Deutschland

Die Zeiten hoher deutscher Exportüberschüsse sind für immer vorbei

Der im Ausland angeprangerte enorme deutsche Exportüberschuss wird in diesem Jahr kräftig sinken und könnte auch dauerhaft niedrig bleiben. Doch das wäre vielleicht sogar gut für Deutschland.
25.06.2020 11:42
Aktualisiert: 25.06.2020 11:42
Lesezeit: 3 min
Die Zeiten hoher deutscher Exportüberschüsse sind für immer vorbei
Mit einem Wiedererstarken der Exporte nach China ist auch nach der Krise nicht zu rechnen. (Foto: dpa) Foto: Uncredited

Was Donald Trump und EU-Kommission mit ihren mehr oder minder freundlichen Appellen nicht geschafft haben, gelingt Corona im Handumdrehen: Der im Ausland seit Jahren angeprangerte enorme deutsche Exportüberschuss wird nach Prognose von Bundesbank und führenden Instituten wegen der weltweiten Rezession in diesem Jahr kräftig sinken.

Zum ersten Mal seit 2011 dürfte daher der Überschuss in der Leistungsbilanz unter sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes fallen - eine Marke, deren Überschreiten die EU-Kommission langfristig für stabilitätsgefährdend hält. Es mehren sich sogar Hinweise, dass dies dauerhaft so bleiben könnte. "Die Zeiten hoher deutscher Leistungsbilanzüberschüsse sind wohl vorüber", sagt der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr.

Die deutsche Exportstärke und das lange Zögern der Bundesregierung, die Binnennachfrage mit hohen Ausgaben für die Infrastruktur zu stimulieren, ärgert internationale Organisationen seit langem. US-Präsident Trump sieht sein Land sogar von Deutschland ausgebeutet und droht wiederholt mit Strafzöllen auf den deutschen Exportschlager schlechthin - Autos.

Die EU-Kommission sorgt sich vor allem um das Gleichgewicht in Europa: Ländern mit hohen Überschüssen stehen solche mit großen Defiziten gegenüber, die diese mit Schulden finanzieren müssen. Seit 2014 prangert sie dieses "makro-ökonomische Ungleichgewicht" regelmäßig an. Das muss die Brüsseler Behörde vorerst nicht mehr tun, glaubt man den Prognosen der Bundesbank.

Die Bundesbank rechnet damit, dass der Leistungsbilanzüberschuss in diesem Jahr auf unter 5 Prozent der Wirtschaftsleistung fällt. Das wäre der niedrigste Stand seit Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel 2005 und weit weg von dem 2015 erreichten Höchststand von 8,6 Prozent. Grund: Die Exporte dürften wegen der Rezession bei wichtigen Handelspartnern wie den USA, Frankreich und Großbritannien um 13 Prozent einbrechen. Die Importe sollen dagegen nur um sieben Prozent fallen. Dadurch schmilzt der Exportüberschuss. Das wiederum drückt die Leistungsbilanz, die sich vor allem aus dem Warenhandel speist und in geringerem Maße aus dem Dienstleistungs- und Kapitalverkehr.

"PROTEKTIONISMUS TRIFFT DEUTSCHLAND STARK"

"Mit der Erholung der Weltwirtschaft wird der Saldo bis 2022 wieder ansteigen, ohne jedoch die Niveaus der vergangenen Jahre zu erreichen", sagt Bundesbank-Chefvolkswirt Jens Ulbrich. Das sehen auch andere Ökonomen so und führen vor allem drei Argumente ins Feld, die gegen eine Rückkehr zu dauerhaft erhöhten Überschüssen führen sollten: China, der zunehmende Protektionismus und stärkere Investitionen in Deutschland.

"Der chinesische Aufschwung wird, im Unterschied von 2009, nicht von einem Investitionsboom getragen, der Importe aus Deutschland nach sich zieht, sondern durch stärkeren heimischen Konsum", sagt IfW-Präsident Felbermayr. Als Reaktion auf die globale Finanzkrise 2009 steckte die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt Hunderte Milliarden Euro in den Ausbau der Infrastruktur, wofür sie deutsche Investitionsgüter wie Maschinen, Fahrzeuge und Anlagen brauchte. Das half entscheidend dabei mit, dass Deutschland so schnell aus der Krise fand wie kein anderes großes Industrieland.

In der aktuellen Corona-Rezession kann Deutschland allerdings nicht darauf setzen, noch einmal von der Volksrepublik gerettet zu werden. "So setzt China immer stärker auf ein konsumorientiertes Wirtschaftsmodell", sagt die stellvertretende Direktorin der Wirtschaftsabteilung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Isabell Koske. "Das wird die Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern auf diesem so großen Markt senken. Das wiederum spricht dafür, dass der Leistungsbilanzüberschuss künftig nicht mehr so hoch sein wird wie in der Vergangenheit."

