unser Portfolio weiterhin maßgeblich bestimmt ist von festverzinslichen Wertpapieren und Darlehen“, so die Sprecherin. „Im Kontext grundsätzlicher Überlegungen eines sich verschärfenden negativen Zinsumfelds stellt eine verstärkte Bargeldhaltung für uns keine wirkliche Alternative dar, weil dafür der Aufwand sehr hoch ist“, erklärte Joas.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Politik
Politik Moskau: Lösung des Ukraine-Kriegs kommt voran
29.12.2025

Greifbare Ergebnisse hat das Treffen zwischen Trump und Selenskyj nicht gebracht. Der echte Verhandlungsprozess sei von anderen angestoßen...

DWN
Politik
Politik Teure Mieten, hohe Steuern, weniger Kinder: Auswanderungen aus Deutschland weiterhin auf hohem Niveau
29.12.2025

Nach wie vor wandern sehr viele Menschen aus Deutschland aus, gleichzeitig bekommen Deutsche immer weniger Kinder: Eine fatale Entwicklung...

DWN
Finanzen
Finanzen Strategische Aktienauswahl: Diese 4 Kriterien führen zu langfristigem Anlageerfolg
29.12.2025

Die richtige Aktienauswahl entscheidet langfristig über Erfolg oder Misserfolg an den Märkten. Doch welche grundlegenden Kriterien sind...

DWN
Technologie
Technologie MAN Engines modernisiert V12-Gasmotor: Technische Anpassung an globale Emissionsregeln
29.12.2025

Bewährte industrielle Antriebssysteme stehen angesichts globaler Emissionsvorgaben unter wachsendem Anpassungsdruck. Wie MAN Engines...

DWN
Finanzen
Finanzen Aktien Ukraine-Wiederaufbau: Diese Unternehmen warten auf ein Ende des Krieges
28.12.2025

Die Märkte reagieren überraschend empfindlich auf jede Erwartung eines Waffenstillstands und verschieben Kapital von Rüstungswerten hin...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland am Wendepunkt: Wie die wirtschaftliche Neuordnung gelingt
28.12.2025

Deutschland steht vor einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Neuordnung, in der Investitionen und geopolitische Risiken zugleich bewältigt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Teamführung 2026: Was Führungskräfte jetzt wirklich brauchen
28.12.2025

Viele Führungskräfte starten 2026 mit neuen Vorsätzen – doch der Alltag frisst schnell jede Veränderung. Welche Self- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Über den Wolken: Sky City 1000 – eine Zukunftsvision gegen Wohnraummangel
28.12.2025

Die japanische Hauptstadt Tokio wächst – schneller als die Stadt es verkraftet. Allein 2024 kamen zehntausende Menschen hinzu, im...