Finanzen

Abgeordnete fordern: EU soll eine Billion in Staatsanleihen begeben, um Wirtschaft wieder in Gang zu bringen

Lesezeit: 3 min
26.04.2020 13:02
Zwei namhafte EU-Abgeordnete sprechen sich dafür aus, dass die EU Staatsanleihen in Höhe von einer Billion Euro begibt, um den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft zu finanzieren. Die einzelnen EU-Staaten würden für dieses Geld nicht geradestehen.
Abgeordnete fordern: EU soll eine Billion in Staatsanleihen begeben, um Wirtschaft wieder in Gang zu bringen
Wie sähe das Euro-Symbol wohl in billionenfacher Ausfertigung aus? (Foto: dpa)
Foto: Uwe Anspach

Nachdem sie sich darauf verständigt hatten, dass niemand die Schuld an der COVID-19-Krise trägt, einigten sich die Finanzminister der Eurogruppe letzte Woche auf eine Übereinkunft zur Linderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Das Abkommen sieht neue Mittel in Höhe von 25 Milliarden Euro für die Europäische Investitionsbank, 250 Milliarden Euro für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und 100 Milliarden Euro für die Schaffung eines neuen Instruments vor, mit dem die Europäische Kommission den Mitgliedsstaaten bei der Bewältigung der drohenden Beschäftigungskrise unter die Arme greifen kann. Insgesamt beläuft sich das Paket auf eine erkleckliche Summe von rund 500 Milliarden Euro an Krediten (unter Berücksichtigung der Hebelwirkung der EIB-Programme).

Politisch betrachtet ist jede Einigung über ein Abkommen in der gesamten Eurozone schon als Erfolg zu werten, wenn man sich die tiefen Spaltungen von vor wenigen Wochen vergegenwärtigt. Und in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet das Abkommen, dass Europa nun durch eine Kombination aus Sicherheitsnetzen unterstützt wird, die eine weitere Eurokrise höchst unwahrscheinlich werden lässt.

Auf Grundlage der neuen Übereinkunft verfügen die Mitglieder der Eurozone über eine Reihe von Möglichkeiten, sollten sie auf Schwierigkeiten stoßen, die enormen Ausgaben zu finanzieren, die zur Unterstützung ihrer Ökonomien während des Lockdowns aufgrund der COVID-19-Krise notwendig waren. Das jeweilige Land könnte das neue umfangreiche Notfallkaufprogramm Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) der EZB in Anspruch nehmen oder einen Kredit aus dem ESM beantragen, der mittlerweile weniger durch Bedingungen eingeschränkt ist. Von entscheidender Bedeutung ist, dass es der EZB im Rahmen des neuen ESM-Programms ermöglicht wird, unter dem Titel ihrer geldpolitischen Outright-Geschäfte (OMT) praktisch unbegrenzt Geld zur Verfügung zu stellen.

Obwohl diese Optionen den Mitgliedsländern beträchtliche Liquiditätshilfen in Aussicht stellen, bieten sie keine Lösung für das Problem der zunehmenden Verschuldung, die das Wachstum in den kommenden Jahrzehnten in vielen Ländern, nicht zuletzt in Italien und Spanien, zu hemmen droht. Unserer Meinung nach sollte diese Problematik nicht durch die Vergemeinschaftung bestehender oder zukünftiger Schulden angegangen werden, sondern mittels eines gemeinsamen Instruments, im Rahmen dessen die Europäische Union selbst Schulden macht, die zur Finanzierung eines massiven Investitions- und Wiederaufbauprogramms erforderlich sind.

Bislang hat die Eurogruppe zu dieser Idee nur ein Lippenbekenntnis abgelegt. In ihrer jüngsten Pressemitteilung heißt es dazu: „Vorbehaltlich der Empfehlungen der Staats- und Regierungschefs werden die Diskussionen über die rechtlichen und praktischen Aspekte eines derartigen Fonds, darunter auch seine Einordnung im Hinblick auf den EU-Haushalt, seine Finanzierungsquellen und innovativen Finanzinstrumente, im Einklang mit den EU-Verträgen die Grundlage für eine Entscheidung bilden.“

Zur Klarstellung sei festgestellt, dass es EU-Schulden bereits gibt. Und zwar in Form von Anleihen im Ausmaß von rund 800 Milliarden Euro, die von der Europäischen Kommission, der EIB und dem ESM begeben wurden. Diese Schulden werden allerdings nur genutzt, um noch mehr Schulden zu machen. Da die Regierungen der Mitgliedstaaten für ihre eigenen Staatsausgaben verantwortlich sind, wird von der EU erwartet, dass sie lediglich durch Zinssenkungen hilft.

