Im Dezember hat Goldman Sachs in einem Bericht empfohlen, dass Anleger ihre langfristigen Portfolios mit Gold diversifizieren. Dabei verwies die weltweit größte Investmentbank auf eine zu erwartende „von Angst getriebene Nachfrage“ nach dem Edelmetall. Der Bericht erwähnt in diesem Zusammenhang unter anderem politische Unsicherheiten, die drohende Rezession, die von linken Kandidaten im US-Wahlkampf angestrebte Vermögenssteuer, die zunehmend lockere Geldpolitik der Federal Reserve.
In dem Goldman-Bericht finden sich auch interessante Daten darüber, wie sich die Art und Weise der Goldlagerung im Verlauf der letzten Jahre verschoben hat. Unter Verwendung von Daten des World Gold Council sowie des Schweizer und des britischen Zolls kommen die Goldman-Analysten zu dem Schluss: „Seit Ende des Jahres 2016 ist der Aufbau von intransparenten Goldanlagen viel größer als der Aufbau von sichtbaren Gold-ETFs“, also von an der Börse gehandelten Gold-Fonds.
Die Daten würden zeigen, dass die Menge des weltweit gelagerten Goldes zuletzt viel schneller angestiegen ist, als es die Finanzmarktinstrumente wie ETFs vermuten ließen. Im Verlauf der letzten drei Jahre habe es 1.200 Tonnen oder 57 Milliarden Dollar an „unerklärten Goldflüssen“ gegeben. Laut Goldman Sachs zeigt dies eine weit verbreitete Vorliebe der Investoren für physisches Gold gegenüber lediglich an Gold geknüpften Finanzanlagen.
„Politische Risiken helfen unserer Ansicht nach, dies zu erklären, denn wenn eine Person versucht, die Risiken von Sanktionen oder Vermögenssteuern zu minimieren, dann macht es Sinn, physische Goldbarren zu kaufen und sie in einem Tresor zu lagern, wo es für Regierungen schwieriger ist, sie zu erreichen.“ Hinzu komme, dass vermögende Personen ihre Goldanlagen gegen Risiken im Zusammenhang mit den vermittelnden Finanzunternehmen absichern wollen.
Mit anderen Worten: In den letzten Jahren ist Gold im Wert von vielen Milliarden Dollar auf mysteriöse und unerklärliche Weise aus den offiziellen Aufzeichnungen verschwunden. Dieser schnelle Anstieg intransparenter Goldanlagen stimmt laut Goldman Sachs auch mit anderen Berichten überein, wonach die Nachfrage nach Tresoren weltweit stark ansteigt. Im Dezember sagte die Firma Hartmann Tresore gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, dass der Verkauf von Tresoren in den Jahren 2018 und 2019 angestiegen ist.
Die Nachfrage nach Tresoren ist aber offenbar nicht auf deren Nutzung zur Lagerung von Goldmünzen und Goldbarren beschränkt. Denn nicht nur das Gold, sondern auch das Bargeld verschwindet weltweit. Ein Bericht des Wall Street Journal vom Dezember weist auf eine Entwicklung hin, welche die Zentralbanken vor ein Rätsel stellt. Einerseits bezahlen die Kunden überall immer mehr mit Karten und Handy-Apps und immer weniger mit Bargeld. Und andererseits nimmt der Bedarf nach Geldscheinen zu, welche die Bürger von den Banken abheben und horten.
Die Deutsche Bundesbank geht davon aus, dass hierzulande Bargeld im Wert von mehr als 150 Milliarden Euro gehortet wird. Nach Angaben der US-Notenbank lag der Gesamtwert aller weltweit im Umlauf befindlichen US-Geldscheine im Jahr 2018 bei etwa 1,7 Billionen Dollar. Noch im Jahr 2013 waren nur 1,2 Billionen Dollar in Scheinen der Weltleitwährung im Umlauf. Der Großteil des US-Bargelds wird im Ausland gehortet, vor allem in Staaten mit hoher Inflation.
Was immer die Gründe dafür sein mögen, dass die Bürger beim Sparen verstärkt auf physisches Gold und Bargeld setzen, statt auf Bankguthaben und ETFs, der Trend stärkt die Nachfrage nach Tresoren. Denn zahlreiche spektakuläre Berichte zeigen immer wieder, was passieren kann, wenn man sein Erspartes unsachgemäß lagert.
