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Als die Republikaner nach dem Sieg von Donald Trump auch die Mehrheiten im Senat und im Kongress sichern konnten, waren die ersten warnenden Stimmen zu hören: Nun befinden sich die USA auf dem Weg in eine Diktatur.
Doch das Debakel beim Versuch, Obamacare abzuschaffen, zeigt eher das Gegenteil: Die USA präsentieren sich als eine Art strukturellen Anarchie. Trump hat im Grunde weniger Macht als ein CEO – und daher verfängt auch seine Methode nicht, mit klaren Ansagen klare Entscheidungen zu erzwingen. Im Gegenteil: Wenn es zur Regel wird, dass Trump starke Sprüche auf Twitter klopft und dann die Republikaner sich selbst in den Arm fallen, wenn konkrete Gesetze gemacht werden sollen, dann wird die Demokratie weiter Schaden nehmen. Trump war mit dem Anspruch angetreten, den Sumpf trockenzulegen und die Macht dem Volk zurückzugeben. Doch bisher hat es – gemessen an den politischen Ergebnissen – nur zum Frühstückdirektor gereicht. In allen wichtigen Fällen blieben Trumps politische Absichten leere Hülsen:
Außenpolitik: Trump will eine Verständigung mit Russland. Die republikanischen Senatoren McCain und Graham sind die Wortführer einer fortgesetzten Feindschaft gegen Russland. Das Ergebnis: Es gibt keine erkennbare US-Außenpolitik gegenüber Russland. Trump hatte angekündigt, innerhalb von 30 Tagen eine Strategie gegen den IS vorlegen zu wollen. Bis heute ist davon nichts zu sehen.
Sicherheit: Trump wollte die Einreise aus sieben, später sechs Staaten stoppen. Zweimal fuhr ihm ein Gericht in die Parade.
Gesundheit: Das Scheitern der Abschaffung von Obamacare ist der bisher deutlichste Tiefschlag für Trump. Er hatte eine vergleichsweise gut dosierte Flut an Tweets ausgesandt – und sich selbst mit Engagement in die Schlacht geworfen. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Die Republikaner mussten das Gesetz abblasen, mangels Unterstützung aus den eigenen Reihen.
Kein Wunder, dass Trump auf die originellen Tweets nichts lange warten musste:
Nancy Pelosi and Chuck Schumer #obama #Obamacare #GOP #resist #foxnews #cnn #msnbc #Senate #MSNBC #CBS #ABC #PBS #Rosie #BetteMidler #losers pic.twitter.com/w8HU25hNFA
— gregory alan elliott (@greg_a_elliott) March 24, 2017
Das Scheitern der Gesundheitsreform illustriert, warum die USA unregierbar geworden sind: Die Vertreter des Volkes vertreten ihre eigenen oder Lobbyinteressen. Sie haben nicht mehr die Kraft, politische Entscheidungen zu treffen. Denn die Analyse des Gesundheitssystems zeigt, dass vom Saatgut bis zur Ernährung, von der Tierhaltung bis zu Preisgestaltung für gesunde Produkte, so ziemlich alles falsch läuft, was falsch laufen kann. Die Amerikaner sind in einem Maß fremdbestimmt wie sie es sich nicht denken konnten. Das gilt für die einzelnen und für das ganze politische Getriebe.
Daher gibt es die massive Entsolidarisierung, die Spaltung und die geradezu neurotische Politisierung des Alltags. Man hat den Eindruck, dass die inneren Verwicklungen der Politik-Industrie in Washington sich wie Mehltau über alle gesellschaftlichen Bereiche gelegt haben. Wie schon bei den vom Geld dominierten Präsidentschaftswahlen geht es auch bei allen politischen Reformen nicht um grundsätzliche gesellschaftspolitische Weichenstellungen, sondern um die Frage, wer am meisten aus einer Gesetzgebung herausschlagen kann – und zwar ganz handfest im materiellen Sinn. Diese Frage ist verbunden mit der Frage, wer das alles bezahlen soll – und da können sich alle Parteien und ihre angeschlossenen Stimmungsmacher immer verständigen – es ist der Steuerzahler, der zahlt; oder die Bürger, die entbehren müssen.
