Die britische Regierung strebt bei den Verhandlungen über einen Austritt aus der Europäischen Union eine Freihandelszone für Waren an. Dies teilte Premierministerin Theresa May am Freitagabend nach stundenlangen Gesprächen mit ihrem Kabinett hinter verschlossenen Türen auf ihrem Landsitz Chequers mit. Der Dienstleistungssektor soll dagegen nicht den gegenwärtigen Zugang zum EU-Raum beibehalten. Großbritannien soll demnach die Möglichkeit haben, eigene Einfuhrzölle zu verhängen und neue Handelsabkommen zu schließen. In Zukunft soll das Parlament auch entscheiden können, ob europäische Regeln und Vorschriften befolgt werden.
In einer ersten Reaktion auf Twitter erklärte der EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, die Vorschläge würden darauf geprüft, ob sie "umsetzbar und realistisch" seien. In Großbritannien selbst zeigten sich Pro- wie Anti-EU-Vertreter unglücklich. Der Vorsitzende der Gruppe Leave Means Leave, John Longworth, warf May vor, die Brexit-Befürworter zu täuschen: Die Vorschläge liefen auf einen "fake Brexit" hinaus. Dagegen erklärte der pro-europäische Labour-Abgeordnete Chuka Umunna, die Vereinbarung sei "eine neue Flickschusterei hinter verschlossenen Türen, mit der wir alle schlechter dastehen würden".
In der britischen Regierung waren zuletzt tiefe Gräben bezüglich des Brexit sichtbar. Durch die Uneinigkeit sind auch die Austrittsverhandlungen mit der EU nahezu zum Stillstand gekommen. Die Zeitung "Times" berichtete am späten Freitagabend ohne Angabe einer Quelle, May habe nun eine harte Haltung gegenüber ihrem Kabinett eingenommen. Sie habe hochrangigen Verbündeten erklärt, sie werde den Brexit-Befürworter Boris Johnson als Außenminister feuern, sollte er versuchen, "den Friedensvertrag zu untergraben". Laut FT sagte May zu den Brexit-Hardlinern, dass sie, wenn sie ihren Job wegen der weichen Linie aufgeben sollten, würde es ihnen nicht mehr gestattet sein, mit ihren Dienstwägen von Chequers nach London zurückzukehren.
Großbritannien soll in neun Monaten aus der EU austreten, in etwas mehr als drei Monaten will die EU ein fertiges Abkommen haben. Noch am Freitag hatte Airbus-Chef Tom Enders vor einem Austritt ohne Einigung gewarnt.