Finanzen

Schwaches Pfund: Spekulanten steigen in britische Unternehmen ein

Investoren nutzen die Vorteile des schwachen Pfund, um in den britischen Markt einzusteigen. Da eine weitere Abwertung wahrscheinlich ist, dürften weitere Investitionen folgen.
01.04.2017 02:41
Lesezeit: 4 min

Das vergleichsweise schwache Pfund hat Investitionen in der britischen Wirtschaft attraktiver gemacht. Erste Spekulanten haben bereits investiert, obwohl es sich um schwach aufgestellte Unternehmen mit schlechter Bonität handelt.

Wie Bloomberg berichtet, gehört zu diesen der Chef des Nomura Global Dynamic Bond Fund, Richard Hodges, welcher rund 100 Millionen Dollar verwaltet. Nomura ist ein großes, im Leitindex Nikkei 225 gelistetes japanisches Finanzunternehmen. Hodges veranlasste in den vergangenen Wochen Investitionen des Fonds in britische Einzelhändler und Kreditkarten-Unternehmen, weil er mit einem schrittweisen, langen Austrittsprozess Großbritanniens aus der EU rechnet, welcher aus seiner Sicht keine sonderlich große Belastung für die britische Wirtschaft darstellen wird, berichtet Bloomberg.

Der Nomura-Fonds kaufte unter anderem Anleihen der angeschlagenen Modekette New Look im Umfang von 700 Millionen Pfund (etwa 800 Millionen Euro), deren Bonität erst kürzlich durch die Ratingagentur Standard & Poor’s herabgestuft wurde. New Look hatte im ersten Quartal einen Gewinnrückgang von 20 Prozent gemeldet und diesen mit einem „herausfordernden Umfeld“ gerechtfertigt. Der Fonds investierte darüber hinaus in das Kreditkartenunternehmen NewDay – offenbar in der Hoffnung, dass die Bereitschaft der Briten zur Konsum-Verschuldung zunehmen werde.

„Ich erwarte, dass sich die Austrittsverhandlungen über einen längeren Zeitraum von bis zu fünf Jahren hinziehen werden. Dann hat die britische Wirtschaft die Chance, sich schrittweise an die Veränderungen zu gewöhnen“, wird Hodges zitiert.

Zu den Investoren, die Vorteile in Großbritannien erkennen, gehört auch der japanische Autobauer Nissan. Das neue Modell Qashqai und die nächste Version des X-Trail sollen in der größten britischen Autofabrik in Sunderland gebaut werden, teilte das Unternehmen im Oktober mit. Damit sollen mindestens 7.000 Arbeitsplätze gesichert werden. Die britische Regierung bemüht sich vor den Verhandlungen mit der EU, die Sorgen internationaler Investoren vor enormen Folgekosten zu dämpfen. Der für den Austrittsprozess zuständige Minister David Davis sagte am Donnerstag, er erwarte beim EU-Austritt keine Abschlussrechnung in Höhe von 50 Milliarden Pfund. Um Rechtsunsicherheiten in der Wirtschaft vorzubeugen, will die Regierung in London außerdem große Teile des EU-Rechts in das nationale Recht überführen, berichtet Reuters.

Auch an den Kapitalmärkten erkennen Investoren Chancen im britischen Markt. Wie Bloomberg berichtet, haben diese am vergangenen Mittwoch von der Lieferung von Staatsanleihen des Landes bei 38.271 Termingeschäften Gebrauch gemacht. Anleihen im Gesamtwert von etwa 3,8 Milliarden Pfund (4,4 Milliarden Euro) wurden dabei gekauft – offenbar in der Erwartung, dass die britische Wirtschaft einen verlängerten Austrittsprozess gut übersteht.

Die schwache britische Währung macht Investitionen für ausländische Unternehmen in Großbritannien derzeit attraktiv. Der US-Dollar befindet sich seit etwa drei Jahren in einer Stärkephase gegenüber dem Pfund. Vor drei Jahren mussten noch fast 1,70 Dollar je Pfund Sterling gezahlt werden. Vor einem Jahr lag der Kurs dann bei etwa 1,45 Dollar. Derzeit liegt er bei etwa 1,25 Dollar. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Euro. Im Jahr 2015 mussten noch etwa 1,40 Euro pro Pfund gezahlt werden, derzeit müssen etwa 1,15 Euro aufgewendet werden.

