Politik

Kafka in Brüssel: Bürokraten verhindern lebensrettendes Leber-Medikament

Ein kleines französisches Pharma-Unternehmen verklagt die EU-Kommission. Denn es wird von Brüssel daran gehindert, ein effektives Medikament auf den Markt zu bringen. Die EU-Mitgliedsländer befürworten das Medikament, werden allerdings von der Kommission mit rechtlichen Tricks umgangen.
14.02.2013 23:43
Lesezeit: 2 min

Aktuell:

Berlusconi: Ohne Korruption geht es nicht

Das kleine französische Pharma-Unternehmen CTRS und die EU-Kommission liefern sich aktuell einen heftigen Rechtsstreit. Dabei geht es um das Medikament Orphacol, das zur Behandlung von zwei extrem seltenen Leberkrankheiten dient. Doch die Kommission verweigert dem lebensrettenden Medikament die Zulassung in der EU.

Der Rechtsstreit zieht sich bereits seit drei Jahren hin. Und das Urteil wird nicht nur über das Leben der circa 90 betroffenen Leber-Patienten entscheiden. Es wird vielmehr auch einen Präzedenzfall darüber schaffen, was die EU-Bürokratie darf und was nicht.

Die positive Wirkung des Medikaments ist unbestritten. „Patienten, die todkrank sind und deren einzige Therapie-Option in einer Leber-Transplantation besteht, werden wieder normale Menschen ohne Zeichen einer Krankheit“, zitiert EUObserver Andreas Vogel von CTRS.

In Frankreich ist das Medikament längst zugelassen worden und wird dort derzeit zur Behandlung von 22 Patienten eingesetzt. Im Jahr 2009 beantragte CTRS auch die EU-weite Zulassung des Medikaments, und die Europäische Arzneimittel-Agentur sprach sich einstimmig dafür aus. Das letzte Wort bei einer Marktzulassung hat allerdings die EU-Kommission.

Doch die Art und Weise, wie bei der EU-Kommission rechtliche Entscheidungen getroffen werden, erinnert an Franz Kafkas surreale Geschichten. Zunächst forderte die EU-Kommission von der Europäischen Arzneimittel-Agentur eine bessere Begründung ihrer Zulassungsempfehlung. Daraufhin bestätigte die Agentur 2011 ihre Meinung und betonte, dass das Medikament von höchstem öffentlichem Interesse sei.

Aber die EU-Kommission war noch immer nicht zufrieden. Sie argumentierte, dass das kleine französische Labor keinen klinischen Nachweis erbracht habe. Daher sei das Labor nicht berechtigt, die Zulassung zu beantragen. Doch was die Kommission fordert, ist in diesem Fall  gar nicht möglich. „Ein kontrollierter klinischer Nachweis hätte bedeutet, einigen Patienten das Medikament vorzuenthalten“, sagte Andreas Vogel.

Im Juli 2011 entschied die Kommission, das Medikament nicht zuzulassen. Doch die Experten in den EU-Mitgliedsländern waren anderer Meinung und stimmten gegen die Entscheidung der Kommission. Dadurch ließ sich die Kommission allerdings nicht beirren. Sie ging gegen die Entscheidung der Mitgliedsländer in Berufung. Doch auch der Berufungsausschuss wies die Einsprüche der EU-Kommission zurück.

Nach dieser erneuten Niederlage für die Kommission bewegte sich der ganze Prozess in die rechtliche Grauzone. Denn die EU-Regeln für den Fall der Ablehnung durch die Mitgliedsländer sind unklar. Die Regeln besagen lediglich, dass die Kommission nicht ihre ursprüngliche Entscheidung verabschieden darf, also in diesem Fall die Zulassungsverweigerung für das Medikament.

Nun passierte eine Zeitlang gar nichts. Dann erhielt das französische Labor ein Schreiben der EU-Kommission. Darin erklärte die Kommission, dass sie die Markteinführung des Medikaments weder zulasse noch verbiete, berichtet EUobserver. Daraufhin entschied CTRS, die Kommission gerichtlich zu einer Entscheidung zu zwingen, und reichte Klage ein.

