Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten dokumentieren im Folgenden die interessanten Berechnungen der Deka Bank Research im Wortlaut.
Die deutschen Anleger haben ein unterschätztes Problem.
Derzeit sind die Zinsen für Anlagen in sichere, fest verzinsliche Produkte wie Termingelder, Spareinlagen oder auch Bundesanleihen deutlich niedriger als die Inflationsrate. Damit ist die reale Verzinsung, d.h. Zinsen minus Inflation, negativ. Der Sparer tappt in die so genannte „Realzinsfalle“. Das angelegte Geld verliert also stetig an Kaufkraft. Ursache ist die so genannte finanzielle Repression, in der Staaten versuchen, über Regulierung finanzielle Mittel von den Privaten zum Staat umzuleiten, um dessen Entschuldung zu erleichtern. Sichtbar wird dies u.a. in ungewöhnlich niedrigen Zinsen.
Wie hoch sind die Effekte der finanziellen Repression?
Die Quantifizierung der Effekte finanzieller Repression ist sehr umstritten, weil die Effekte der finanziellen Repression äußerst vielfältig sind. Die niedrigen Zinsen vernichten Vermögen nicht nominal, sondern es wird lediglich die Kaufkraft geringer. Das ist ein feiner Unterschied, der zwar am Ergebnis nichts ändert (das Vermögen wird weniger wert), aber dennoch bewirkt, dass diese Folgen nicht jedem sofort (manchen überhaupt nicht) bewusst werden: 1000 Euro Termineinlage am Jahresanfang bleiben 1000 Euro am Jahresende. Nominal ist nichts verloren, aber dass der Preisindex für die Lebenshaltung in der gleichen Zeit etwa um 1,5 bis 2 % gestiegen ist, bekommt man gedanklich nicht unbedingt sofort zusammen. Die Ökonomen sagen dazu: Geldillusion. Es ist vom Ergebnis her gleich ärgerlich wie ein nominaler Rückgang der Einlage, etwa durch Schuldenschnitt oder Besteuerung, aber weniger fühlbar und damit politisch wesentlich leichter durchsetzbar.
Die Fakten:
Es ist sehr schwierig, konkrete Zahlen für die „Realwertverluste“ zu nennen. Für Deutschland können einige zahlenmäßige Illustrationen hilfreich sein:
Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland betrug Ende 2012 laut Deutscher Bundesbank 4,94 Bill. EUR. Davon waren 21,4 % (1,06 Bill. EUR) Bargeld und Sichteinlagen.
19,4 % (958 Mrd. EUR) waren Termin- und Spareinlagen sowie Sparbriefe.
22,5 % (1,11 Bill. EUR) waren Wertpapiere, davon grob geschätzt etwa die Hälfte Staatsanleihen und Pfandbriefe. Ansprüche gegenüber Versicherungen und aus Pensionsrückstellungen (einschl. „Sonstige“) beliefen sich auf 1,81 Bill. EUR (36,7 %).
Die exakte Verzinsung des deutschen Geldvermögens direkt aus den Beständen zu errechnen, ist nicht möglich, da die Daten (erwirtschaftete Renditen) fehlen: Die Verzinsung der Bestände müsste nach Anlagejahrgängen aufgeteilt werden, die Wertpapierbestände müssten zusätzlich nach Laufzeiten sortiert, die Versicherungsbestände bekannt sein usw.
Da dies kaum zu leisten ist, muss mit Annahmen gearbeitet werden (alternativ können die Zins- und Dividendenzahlungen der Deutschen durch den Wert des Geldvermögens geteilt werden, um eine Durchschnittsverzinsung zu erhalten, allerdings sind hier Daten und Abgrenzungen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mit Daten aus der Finanzierungsrechnung nicht unbedingt kompatibel).
Bei Bargeld und Sichteinlagen liegt die durchschnittliche Verzinsung nahe Null, ein Durchschnittszinssatz von 0,25 Prozent dürfte hier – in Anlehnung an Bundesbankdaten – realistisch sein.
Die Bundesbank kommt bei Einlagen bis zwei Jahren noch zu einem Effektivsatz von 1,43 % (Stand März 2013), bei Einlagen über 2 Jahre auf 2,10 %. Damit wären auf Termin- und Spareinlagen bei der jetzigen Inflationsrate von 1,6 % (unsere Erwartung für Deutschland 2013) lediglich geringe reale Verluste zu verzeichnen.
Die Wertpapiere der Deutschen beziehen sich etwa zur Hälfte auf Staatsanleihen und Pfandbriefe (Direktbestand und über Investmentfonds). Die andere Hälfte besteht aus Aktien (direkt oder über Fonds) und sonstige Beteiligungen (beispielsweise geschlossene Fonds). Hier eine exakte Durchschnittsverzinsung zu ermitteln, ist unmöglich, es erscheint bei Rentenpapieren allerdings (wg. Altbeständen) eine Verzinsung von noch etwa 3 % einigermaßen realistisch; bei Aktien als laufende Dividendenerträge ebenso. Dazu kommen die Kurssteigerungen: Da die Inflation derzeit bei den Vermögenswerten stattfindet, ist das eine ganz gute Absicherung gegen finanzielle Repression – zumindest solange solche Kurssteigerungen nachhaltig sind.
