Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat im Dezember bei dem ersten Besuch eines türkischen Staatschefs in Griechenland seit 65 Jahren für Irritationen gesorgt. Wie der Guardian berichtet, habe Erdoğan seine Gastgeber überrascht, indem er eine Revision des Vertrages von Lausanne von 1923 forderte. Für diese Forderung erntet der türkische Präsident in der Türkei scharf Kritik von Seiten der Opposition.
Der Vertrag von Lausanne bildet den Abschluss des vierjährigen griechisch-türkischen Krieges, der vom britischen Premier David Lloyd George entfacht und gefördert wurde, und regelte die Grenzziehung zwischen Griechenland und der Türkei sowie die Rechte der religiösen Minderheit im jeweils anderen Land. Weitere Vertragspartner waren Großbritannien, Frankreich, Rumänien, Japan, Italien und das Königreich Jugoslawien. Der Vertrag bildet die Grundlage des modernen Griechenlands und der modernen Türkei.
Erdoğan warf bei seinem Besuch in Athen der griechischen Regierung vor, der türkischen Minderheit entgegen den Zusagen in dem Vertrag nicht die Wahl von Muftis zu erlauben. Stattdessen würden die religiösen Rechtsgelehrten von der Regierung ernannt.
„Dieser Vertrag ist für uns nicht verhandelbar. Er erfordert weder eine Revision noch eine Aktualisierung“, sagte der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos bei seiner Zusammenkunft mit Erdoğan in Athen. Der türkische Präsident hatte vor seiner Abreise nach Athen in einem Interview mit dem griechischen Sender Skai TV den Vertrag von Lausanne in Frage gestellt. Luftraum und die Seegrenze könnten „verbessert“ werden, sagte Erdoğan.
In dem Vertrag von Lausanne waren Griechenland 1923 praktisch alle Ägäis-Inseln vor der türkischen Küste zugeschlagen worden. Seitdem gibt es Streit um den genauen Verlauf der Grenze. Die Regierung in Athen reagierte verärgert und mahnte, Erdoğans Besuch solle „Brücken bauen, nicht Mauern“.
Seit mehreren Monaten fühlt sich die Türkei in der Ägäis von Griechenland provoziert. Am 16. April 2017 flogen der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos und der Oberkommandierende der griechischen Streitkräfte, Alkiviadis Stefanis, auf die Insel Agathonisi direkt vor der türkischen Küste, berichtet die griechische Tageszeitung Elefteros Typos. Dort führten sie mit mehreren Soldaten eine Aktion durch. Es wurden gemeinsam Lämmer am Spieß gebraten. Diese symbolische Aktion geht auf die griechische Besatzung der Türkei von 1919 bis 1922 zurück. Damals hatten die griechischen Besatzer in den eroberten Gebieten der Türkei demonstrativ Lämmer am Spieß gebraten, um den Türken zu verdeutlichen, dass sie am Ende seien, berichtet die Zeitung Sözcü.
„Gewisse Dinge müssen sich ändern“, forderte Erdoğan. Der Schutz der Rechte der ethnischen Türken habe für ihn „Top-Priorität“. Er will am Freitag die türkische Minderheit in der nordgriechischen Region Thrakien besuchen. Erdoğan war 2004 und 2010 als Regierungschef zwei Mal in Athen. Es ist aber der erste Besuch eines türkischen Staatschefs in Griechenland seit 1952.
Erdoğan kritisierte in Athen auch die Umsetzung des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei. Die EU habe „keines ihrer Versprechen im wirtschaftlichen Bereich erfüllt“, wohingegen sein Land alle Zusagen eingehalten habe, sagte Erdoğan. Er wirft der EU seit langem vor, nicht ihren Teil des Abkommens von März 2016 zu erfüllen, darunter die Zahlung von Hilfsgeldern.
Ministerpräsident Alexis Tsipras lud Erdoğan bei einer gemeinsamen Pressekonferenz ein, „ein neues Kapitel in den griechisch-türkischen Beziehungen aufzuschlagen, das nicht auf Provokationen begründet ist“. Zudem drängte er ihn, Reformen in der Türkei zu beschleunigen. Der Beitrittsprozess der Türkei zur EU ist seit dem Putschversuch von Juli 2016 und der anschließenden massiven Repression gegen Oppositionelle an einem toten Punkt.
Unter Erdoğans Regierung hat sich das historisch schwierige Verhältnis zu Griechenland eigentlich verbessert, und Erdoğan unterhält gute Beziehungen zu Tsipras. Ankara wirft dem Nachbarn aber vor, Beteiligten am gescheiterten Militärputsch Zuflucht zu bieten. Tsipras versicherte vor Erdoğans Besuch, Putsch-Verdächtige seien „nicht willkommen“ in Griechenland.
Besonders brisant ist der Fall von acht Militärangehörigen, die nach dem Putschversuch in einem Hubschrauber nach Griechenland geflohen waren. Erdoğan beklagte in dem Interview am Mittwoch, Tsipras habe deren Auslieferung an die Türkei versprochen, doch sei dies noch immer nicht geschehen. Wenn die Frage in den Händen der Justiz bliebe, werde es kein Ergebnis geben, sagte er.