Wirtschaft

Analysten: Merkels Wende in der Energie-Politik

Bundeskanzlerin Angela Merkel will aus geopolitischen Gründen Flüssiggas aus den USA importieren, obwohl dieses teurer ist als russisches Gas.
27.10.2018 01:33
Lesezeit: 2 min

Am 23. Oktober 2018 berichtete das Wall Street Journal, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang des Monats der Regierung Unterstützung für die Öffnung Deutschlands für US-Flüssigerdgas (US-LNG) angeboten habe. Dies sei ein wichtiges Zugeständnis an US-Präsident Donald Trump, um den Einfluss Russlands auf Europas Energiemarkt zu verringern, argumentiert das Blatt. Merkel zufolge habe die Bundesregierung beschlossen, in Norddeutschland ein LNG-Terminal im Wert von 576 Millionen Dollar mitzufinanzieren, um US-LNG zu importieren. Das Projekt wurde Berichten zufolge wegen mangelnder staatlicher Unterstützung für mindestens ein Jahrzehnt verschoben.

Oilprice.com analysiert, dass das Einlenken Merkels als geopolitischer Sieg Trumps gewertet werden müsse. Der US-Präsident hatte zuvor gesagt, es sei unangemessen, dass die USA für den Schutz Europas vor Russland bezahle, während Deutschland Gasgeschäfte mit Russland abwickelt. Er kritisierte vor allem das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2.

Die Regierung in Warschau unterstützt diese Haltung der USA. US-Präsident Donald Trump und sein polnischer Amtskollege Andrzej Duda hatten bei einem Treffen im Weißen Haus im September 2018 vereinbart, ihre Anstrengungen gegen Nord Stream 2 zu koordinieren. Trump erklärte zugleich, die USA planten keine Sanktionen gegen Unternehmen, die sich an dem russischen Vorhaben beteiligten.

Moskau und Berlin behaupten, dass Nordstream 2 ein rein kommerzielles Projekt ist. Russland weist darauf hin, dass Pipelinegas weitaus günstiger als LNG ist. Die Brookings Institution führt in einem Bericht aus, dass LNG grundsätzlich teurer sei als russisches Gas. Die US-Denkfabrik wörtlich: “Wir sind der Ansicht, dass der Markt angesichts rückläufiger Inlandsproduktion in Großbritannien und den Niederlanden und rückläufiger Produktion in wichtigen Lieferländern wie Norwegen und Algerien zunehmend dazu führen wird, dass die russische Erdgasversorgung diese Versorgungslücke schließt. Dies liegt daran, dass LNG teurer ist und es viele Jahre dauern wird, bis andere wettbewerbsfähige Vorräte, beispielsweise aus der kaspischen Region, auf den Markt kommen.”

Oilprice.com bestätigt, dass US-LNG im Vergleich zu russisches Gas einen Kostennachteil aufweist.  Das Magazin wörtlich: “Unter Zugrundelegung eines Henry-Hub-Gaspreises von 2,85 US-Dollar / MMBtu (MMBBtu umschreibt den Erdgaspreis an der Börse und bedeutet Millionen British Thermal Unit, Anm. d. Red.) als Basis schätzte Gazprom vor kurzem, dass die Kosten für die Verarbeitung und den Transport von LNG aus den USA in Europa 6,0 US-Dollar / MMBtu oder höher angesiedelt sein müssten - ein steiler Preisaufschlag (...) Russisches Gas wird auf den europäischen Märkten für rund 5,0 US-Dollar / MMBtu verkauft und könnte in Zukunft sogar zu niedrigeren Preisen gehandelt werden, da Gazprom die Ölpreisindexierung der Ware aufhebt.”

Die Gaspipeline mit einem Wert von elf Milliarden Dollar wird sich über 1.222 Kilometer erstrecken und auf dem Grund der Ostsee von russischen Gasfeldern nach Deutschland verlaufen, wobei bestehende Landwege über die Ukraine, Polen und Weißrussland umgangen werden. Sie würde die derzeitige jährliche Kapazität der Nord Stream 1-Pipeline von 55 Milliarden Kubikmeter verdoppeln und voraussichtlich Ende nächsten Jahres in Betrieb gehen.

Das Angebot Merkels, künftig auch US-LNG importieren zu wollen, ist nicht nur auf die Tatsache zurückzuführen, dass die USA die deutsche Wirtschaft durch Strafzölle schwer treffen können. Deutschland benötige auch die Führungsrolle der USA innerhalb der NATO und in Europa, so Oilprice.com.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen
11.05.2025

Zum Europatag 2025 richtet sich der Blick erneut nach Berlin. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch – nicht nur innerhalb der Union,...

DWN
Finanzen
Finanzen Börsenkrisen: Warum Volatilität kein Risiko ist
11.05.2025

Wenn die Börsen Achterbahn fahren, zittern viele Anleger. Doch Panik ist oft der schlechteste Berater – denn was aussieht wie ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.

DWN
Finanzen
Finanzen Warren Buffett: Was wir von seinem Rückzug wirklich lernen müssen
10.05.2025

Nach sechs Jahrzehnten an der Spitze von Berkshire Hathaway verabschiedet sich Warren Buffett aus dem aktiven Management – und mit ihm...