Deutschland

Peter Handke: Literatur-Nobelpreis 2019 geht an einen zornigen Autor

Lesezeit: 3 min
10.10.2019 15:55  Aktualisiert: 10.10.2019 15:55
Peter Handke polarisiert seit Jahrzehnten mit seinen Werken und sorgte mit seiner Pro-Serbien-Haltung immer wieder für Kopfschütteln und Proteste.
Peter Handke: Literatur-Nobelpreis 2019 geht an einen zornigen Autor
Peter Handke, österreichischer Schriftsteller (Foto: dpa)
Foto: Georg Hochmuth

Zorn findet Peter Handke besser als Wut. Zorn wecke die kreativen Geister, Wut ließe sie nur kurz aufflammen, bekannte der 76-Jährige einmal in einem Interview der Wochenzeitung «Die Zeit». Der Literaturnobelpreis 2019 ist ein später Triumph für den ebenso streitbaren wie umstrittenen Autor. Handke habe «sehr, sehr gerührt» auf die Nachricht reagiert, berichtete der Vorsitzende des Nobelkomitees der Akademie, Anders Olsson, am Donnerstag. Auf Deutsch habe er gefragt: «Ist das wahr?»

Handke, 1942 in einem kleinen Ort im österreichischen Bundesland Kärnten geboren, war selbst Ziel wütender Attacken. Bei der Vergabe des Ibsen-Preises in Norwegen wurde er vor einigen Jahren von Bosniern und Albanern wüst beschimpft. Seine Kritiker haben ihm seine Haltung im Balkan-Konflikt nicht verziehen. Handke stand auf der Seite Serbiens, verurteilte die Nato für ihre Luftschläge und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawischen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede.

2006 lehnte Handke den Heinrich-Heine-Preis ab, weil die Verleihung an ihn Diskussionen ausgelöst hatte, ob er durch seine proserbische Haltung den Preis überhaupt verdiene. Schon 1996 sorgte sein Reisebericht «Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien» für heftige Debatten.

Mit seiner poetischen Sprache und angesichts des Umfangs seines Werks ist Handke, der in der Nähe von Paris lebt, wohl der wichtigste und prominenteste lebende österreichische Schriftsteller. Über 11 400 Seiten enthält die vom Suhrkamp Verlag herausgegebene «Handke Bibliothek», in der alles enthalten ist, was er jemals in Buchform veröffentlicht hat.

Von der Üppigkeit serbischer Märkte schwärmte der oft gescholtene Handke und schrieb: «... von den «walddunklen massigen Honigtöpfen, den truthahngroßen Suppenhühnern, den andersgelben Nudelnestern oder -kronen, den oft raubtierspitzmäuligen, oft märchendicken Flussfischen weiß ich den Geschmack.»

Nach einem abgebrochenen Jura-Studium startete Handke, dessen Mutter eine Kärntner Slowenin war, mit Verve ins Autorenleben. 1966 erschien sein Debütroman «Die Hornissen». Im selben Jahr wurde er fast über Nacht bekannt: In einer Schmährede warf er dem legendären Literatenzirkel Gruppe 47 «Beschreibungsimpotenz» vor. Die einen sahen es als furiose Selbstinszenierung, andere als Beginn einer kometenhaften Karriere. Seine Bekanntheit festigte Handke mit der Uraufführung von «Publikumsbeschimpfung» in Frankfurt. Die damals sehr elegant gekleideten Theaterbesucher wurden darin von den Schauspielern provokativ als «Glotzaugen», «Rotzlecker» und «Nichtsnutze» bezeichnet.

Mit seinen Theaterwerken - etwa mit «Kaspar», «Die Reise zum sonoren Land» oder «Untertagblues» - blieb Handke präsent. 2011 sorgte die fünfstündige Uraufführung von «Immer noch Sturm» bei den Salzburger Festspielen über den Freiheitskampf der Kärntner Slowenen für Aufsehen. Weggefährte Claus Peymann inszenierte 2016 am Wiener Burgtheater Handkes «Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße». Handkes, der gern mit sich und der Welt haderte, verstörte und forderte sein Publikum. Letztlich sei Handke jemand «aus der Kategorie Einzelgänger, eine autonome Person im Literarischen», sagte der österreichische Autor Gerhard Ruiss am Donnerstag.