Um jedoch die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie zu gewährleisten, müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass europäische Kredite nur dazu verwendet werden sollten, noch mehr Kredite aufzunehmen. Jetzt ist es an der Zeit, echte europäische Ausgaben durch europäische Kredite zu finanzieren. Die Europäische Kommission sollte konsolidierte Staatsanleihen (oder „EU-Consols”) begeben, um das wirtschaftliche Wiederaufbaupaket im Ausmaß von einer Billion Euro zu finanzieren. Diese Anleihen wären eine sichere Investition in die Zukunft der EU insgesamt und damit genau jene Botschaft, die Europa derzeit vermitteln muss.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass mit diesen EU-Consols niemand in ein Paket vergemeinschafteter europäischer Schulden investieren würde. Vielmehr wäre es eine Investition in die Zukunft der Union. Und angesichts der impliziten Unterstützung durch die EZB und der ausgezeichneten Bonität der Kommission in Form eines AAA-Ratings sollte es auch kein Problem sein, mit diesen Anleihen das Interesse des Marktes zu wecken.

In politischer Hinsicht könnten EU-Anleihen eine entscheidende Rolle bei einem Grand Bargain nach der Pandemie spielen. Weil mit diesen Anleihen keine Vergemeinschaftung bestehender Schulden einherginge, wären sie ausschließlich eine Angelegenheit auf EU-Ebene und hätten daher auch keinen Einfluss auf die jeweiligen Schulden- oder Ausgabenniveaus der einzelnen Länder. Die Nordeuropäer würden keinerlei Verantwortung für die Schulden der Südeuropäer übernehmen. Die Mittel aus diesen Anleihen würden ausschließlich in einen strikt europäischen Plan fließen, der dazu gedacht ist, den Interessen aller Europäer zu dienen.

Auch würden diese EU-Consols keinen EU-Mitgliedsland einen Cent kosten. Um die Verwendung von Mitteln zu vermeiden, die die Länder derzeit in den EU-Haushalt einzahlen, würden die Zinsen für diese Anleihen aus neuen EU-Abgaben für Umweltverschmutzer und Steuervermeider aufgebracht werden. Mit Steuern auf digitale Dienstleistungen und nicht wiederverwertete Kunststoffe sowie den aktuellen Einnahmen aus dem CO2-Markt (dem Europäischen Emissionshandelssystem) könnte die EU pro Jahr rund 26 Milliarden Euro erzielen. Ausgehend von einem konservativen Zinssatz von 2,5 Prozent wäre es der EU möglich, über eine Billion Euro für ein Wiederaufbau-Programm aufzunehmen. So könnten die nationalen Beiträge zum EU-Haushalt auf dem derzeitigen Niveau eingefroren und das ewige Feilschen um den Gesamthaushalt vermieden werden.

Der neue Europäische Wiederaufbaufonds stünde in vollständigem Eigentum der Kommission, die auch allein für die Abläufe zuständig und ihrerseits nur dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig wäre. Der Fonds würde sich darauf konzentrieren, die gemeinsamen Prioritäten aller europäischen Bürger voranzutreiben. Nach der Unterstützung der von der COVID-19-Krise am stärksten betroffenen Länder würde man anschließend die Rückkehr des Privatsektors zur Wettbewerbsfähigkeit sowie Investitionen in Dekarbonisierung, neue Verkehrsinfrastruktur sowie Forschung und Innovation erleichtern.

Die Pandemie lässt Europa keine Wahl. Erst wenn die Europäer die alten Kämpfe um Schulden und die Beiträge aus den nationalen Haushalten hinter sich lassen, können sie beginnen, in die wirtschaftliche Erholung zu investieren.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Guy Verhofstadt ist ehemaliger belgischer Premierminister und nunmehr Vorsitzender der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) im Europäischen Parlament. Luis Garicano ist Professor an der IE Business School sowie Abgeordneter des Europäischen Parlaments.

Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...