Zahlreiche Beobachter erwarten eine weitere Abwertung der britischen Landeswährung. „Das Britische Pfund schwächte sich anhaltend ab. Die Währung verlor seit dem Referendum gut 11 Prozent gegenüber dem Euro und sogar 16 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Schon im Vorfeld des Votums zeigte sich das Pfund schwächer. Die expansiven Maßnahmen der Bank of England erklären die Kursreaktion nur bedingt. Der Devisenmarkt sieht den Brexit offensichtlich weniger entspannt. Die rein wirtschaftliche Lage spräche eigentlich für ein stärkeres Pfund. Allerdings belastet die politische Unsicherheit, die sich in den nächsten Monaten je nach Stand der Verhandlungen sogar noch verschärfen könnte. Sollten sich zudem dann die konjunkturellen Schwächezeichen mehren, dürfte das Pfund noch etwas unter Druck geraten. Der Euro-Pfund-Kurs könnte phasenweise wieder bis 0,90 klettern“, schreibt die Helaba in ihrem aktuellen Devisenbericht.

Traditionell denkende Analysten verstehen die Welt nicht mehr: „Ich bin weiterhin besorgt, dass sich die Wirkung all der Pfund-negativen Nachrichten, die der Devisenmarkt in letzter Zeit genussvoll ignoriert, irgendwann plötzlich entfalten könnte“, kommentierte Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank in einer Analyse von Reuters. Bislang ließen die Neuigkeiten Anleger überraschend kalt. „Mir will nicht einleuchten, warum Nachrichten in Richtung schottischer Unabhängigkeit so völlig spurlos an den Pfund-Wechselkursen vorbeigehen.“

Die Erwartung einer stärkeren Abwertung hat mehrere Gründe, welche allesamt für ausländische Investoren neue Chancen ergeben könnten. Verantwortlich für die Schwäche der Währung ist vor allem das große Leistungsbilanzdefizit des Vereinigten Königreichs, berichtet die dpa. Die britische Wirtschaft importiert deutlich mehr als sie exportiert. Weil das finanziert werden muss, ist Großbritannien also auf Kapitalimporte aus dem Ausland angewiesen - und diese könnten durch den Brexit erschwert werden. Zudem dürfte der Handel mit der EU belastet und das Vertrauen in die britische Wirtschaft geschwächt werden. Schließlich ist die EU der mit Abstand wichtigste Handelspartner.

Wie nervös der Devisenmarkt ist, zeigte sich am vergangenen Mittwoch. Selbst die absehbare Austrittserklärung belastete das Pfund.

Die Kursverluste der britischen Währung belegten, wie anfällig das Pfund gegen jede Art von Brexit-Thema sei, kommentierte Craig Erlam vom Online-Broker Oanda. Das dürfte vorerst auch so bleiben.

„Zumindest den Marktteilnehmern scheint so langsam zu dämmern, was für eine Mammutaufgabe der Brexit wird“, sagte Thu Lan Nguyen, Devisenexpertin bei der Commerzbank. Tatsächlich ist der Zeitdruck enorm. Es sind nur zwei Jahre für die Austrittsverhandlungen vorgesehen. Die eigentliche Verhandlungszeit ist noch kürzer, da alle nationalen Parlamente innerhalb dieses Zeitraums zustimmen müssen. Wie ein Abkommen für die künftige Zusammenarbeit aussehen könnte, zeichnet sich noch nicht ab. Ein sogenannter „harter Brexit“ ohne eine Einigung wird auch von britischen Regierungspolitikern nicht mehr ausgeschlossen. Schließlich lehnt die Regierung mit der Personenfreizügigkeit eine der vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes ab. Bei einem „harten Brexit“ drohen Zölle und andere Handelshemmnisse.

Als ein zusätzlicher Belastungsfaktor für das Pfund könnte sich die Schottland-Frage erweisen. So hat sich das schottische Parlament am Dienstag erneut für ein Unabhängigkeitsreferendum ausgesprochen. Ob es nur wenige Jahre nach dem 2014 gescheiterten Referendum zu einer neuen Abstimmung kommt und wie diese ausgehen würde, ist vollkommen offen. Die Diskussionen darüber werden jedoch auch die Brexit-Verhandlungen erschweren und die Unsicherheit erhöhen.

Ein tatsächlicher Austritt Schottlands aus dem Königreich würde das britische Leistungsbilanzdefizit nochmals erhöhen, da die Öleinnahmen dann auf das Konto der Schotten gehen würden.

Das schwache Pfund wirkt sich neben tieferen Investitionskosten noch auf eine andere Weise positiv für Investoren aus. Es eröffnet der britischen Exportindustrie neue Handlungsspielräume, weil diese ihre Waren günstiger auf den Weltmärkten anbieten kann. Investoren, die ihr Geld in diesen Sektoren anlegen, könnten von den verbesserten Bedingungen profitieren.

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