In der türkischen Wirtschaft könnte es in den kommenden Monaten zu einer Welle an Unternehmens-Bankrotten kommen. Ursächlich für die negativen Einschätzungen vieler Beobachter ist der starke Verfall der Landeswährung Lira, welche in den vergangenen Jahren gegenüber dem US-Dollar und dem Euro massiv an Wert eingebüßt hatte.
Zum Euro entwertete sich die Lira in den vergangenen 5 Jahren um mehr als die Hälfte von etwa 2,30 Lira auf aktuell etwa 5 Lira. Das gleiche Bild zeigt sich im Vergleich zum Dollar. Dieser wertete gegenüber der Lira im gleichen Zeitraum von etwa 1,70 Lira für den Dollar auf aktuell rund 4,10 Lira auf.
Da türkische Unternehmen in den vergangenen Jahren vermehrt Kredite in diesen beiden Währungen aufgenommen hatten, verschärfen sich die Rückzahlungsbedingungen mit dem anhaltenden Wertverlust der Lira, weil Zins- und Tilgungskosten in den Fremdwährungen steigen.
Die Gesamtschulden türkischer Unternehmen – sowohl jene in ausländischer Währung als auch jene in Lira – haben inzwischen einen Umfang von rund 70 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erreicht, berichtet die Financial Times. Noch im Jahr 2005 – vor der Regierungszeit von Präsident Recep Erdogan – lag diese Quote bei etwa 20 Prozent.
„Mehr als die Hälfte der Gesamtschulden sind in ausländischen Währungen notiert. Je schwächer die Lira also wird, desto mehrt zehrt die Abwertung die Gewinne der Firmen auf und stört ihre Bilanzen“, wird ein Analyst am Institute of International Finance in Washington von der FT zitiert.
Noch werden die Währungsverluste im Kreditgeschäft von einer wirtschaftlichen Expansion überdeckt. Angaben der Regierung zufolge wuchs die türkische Wirtschaft im vergangenen Jahr um 7,4 Prozent und damit stärker als in jedem anderen Land der G20.
Die anhaltende Schwäche der Lira jedoch ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass Investoren die Aussichten für die Wirtschaft negativ einschätzen. Zudem hat die politische Unsicherheit im Zuge der türkischen Invasion in Syrien dazu geführt, dass sich ein Teil der potentiellen Investoren zurückhält und die weitere Entwicklung beobachtet. Bemerkenswerterweise schreibt die FT, dass der Hauptgrund – der zur überraschenden Ausrufung von Neuwahlen im Juni geführt hatte – Bedenken Erdogans vor einer wirtschaftlichen Eintrübung seien.
Der Hauptgrund für die Lira-Schwäche wird in den negativen Handelsbilanzen gesehen, welche die Türkei seit Jahren erwirtschaftet und deren Defizit sich 2017 auf 5,6 Prozent der Wirtschaftsleistung belief. Einem traditionell starken Binnenkonsum stehen seit Jahren keine ausreichend hohen Exporte gegenüber.
„Um die Lücke zu schließen, braucht die Türkei Finanzierungen aus dem Ausland. Nervosität wegen des politischen Klimas im Land haben langfristige Investoren abgeschreckt. Stattdessen ist die Türkei von kurzfristigen ‚Hot Money‘-Schuldenströmen abhängig, die sehr schnell austrocknen können, wenn sich die Stimmung an den internationalen Finanzmärkten dreht. Die Devisenreserven der Zentralbanken liegen unter 90 Milliarden Dollar und decken damit nur etwa Hälfte der Schulden ab, die bald ausgezahlt oder durch neue Schulden verlängert werden müssen“, schreibt die FT.
Ein Weg, die Lira bei ausländischen Händlern wieder beliebter zu machen, wäre eine Anhebung der Leitzinsen. Diese hatte Erdogan der Zentralbank in den vergangenen Jahren jedoch faktisch untersagt, um das schuldenfinanzierte Wirtschaftswachstum und damit seine Herrschaft nicht zu gefährden.
Die türkische Zentralbank hatte angesichts des anhaltenden Verfalls der Lira am Mittwoch allerdings einen wichtigen Zinssatz angehoben. Wie die Zentralbank auf ihrer Website mitteilte, wurde der Satz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um 75 Basispunkte von 12,75 auf 13,50 Prozent angehoben. Die türkische Lira stieg nach der Entscheidung leicht um 0,7 Prozent auf 4,09 zum Dollar. Die anderen Zinssätze wurden unverändert gelassen.
Noch erwirtschaften die allermeisten Unternehmen des Landes Gewinne und können ihre Verbindlichkeiten begleichen. Die strukturellen Probleme sind jedoch weiterhin ungelöst. Der Ökonom James Rickards stuft die Türkei deshalb als einen möglichen Kandidaten zur Auslösung der nächsten Weltfinanzkrise ein.
„Die Wirtschaft leiden an fundamentalen Problemen, die sich in den vergangenen 50 Jahren nicht geändert haben. Jede Regierung treibt das Wachstum voran, doch die Spar-Raten der Bevölkerung sind nicht hoch genug, um das Wachstum zu untermauern. Deshalb braucht die Wirtschaft ausländisches Kapital. Die Wahrheit ist, dass die türkische Volkswirtschaft von einer Krise in die nächste taumelt – typischerweise eine Währungskrise. Wir hatten diese in den 1960ern, in den späten 1970ern, im Jahr 1994 und im Jahr 2001“, sagt der ehemalige Zentralbankchef Bülent Gültekin.
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