„Die Menschen verstecken ihr Geld überall“, sagt Sven Bertelmann, Leiter des Nationalen Analysezentrums der Bundesbank für Falschgeld und beschädigtes Bargeld in Mainz. Manchmal werden Banknoten im Garten vergraben, wo sie anfangen zu verrotten, oder auf Dachböden versteckt, wo sie von Mäusen zum Nestbau verwendet werden. Es komme auch immer wieder vor, dass Menschen Geld in einem Umschlag aufbewahren und es dann versehentlich in den Schredder tun.
Um ihre Vermögen wie Gold und Bargeld sicher zu lagern, nehmen vor allem wohlhabende Sparer gern die Dienste von darauf spezialisierten Unternehmen in Anspruch, darunter die Firma IBV International Vaults mit weltweit sechs Standorten: drei in Südafrika und je einer in Dubai, Zürich und London. Am neuen Londoner Standort bietet das Unternehmen neben großzügigen Tresorräumen, die den Kunden immerhin 2,5 Millionen Pfund pro Jahr kosten, dort auch 550 Schließfächer und kann später bei Bedarf weitere rund 450 Schließfächer unterbringen.
Ein anderer Anbieter ist die Schweizer Gold Safe AG, die in den Alpen hochsichere Tresore betreibt. „Seitdem wir im Jahr 2015 mit dem Angebot begonnen haben, sehen wir eine außerordentliche Nachfrage nach Schließfächern, die seit dem Spätsommer wirklich gestiegen ist“, sagte Firmensprecher Ludwig Karl zu Bloomberg. Die Gold Safe AG bietet sechs Größen von Schließfächern an. Für das größte fällt eine jährliche Miete von 4.039 Franken an.
Ähnlich verhält es sich mit der Sincona Trading AG, einem Edelmetallhändler mit mehr als 1.000 gemieteten Wertschutzschränken im Zentrum von Zürich. Vor drei Jahren gab es dort noch eine Menge leerer Schließfächer, aber jetzt vermietet die Firma etwa fünf Fächer pro Tag, sagt Benoit Schoeni, ein leitender Manager bei Sincona. „Es gab eine extreme Nachfrage. Es wird nicht allzu lange dauern, bis wir voll sind.“
Einige Schweizer Unternehmen führen die Nachfrage nach Schließfächern vor allem auf die Zentralbankpolitik zurück. Negative Zinssätze haben die Schweizer Banken vor die Wahl gestellt, entweder Geld zu verlieren, wenn sie Kundeneinlagen halten, oder Gebühren auf die Guthaben zu erheben, mit denen sie aber möglicherweise Kunden vertreiben. Denn für die Kunden sind selbst teure Tresore immer noch die günstigere Alternative zu den sich verbreitenden negativen Zinssätzen auf ihre Bankguthaben.
Der weltweit größte Vermögensverwalter UBS und sein Konkurrent Credit Suisse haben Pläne angekündigt, wonach sie ihren reichen Kunden mit überschüssigen Bargeldbeständen zusätzliche Gebühren abverlangen. Für einige Kunden macht das ein Bankschließfach zu einer echten Alternative. Eine Sprecherin von UBS, die in der Schweiz fast 250.000 Schließfächer betreibt, sagte jedoch, die Nachfrage der Kunden sei in den letzten Jahren zurückgegangen.
Einige Banker sagten, dass Schließfächer wenig Sinn machen. Um Gebühren auf ihren Konten zu vermeiden, könnten die Reichen ihr Geld - zumindest unter den aktuellen Bedingungen - einfach auf mehrere Banken verteilen. Nutzer von Schließfächern müssten zudem eine Versicherung abschließen, zum Beispiel gegen Feuer. Tresorfirmen machen diese Mehrkosten oft erschwinglicher. IBV London etwa bietet 100.000 Pfund Zusatzversicherung für jedes gemietete Schließfach.
„Das noch größere Problem besteht darin, das Geld [aus dem Schließfach] wieder zurück auf Ihr Konto zu bringen“, zitiert Bloomberg Felix Brill, Chief Investment Officer der Liechtensteiner VP Bank, die Vermögen im Wert von rund 50 Milliarden Dollar verwaltet und auch einige Schließfächer anbietet. Dennoch: „Niemand zahlt gerne negative Zinssätze. Jeder sucht nach Alternativen.“