Deutschland

Krankenkassen mit Billionen-Loch: Deutschland kann das Alter nicht bezahlen

Lesezeit: 2 min
11.08.2013 04:39
Den Gesetzlichen Krankenkassen fehlen Rückstellungen in Höhe von mindestens einer Billion Euro, um das System der Gesundheitsversorgung zu finanzieren. Auch die privaten Gesundheitsversicherungen stehen vor enormen finanziellen Problemen. Der Grund: Die Gesellschaft kann sich die Überalterung nicht mehr leisten.
Krankenkassen mit Billionen-Loch: Deutschland kann das Alter nicht bezahlen

Eine aktuelle Studie des Instituts für Mikrodaten-Analyse (IfMDA) schätzt die Finanzierungslücke der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) auf mindestens 1,1 Billionen Euro bis zum Jahr 2060. Die Autoren kommen zum Schluss, dass in der Altersklasse bis 50 Jahre mittlerweile bereits 25 Millionen Menschen fehlen, um die deutsche Bevölkerung auf einem stabilen Niveau zu halten. Das Umlageverfahren der GKV in seiner jetzigen Form – besser bekannt unter dem Stichwort Generationenvertrag – sei deshalb nicht am Leben zu erhalten.

Die Unterfinanzierung der GKV betrage mindestens sechs GKV-Jahresausgaben, also mindestens 1,1 Billionen Euro. Reformansätze eines vereinheitlichten Krankenversicherungssystems („Bürgerversicherung“) seien für dieses Problem keine Lösung. Wenn die Bürgerversicherung kommt, würden die vorhandenen Rückstellungen der privaten Krankenversicherungen nur ein Zehntel des Bedarfs decken, sagte Thomas Drabinski vom IfMDA den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. „Es müssen in den nächsten 20 Jahren Rücklagen für die Generation der Baby-Boomer aufgebaut werden“, so der Studienleiter. Der Generationenvertrag sei aufgrund der Finanzierungslücke aber bereits jetzt als aufgekündigt zu betrachten.

Mindestens genauso stark wie die gesetzlichen dürften auch die privaten Krankenversicherungen (PKV) von der demographischen Entwicklung betroffen sein. Das Hauptargument der privaten im Vergleich zu den gesetzlichen Kassen waren stets genau jene Rücklagen für hohe Behandlungskosten im fortgeschrittenen Alter, an deren Fehlen die GKV so krankt. Doch angesichts ständig steigender Beiträge wird immer deutlicher, dass auch das System der PKV für die Versicherten kaum noch Vorteile bietet. Dabei sollte die Finanzierung für private Kassen eigentlich wesentlich leichter sein, als für ihre gesetzlichen Gegenstücke. Ihre vorwiegende Kundengruppen – Selbständige, Freiberufler, Beamte, gut verdienende Angestellte –sind nämlich wesentlich weniger risikoanfällig.

Doch der starke Wettbewerb unter den Anbietern um diese attraktive Zielgruppe führt gerade nicht zu niedrigen Prämien. Im Gegenteil: Langfristig zahlen die Versicherten hohe Beiträge, um damit billige Einstiegs-Angebote und hohe Verkaufsprovisionen der Makler zu finanzieren. Den starken Prämien-Erhöhungen im Alter sind die Versicherten dann meist ausgeliefert, würden sie doch bei einem Versicherungs-Wechsel alle Ansprüche auf die Rückstellungen verlieren. Eine Rückkehr in die GKV ist ohnehin nicht möglich.

Auch Personen mit hohen Einkommen aus Kapitalerträgen oder Mieten würden künftig in die Bürgerversicherung eingegliedert werden. Betroffen wären darüber hinaus Beamte. Sie sind aktuell automatisch über die PVK versichert und profitieren von staatlichen Beihilfen. Private Kassen müssten sich dann auf Zusatzversicherungen beschränken.

Die Befürworter einer solchen Politik erwarten sich durch die Vereinheitlichung der Krankenkassen ein höheres Maß an Beitrags-Solidarität. Komfortable Behandlungsmethoden und teure Sonder-Eingriffe wären dann nur noch über Zusatz-Polizzen zu erlangen. Wer mehr Service und bessere Versorgung will, muss dafür bezahlen. Die Grundversorgung hingegen ist für alle gleich.

Mit dem Nebeneinander von privater und staatlicher Gesundheitsfinanzierung steht Deutschland unter den europäischen Staaten mittlerweile hingegen ziemlich alleine da. Profiteure vom dualen System sind am ehesten noch die Ärzte. Die oft teureren Behandlungen von Privatpatienten bescheren vielen niedergelassenen Haus- und Fachärzten einen überproportional großen Anteil an ihren Einkünften. Wenig verwunderlich also, dass die Ärztevertreter am vehementesten für die Beibehaltung des „System-Wettbewerbs“ eintreten.

Auch die Studienautoren vom IfMDA setzen bei der Bewältigung der Billionen-Löcher auf eine Weiterführung des jetzigen Modells, wenn auch unter erheblichem Reformbedarf. Der politische Wind scheint sich jedoch langsam in Richtung Einheits-Versicherung zu drehen. Der demographische Druck macht einen Systemwandel unumgänglich.

Es ist nicht sicher, dass er noch gelingen kann.

DWN
Politik
Politik Nach Ampel-Aus: Bundestag hält Sitzungswoche für überflüssig und verschiebt Gesetzesvorhaben
18.11.2024

Nach dem Ampel-Aus beschließen Union, FDP, SPD und Grüne gemeinsam eine Sitzungswoche ausfallen zu lassen. Der Bundestag als Ort der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deloitte-Studie besagt: Industrie muss mit schwächerem Exportwachstum rechnen
18.11.2024

Trumps Drohung mit Zöllen verunsichert die deutsche Exportindustrie. Doch Experten sagen: Auch ohne solche Sanktionen seien in den USA...

DWN
Politik
Politik EU-Partner übt Kritik: Kanzler Scholz rief Putin aus "Position der Schwäche" an
18.11.2024

Mit seinem Anruf bei Wladimir Putin sorgt Kanzler Olaf Scholz bei EU-Partnern für Unmut. Der litauische Außenminister Landsbergis sieht...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifeinigung: Mehr Geld für Lufthansa-Bodenpersonal
18.11.2024

Einigung für das Personal an den ostdeutschen Flughäfen von Dresden und Leipzig. 240 Euro pro Monat mehr (rückwirkend seit Oktober 2024)...

DWN
Finanzen
Finanzen Ermittler decken mutmaßlichen Millionenbetrug mit Diesel auf
18.11.2024

Es geht um 37 Millionen Liter Schmieröl, Falschgeld und filmreife Aktionen: Ist mit unversteuertem Kraftstoff aus Osteuropa dem deutschen...

DWN
Politik
Politik Bündnisverteidigung für KSK nun "ganz klar der Schwerpunkt"
18.11.2024

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ändert die militärischen Verteidigungsszenarien. Für Spezialkräfte bedeutet es auch, in der Tiefe...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die Schwarmintelligenz flüchtet von X zu Bluesky - nur Robert Habeck ist zurück auf Seite(n) Elon Musks
18.11.2024

Social Media gewinnt Wahlen. Wer gehört werden will, muss raus auf den Marktplatz der Meinungen. Das ist längst nicht allein die...

DWN
Politik
Politik Joe Biden erlaubt Ukraine Angriffe auf Ziele in Russland - Baerbock begrüßt Entscheidung
18.11.2024

Washington weicht die Beschränkungen für Angriffe der Ukraine mit US-Waffen auf russische Ziele auf. Konkret soll es um den Einsatz von...