Jeremy Corbyn, der Chef der britischen Labour-Partei, will die britischen Stromnetze zu einem vom Parlament festgelegten Preis enteignen und verstaatlichen. Dies berichtete am Dienstag der Telegraph mit Bezug auf ein durchgesickertes Dokument der Partei.
Den Plänen der Labour-Partei zufolge sollen "unmittelbar" nach ihrem Wahlsieg alle Energieversorgungsunternehmen des Landes in Staatseigentum übergehen. Diese haben eine Marktkapitalisierung von insgesamt 62 Milliarden Pfund.
Die Labour-Partei plant, die gleichen Rechtsmittel einzusetzen wie bei der Verstaatlichung von Northern Rock. Die Bank wurde im Jahr 2008 verstaatlicht. Den Preis legte ein Gremium fest, das von der damaligen Labour-Regierung eingesetzt worden war.
Labour will alle Netzbetreiber verstaatlichen
Zu den Zielen von Labour gehören unter anderem der Energieriese National Grid mit einer Marktkapitalisierung von über 29 Milliarden Pfund sowie die Netzsparten von SSE und Scottish Power, die neben British Gas, EDF Energy, E.ON und Npower, zu den sechs großen Energieversorgern des Landes gehören.
Außerdem umfasst die von der Labour-Partei geplante Verstaatlichung auch alle 19 kleineren regionalen Gas- und Stromnetze in Großbritannien sowie die massiven Unterwasserkabel, welche die britische Insel mit Europa verbinden.
Entschädigung in Form von Staatsanleihen
Im Gegenzug für ihre Unternehmen will Parteichef Jeremy Corbyn die Aktionäre der Netzbetreiber nicht etwa in Form von Geld entschädigen. Vielmehr sollen die betroffenen Banken und Pensionsfonds britische Staatsanleihen erhalten.
Den Umfang der Entschädigung soll nach dem Willen der Labour-Partei das Parlament festlegen. Sollte die Kompensation zu gering ausfallen, sind von Seite der Investoren rechtliche Gegenreaktionen gegen die Regierung zu erwarten.
Doch die Labour-Partei ist der Ansicht, dass der von Northern Rock geschaffene Präzedenzfall bedeutet, dass die Regierung einen Preis unterhalb des Marktwerts der Unternehmen anbieten kann, indem sie eine Reihe von Kosten von der Endsumme abzieht.
So könnte die Regierung den enteigneten Unternehmen die Defizite ihrer Pensionskassen in Rechnung stellen oder Subventionen zurückfordern, die den Energieunternehmen seit der Privatisierung gewährt worden sind. Auch könnte sie eine Entschädigung für reparaturbedürftige oder überflüssige Infrastruktur verweigern.
Nach den Labour-Plänen werden die Energieunternehmen unter die Kontrolle einer neu gegründeten öffentlichen Einrichtung fallen, der Nationalen Energieagentur. Als eigenständige Organisation im Auftrag des Staates soll sie das Energiesystem kontrollieren und die Hochspannungsleitungen betreiben.
Netzbetreiber warnt vor Rückschritt beim Klimaschutz
Ein Sprecher von National Grid warnte, dass ein Verstaatlichung "nur dazu dienen würde, die enormen Investitionen zu verzögern", die erforderlich seien, damit Großbritannien eine Führungsrolle in der grünen Wirtschaft übernehmen kann.
"In einer Zeit, wo es immer dringlicher wird, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen, sind die enorme Ablenkung, die Kosten und die Komplexität dieser Pläne das Letzte, was wir brauchen", sagte ein Sprecher.
Tatsächlich ist Großbritannien im Kampf gegen den Klimawandel ein Vorreiter. Anfang Mai gelang es dem Land erstmals seit der Inbetriebnahme des ersten Kohlekraftwerks im Jahr 1882 eine ganze Woche ohne Kohlestrom auszukommen.
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