Die EU-Kommission hat Ungarns Regierungschef Viktor Orban im Streit um aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine letzte Warnung erteilt. Die Behörde leitete am Mittwoch die zweite Stufe ihres Vertragsverletzungsverfahrens gegen Budapest ein, wie AFP berichtet. Die ungarische Regierung hat damit noch einen Monat, die Bedenken der Kommission auszuräumen. Andernfalls droht die Kommission mit dem Gang vor den Europäischen Gerichtshof.
Ungarn hatte das NGO-Gesetz im Juni verabschiedet. Demnach müssen sich Organisationen, die jährlich mehr als 24.000 Euro an Geldern aus dem Ausland erhalten, registrieren lassen. Sie sind dann verpflichtet, in sämtlichen Veröffentlichungen anzugeben, dass sie „vom Ausland unterstützte Organisationen“ sind. Zudem müssen sie dem Staat ihre Finanzquellen offenlegen. Bei Nichterfüllung drohen Geldbußen und die Schließung.
Hintergrund der Maßnahmen Ungarns ist der Verdacht, dass Geheimdienste in der Vergangenheit nicht selten unter dem Tarnmantel von Nichtregierungsorganisationen handelten. Russland ebenso wie Israel und China haben die Kontrolle über NGOs inzwischen deutlich verschärft.
Die Kommission hatte wegen des Gesetzes Mitte Juli ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Sie sieht in ihm einen Eingriff in die Vereinigungsfreiheit, die Verletzung des Rechts auf Privatsphäre und den Schutz persönlicher Daten sowie die Beschränkung der EU-Kapitalfreiheit, die Brüssel zufolge auch für Spenden gilt. Nicht für die Privatsphäre der Bürger eingeschritten war die Kommission, als die Bundesregierung vor wenigen Monaten ein weitreichendes Überwachungsgesetz verabschiedet hatte.
Bisher habe Budapest den „schwerwiegenden Bedenken“ der Kommission nicht Rechnung getragen, erklärte die Behörde am Mittwoch. Mit der zweiten Stufe schickt Brüssel nun eine begründete Stellungnahme an die ungarische Regierung. Kommt der Fall vor den EuGH, könnten Ungarn bei einem nachgewiesenen Verstoß gegen EU-Recht empfindliche Geldbußen drohen. Bereits im April hatte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen des neuen Hochschulgesetzes eingeleitet, das sich ebenfalls gegen mögliche Einflussnahme aus dem Ausland richtet. Es könnte das Aus für die vom US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) in Budapest bedeuten.