Versicherungen haben als Gegenwert für die Ansprüche ihrer Kunden (meistens Lebensversicherungen) ebenfalls hauptsächlich Anleihen (etwa zu 90 %). Da hier wenigstens ein Teil der Ansprüche fristenkongruent (also langfristig, also mit höheren Kupons aus der Vergangenheit) angelegt ist, liegt die gegenwärtige Durchschnittsverzinsung wohl noch in der Größenordnung von 3 ¾ Prozent, nachdem die Versicherungswirtschaft im Jahr 2011 noch gut 4 % Durchschnittsverzinsung ausgewiesen hatte.
Dagegen müsste man jetzt noch die Entlastungseffekte setzen, die sich dadurch ergeben, dass sich auch für die Verschuldung der privaten Haushalten Zinsvorteile ergeben (diese Verschuldung der privaten Haushalte liegt immerhin bei 1,55 Bill. EUR). Und dann müsste man auch noch den Unternehmenssektor berücksichtigen. Aber dann wird es endgültig unübersichtlich.
Das Ausmaß der Vermögensvernichtung:
Es ist nicht ganz leicht, das Ausmaß der Vermögensvernichtung durch Finanzrepression zu bestimmen, auch weil dieses Phänomen sich nicht auf negative Realzinsen beschränkt (bspw. die Frage, wie viele sinnvolle und vermögens- stiftende Investitionen durch die neuen Bankenregulierungen verhindert werden).
Die wesentliche Aussage lautet demnach, dass die absolute Brutto-Vermögensminderung sich noch in den Grenzen weniger Anlageklassen hält. Lediglich bei Bargeld und Sichteinlagen haben wir in diesem Jahr bei den privaten Haushalten in Deutschland jährliche reale Verluste in der Größenordnung von (bei einem negativen Realzins von - 1,35 % (0,25 % Verzinsung minus 1,6 % (unsere Inflationserwartung für Deutschland 2013)): 1,35 % mal 1,06 Bill EUR) = 14,3 Mrd EUR, das sind etwa 0,5 Prozent des BIP pro Jahr.
Berücksichtigt man zudem, dass auch in normalen Zeiten Bargeld (etwa 250 Mrd) eine negative Rendite in Höhe der Inflationsrate erbringt, zieht man diese Komponente wieder ab, bleiben 10,9 Mrd EUR (0,4 Prozent des BIP) – nicht wenig, aber im Vergleich zu manchen gemalten Horrorszenarien noch moderat, vor allem wenn man die Gegeneffekte von steigenden Wertpapierkursen und niedrigen Kreditzinsen mit berücksichtigt.
Aber: Mit jedem Jahr der weiteren Extrem-Niedrigverzinsung laufen alte höhere Zinsbindungen aus und werden durch den Fast-Nullzins ersetzt. Nach zehn Jahren Nullzinspolitik kann man sich im Extremfall vorstellen, dass fast das gesamte Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland hiervon erfasst wird, wenn sich dessen Struktur nicht hin zu mehr Sachanlagen ändert, die weiterhin von den Folgen der Niedrigzinsphase ausgenommen blieben. Das wären dann auf die heutigen Bestände und Zinsverhältnisse gerechnet: 4,3 Bill EUR (Geldvermögen ohne Aktien, Aktienfonds und sonstige Beteiligungen) mal 1,35 % (negativer Realzins) = 58,1 Mrd. EUR p.a. (2,2 % des BIP).
Vielleicht sollte man auch mit der Vorstellung von „Vermögensvernichtung“ etwas vorsichtiger sein. Denn das, was der Gläubiger (real) verliert, gewinnt der Schuldner. Es handelt sich also eher um eine Umverteilung. Im Fall des deutschen Geldvermögens ist der Gewinner der Staat als größter Schuldner. Daher erwarten wir, dass die Schuldenstandsquote Deutschlands in den nächsten Jahren schneller zurückgehrt, als gegenwärtig allgemein erwartet.
Für die Banken findet hier allerdings keine Entschuldung statt, weil sie von niedrigen Zinsen auf der Aktiv- und Passivseite gleichzeitig betroffen sind (im Gegenteil: da der Abstand zwischen Aktiv- und Passivsätzen im Niedrigzinsumfeld tendenziell sinkt, verschlechtert sich die Ertragslage). Diese Umverteilung vom Gläubiger zum Schuldner findet im Konjunkturzyklus in moderatem Umfang bei jedem Zinstief (beim Zinshoch umgekehrt vom Schuldner zum Gläubiger) statt. Das gegenwärtige extreme Zinstief und dessen zu erwartende lange Dauer führen hier allerdings zu extremen Auswüchsen.