Hinzu kommt, dass der Freihandel seit dem Amtsantritt Trumps seine besten Zeiten hinter sich hat - unabhängig davon, ob der Republikaner bei der anstehenden US-Präsidentenwahl vom Demokraten Joe Biden abgelöst wird. "Viele Länder betreiben aktive Politiken der Heimholung von Produktion", sagt Außenhandelsexperte Felbermayr. "Das trifft Deutschland stark." Gerade die hiesige Automobilindustrie bekomme das zu spüren, weil schon seit 2017 die Drohung mit Zöllen auf dem US-Markt zu einer Verdrängung deutscher Produktion für den Export zugunsten von Produktion in US-Werke geführt habe.

Einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 4500 Firmen zeigt, dass sie erstmals Handelsbarrieren beziehungsweise die Bevorzugung einheimischer Unternehmen zu den fünf größten Risiken für ihr Auslandsgeschäft zählen.

"SCHANDFLECK FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT"

Die Exportüberschüsse dürften aber auch deshalb abgetragen werden, weil Deutschland wegen der Krise anfängt, stärker zuhause zu investieren. Davon könnten andere Länder profitieren, da die deutschen Importe dadurch angekurbelt werden. "Wir sparen nicht gegen die Krise an, sondern werden die nötigen Ausgaben und Investitionen finanzieren", sagt ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums.

Das Corona-Konjunkturpaket wird finanziert mit einer rekordverdächtigen Kreditaufnahme von 218,5 Milliarden Euro. Staatliche Investitionen werden deutlich erhöht, Länder und Kommunen entlastet sowie die Binnennachfrage durch Maßnahmen wie die zeitlich begrenzte Mehrwertsteuersenkung oder 300 Euro an zusätzlichem Kindergeld angekurbelt. "Auch wird mehr für Forschung und Entwicklung getan, was zu mehr Investitionen der Unternehmen führen kann", sagt OECD-Expertin Koske.

Die EU-Kommission warnt die Regierung aber vor Selbstzufriedenheit. Sie rät dazu, auch in den kommenden Jahren vorhandene Spielräume zum Geldausgeben zu nutzen. "Daher empfiehlt die EU-Kommission Deutschland weiterhin, seine Investitionen in den grünen und digitalen Wandel, in Qualifikationen, Bildung, Forschung und Innovation sowie in den Wohnungsbau zu erhöhen", betont Nora Hesse, Senior Economic Advisor der EU-Kommission. "Das sollte zur Verringerung des Ungleichgewichts zwischen Ersparnissen und Investitionen beitragen."

Der renommierte Havard-Ökonom Dani Rodrik findet die finanzpolitische Reaktion Deutschlands auf die Pandemie "beeindruckend". "Wenn sie am Ende den Außenhandelsüberschuss verringert, ist das eine gute Sache", sagt er und schickt mahnende Worte hinterher: "Deutschlands Überschuss in den vergangenen Jahren grenzt an Merkantilismus und ist ein Schandfleck für die Weltwirtschaft."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Dominanz auf Rädern: Warum der Lkw das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bleibt
23.04.2025

Während über grüne Logistik und die Renaissance der Schiene debattiert wird, bleibt der Lkw unangefochten das Rückgrat des...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zukunft unter Druck: Die Wasserstoff-Fabrik von Daimler und Volvo gerät ins Stocken
23.04.2025

Mitten in der Energiewende setzen die Lkw-Riesen Daimler und Volvo auf Wasserstoff – doch der Fortschritt ihres Gemeinschaftsunternehmens...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Apple und Meta im Visier – Brüssel greift hart durch
23.04.2025

Apple und Meta sollen zusammen 700 Millionen Euro zahlen – wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das neue EU-Digitalgesetz. Die Kommission...

DWN
Politik
Politik Machtkampf in Washington: Will Trump Fed-Chef Powell stürzen?
23.04.2025

Trump plant möglicherweise die Entlassung von Fed-Chef Jerome Powell – ein beispielloser Schritt, der die Unabhängigkeit der...

DWN
Finanzen
Finanzen „Krise ist die neue Normalität“ – Warum kluge Investoren jetzt gegen den Strom schwimmen müssen
23.04.2025

Volatilität ist kein Ausnahmezustand mehr, sondern System. Warum Investoren jetzt mit Besonnenheit, Disziplin und antizyklischer Strategie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Digitaler Produktpass: Was die EU plant und was das für Firmen bedeutet
23.04.2025

Die Europäische Union will Ressourcen schonen und Emissionen und Abfälle reduzieren. Dafür plant sie den sogenannten digitalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bierbrauer in der Krise
23.04.2025

Eigentlich feiern die Brauer am 23. April den Tag des deutschen Bieres. Doch auch in diesem Jahr sind die Perspektiven der Branche eher...

DWN
Politik
Politik Spar- und Investitionsunion: Brüssel will die unsichtbare Zollmauer einreißen – und den Finanzsektor revolutionieren
23.04.2025

Brüssels stille Revolution: Wie Kommissarin Albuquerque den europäischen Finanzmarkt neu ordnen will – und dabei an den Grundfesten der...