Seine mehr als 20 Stücken hätten Theatergeschichte geschrieben, urteilte die Jury des österreichischen Nestroy-Preises, die ihn 2018 für sein Lebenswerk ehrte. «Du bist im wahrsten Sinn des Wortes ein Unvergleichlicher, und manchmal sind deine Texte einfach zu groß für das Theater - aber von Dauer», sagte Schauspieler Klaus Maria Brandauer in seiner Laudatio. Das Geheimnis der Schauspielkunst beschrieb Handke bei der Verleihung des Iffland-Preises an Jens Harzer so: «Es ist nicht Menschenkenntnis, sondern es ist Menschenerkenntnis im Moment des Spiels.»

Sein literarisches Schaffen wurde von Experten verfolgt, erreichte aber zuletzt kaum mehr breite Leserkreise. Für das Theater forderte Handke, es möge sich auf seine eigentlichen Stärken besinnen. «Dass man vertraut auf Sprache, auf Konfrontation, auf Rhythmus, auf Gegeneinander, auf Akzentuieren.»

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen lobte Handke: «In einem Ton, der schnörkellos und doch einzigartig ist, lässt er uns, die Leserinnen und Leser, an seiner Welt und Sprache teilhaben», so Van der Bellen bei Twitter. «Wir haben Peter #Handke viel zu verdanken. Ich hoffe, er weiß das.» Handke polarisiert in seiner Heimat Österreich ähnlich wie Elfriede Jelinek, die 2004 den Literaturnobelpreis bekommen hatte.

Vertraut ist vielen Schülern das später von Wim Wenders verfilmte Werk «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» (1970) über das Schicksal eines entwurzelten Ex-Sportlers. Das Buch avancierte zum klassischen Lesestoff für Oberstufen-Schüler. 2012 nahm er im Buch «Versuch über den Stillen Ort» die Toilette zum Gegenstand philosophischer Betrachtungen.

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handwerksbetriebe in Not: Geschäftslage trübt sich ein
05.05.2024

Die aktuelle Lage im Handwerk bleibt düster, mit einer spürbaren Verschlechterung der Geschäftslage im ersten Quartal 2024 aufgrund...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...

DWN
Politik
Politik Angriff auf SPD-Europapolitiker: Matthias Ecke in Dresden schwer verletzt
04.05.2024

Schockierende Gewalt: SPD-Europaspitzenkandidat Matthias Ecke wurde brutal angegriffen. Politiker verurteilen den Angriff als Attacke auf...

DWN
Finanzen
Finanzen Platzt die ETF-Blase – was dafür, was dagegen spricht
04.05.2024

Kaum eine Investmentform konnte in den zurückliegenden Jahren die Gunst der Anleger derart erlangen wie dies bei Exchange Traded Funds,...

DWN
Immobilien
Immobilien Streikwelle auf Baustellen droht: Gewerkschaft kündigt Massenstreiks an
04.05.2024

Die Bauindustrie steht vor Massenstreiks: Gewerkschaft kündigt flächendeckende Arbeitsniederlegungen mit rund 930.000 Beschäftigten an.

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Chinas Einfluss in Südostasien: Herausforderung für deutsche Firmen
04.05.2024

Deutsche Unternehmen suchen verstärkt nach Alternativen zum chinesischen Markt und richten ihr Augenmerk auf die aufstrebenden...

DWN
Technologie
Technologie CO2-Speicherung: Vom Nischenthema zum Wachstumsmarkt
04.05.2024

Anreize durch die Politik, eine neue Infrastruktur und sinkende Kosten: CO2-Speicherung entwickelt sich zusehends vom regionalen...

DWN
Politik
Politik Wahljahr-Turbulenzen: Biden im Kreuzfeuer der Gaza-Proteste
04.05.2024

Seit Monaten sind bei fast jedem öffentlichen Auftritt von Präsident Joe Biden propalästinensische Demonstrationen zu sehen, die sich im...