Währenddessen schickte die Kommission einen dritten Vorschlag an die EU-Mitgliedsländer, um das Medikament doch noch zu verbieten. Aber diesmal fiel der Termin für das Treffen auf einen Feiertag, sodass nicht ausreichend Mitgliedsländer vertreten waren, um den EU-Vorschlag erneut abzuweisen. Nun hatte die Kommission endlich das gewünschte Resultat. Sie konnte die Markteinführung von Orphacol verhindern.

Durch dieses geschickte Manöver konnte die Kommission auch die Klage gegen sie abwenden, sie solle über die Markteinführung entscheiden. Denn jetzt hatte sie das Medikament ja tatsächlich verboten. Doch die Richter waren vom Vorgehen der Kommission so irritiert, dass sie den Brüsseler Bürokraten die Gerichtskosten von CTRS in Rechnung stellte.

Nun hat CTRS die Kommission erneut verklagt. Und diesmal hat das französische Labor einige Mitgliedstaaten im Boot, die durch das Vorgehen der Kommission alarmiert sind. Sie wollen rechtliche Klarheit. „Wir wollen wissen, ob es möglich ist, dass die Kommission eine Vorlage so oft einbringen kann, wie sie will, bis sie die Entscheidung erhält, die sie will“, zitiert EUObserver den CTRS-Chef Antoine Ferry.

Weitere Themen

Deutscher Ernst von Freyberg wird neuer Chef der Vatikan-Bank

EU verlangt Renten-Kürzung in Frankreich, Hollande fürchtet Volksaufstand

Ein Funke genügt: G7 bekommen Währungs-Krieg nicht unter Kontrolle

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Mulfin Trade hat seine Schutzsysteme für mehr Sicherheit aktualisiert

Der Schutz persönlicher Daten ist einer der Schlüsselfaktoren, die das Vertrauen der Kunden in einen Service beeinflussen. Mulfin Trade...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech
06.06.2025

Während Europa an bahnbrechenden Technologien tüftelt, fließt das große Geld aus den USA. Wenn Europa jetzt nicht handelt, gehört die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Verteidigung der Zukunft: Hensoldt rüstet Europa mit Hightech auf
06.06.2025

Kaum ein Rüstungsunternehmen in Europa hat sich in den vergangenen Jahren so grundlegend gewandelt wie Hensoldt. Aus einer ehemaligen...

DWN
Politik
Politik Trump gegen Europa: Ein ideologischer Feldzug beginnt
06.06.2025

Donald Trump hat Europa zum ideologischen Feind erklärt – und arbeitet systematisch daran, den Kontinent nach seinen Vorstellungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die wertvollsten Marken der Welt: Top 5 fest in US-Hand
06.06.2025

Während die Weltwirtschaft stagniert, explodieren die Markenwerte amerikanischer Konzerne. Apple regiert unangefochten – China und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Star-Investorin: „Wir erleben eine neue Generation von KI-Gründern“
06.06.2025

US-Chaos, Trump und Kapitalflucht: Europas KI-Talente kehren dem Silicon Valley den Rücken – und bauen die Tech-Giganten der Zukunft vor...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Konjunkturprognose unter Druck: Wie der Zollstreit Deutschlands Exporte trifft
06.06.2025

Zölle, Exporteinbrüche und schwache Industrieproduktion setzen Deutschlands Wirtschaft zu. Die aktuelle Konjunkturprognose gibt wenig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Internationale Handelskonflikte: So schützen sich exportorientierte KMU
06.06.2025

Ob Strafzölle, Exportverbote oder politische Sanktionen – internationale Handelskonflikte bedrohen zunehmend die Geschäftsmodelle...

DWN
Panorama
Panorama Musk gegen Trump: Politische Zweckbeziehung artet in öffentlichen Machtkampf aus – die Tesla-Aktie leidet
06.06.2025

Elon Musk und Donald Trump galten als Zweckbündnis mit Einfluss – doch nun eskaliert der Streit. Was steckt hinter dem Zerwürfnis der...