Die Prozesse sind morsch geworden, weil in jedem Politikfeld nicht repräsentativ, sondern ausschließlich manipulativ regiert wird: Schon Präsident Barack Obama bekam das zu spüren, etwa in der Außenpolitik, wo Geheimdienste und der militärisch-industrielle Komplex sich kaum noch die Mühe machten, ihr Eigenleben zu camouflieren und wenigsten den Anschein einer funktionierenden Gewaltenteilung zu wahren. Obama kämpfte lange, resignierte jedoch schließlich und fügte sich ins scheinbar Unveränderliche.
Die Allgegenwart des „tiefen Staats“ umfasst aber nicht nur Militär, Technologiefirmen und Geheimdienste. Es gibt ihn in jedem Bereich: Bei der Gesundheit sind es die Versicherungen und Pharmaunternehmen, bei der Ernährung die Saatgut-Konzerne, bei mangelnden Mobilitätskonzepten die Autolobby.
Für viele Amerikaner war Donald Trump der Hoffnungsträger. Seine erste Reaktion nach der Schlappe bei der Gesundheitsreform ist desillusionierend: Trump schiebt die Schuld den Demokraten in die Schuhe, obwohl seine eigene Partei eine Mehrheit hat. Er wirkt beleidigt und legt zugleich eine unangenehme Nibelungentreue gegenüber dem „freedom caucus“ an den Tag, also jener Gruppe, die das Scheitern der Reform zu verantworten haben. Der Geist des unabhängigen Trump ist verflogen, wenn er sagt, dass diese Separatisten „gute Leute“ und seine „Freunde“ seien (Video am Anfang des Artikels).
Die Schlappe bei Obamacare ist aber auch eine verheerende Niederlage für die Republikaner: Sieben Jahre hatten sie Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Nun wirbt Paul Ryan bei der Pressekonferenz um Verständnis, dass die Partei so lange in der Opposition gewesen sei und des Regierens nicht mehr mächtig! In einer anständigen Demokratie wird, wenn überhaupt, die Regierung korrumpiert, wenn sie zu lange an der Macht ist. Dass die Absenz von der Macht aber zur politischen Impotenz führt, ist eine neue, unerfreuliche Erkenntnis.
Der Sumpf, den Trump trockenzulegen auszog, droht den Präsidenten hinunterzuziehen. Er muss nun seine anderen Versprechen ohne Gegenfinanzierung umsetzen. Die Republikaner rechnen, dass ihnen etwa eine Billion Dollar fehlt, weil Obamacare weiterläuft. Das mag im Hinblick auf die wahnwitzigen Militärbudgets ganz positiv sein. Für den Welthandel und die Konjunktur ist es negativ, weil auch die groß angekündigten Infrastrukturprojekte plötzliche ohne Finanzierung dastehen. Das Drama wird durch die Schuldenobergrenze verschärft, die die Amerikaner jetzt schon erreicht haben. Steuersenkungen sind vor diesem Hintergrund der reine Harakiri.
Donald Trump bringt die Niederlage bei der Gesundheit die bittere Erfahrung: Er ist Präsident in einem unregierbar gewordenen Land. Die Methoden, die er aus seinem Unternehmerleben mitgebracht hat, sie funktionieren in der Politik nicht: Er kann niemanden feuern, er kann niemandem etwas befehlen, seine Marketing-Parolen richten sich gegen ihn selbst, sobald er nicht liefert. Er ist ein General, dessen Truppen auf ihn aus dem Hinterhalt schießen. Ein Dirigent, dem die Musiker den Rücken zudrehen. Ein Küchenchef, dem seine Leute Zement in die Suppe werfen statt Salz. Sobald der Reiz des Neuen verfolgen ist, wird Trump, der stets auf kurzfristige Reize angesprungen ist, resignieren. Niemand kann sagen, ob es, wie bei Obama, bei der inneren Emigration bleibt; bei der, wie man in einem Unternehmen sagen würde, stillen Kündigung bei vollen Bezügen.