Technologie

Physiker warnt: Wasserstoff wird Deutschlands Energie-Problem nicht lösen

Wasserstoff wird unser Energie-Problem nicht lösen: Das sagt der Physiker Dr. Hans Hofmann-Reinecke im großen DWN-Interview.
22.07.2020 09:05
Lesezeit: 5 min
Physiker warnt: Wasserstoff wird Deutschlands Energie-Problem nicht lösen
Wolfsburg: Eine Zapfsäule an der ersten Wasserstoff-Tankstelle Niedersachsens. (Foto: dpa)

Immer mehr Experten halten Wasserstoff für eine geeignete Energiequelle. Doch es wäre blauäugig, sich von ihm die Lösung unserer Energieprobleme zu versprechen, mahnt der Physiker Dr. Hans Hofmann-Reinecke.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welches Potential hat Wasserstoff als Energiequelle?

Hans Hofmann-Reinecke: Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energiespeicher – und noch dazu ein ziemlich schlechter.

Auf der Sonne allerdings, da ist er die Quelle ewiger Weißglut. Dort entstehen bei der Kernfusion von Wasserstoff das Gas Helium und jede Menge Energie. Diesen Prozess konnten wir auf Erden zwar in Form der Wasserstoffbombe kopieren, eine sinnvolle Nutzung aber wollte bislang nicht gelingen. Man arbeitet seit Jahrzehnten daran, leider ohne Erfolg.

Die aktuelle Diskussion dreht sich um das Verbrennen von Wasserstoff, das heißt die chemische Reaktion mit Sauerstoff. Dabei wird im Vergleich zur Fusion nur ein Millionstel der Energie frei, gewissermaßen nur 1 Cent für 10.000 Euro.

Wasserstoff war im 19. und 20. Jahrhundert ein wichtiger Brennstoff. In den Gaskesseln der Städte wurden riesige Mengen gespeichert und durch Rohrleitungen verteilt. Dieses „Stadtgas“ enthielt neben Wasserstoff auch Methan und geringe Mengen an giftigem Kohlenmonoxid. Durch Elektrifizierung hat es an Bedeutung verloren.

Wenn Wasserstoff derzeit – als reines Gas, nicht als Stadtgas – eine Renaissance erlebt, so liegt es an seiner sauberen Verbrennung, bei der weder CO2 noch Umweltgifte entstehen, sondern nur Wasser. Der wesentliche Aspekt aber ist die Stromerzeugung in Brennstoffzellen, bei der wiederum die Reaktion mit Sauerstoff genutzt wird. Dieses Verfahren ist allerdings keineswegs neu.

Das sind attraktive Gesichtspunkte. Ihre Frage, welches Potential Wasserstoff als Energiequelle hat lässt sich allerdings erst beantworten, wenn man weiß, woher das Zeug kommen soll.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und zwar? Wie und woraus lässt sich Wasserstoff herstellen?

Hans Hofmann-Reinecke: Weil er sich so gerne mit Sauerstoff verbindet und letzterer üppig vorhanden ist, finden wir auf Erden keinen Wasserstoff. In großen Mengen aber finden wir das Verbrennungsprodukt, genannt Wasser. Daraus kann man wiederum Wasserstoff gewinnen, indem man die Energie reinsteckt, die bei seiner Verbrennung frei geworden war; tatsächlich muss man deutlich mehr reinstecken. Das passiert etwa in der Elektrolyse. Man schickt Strom durchs Wasser und bekommt wieder die Ausgangsprodukte Wasserstoff und Sauerstoff zurück. Den Strom für die Elektrolyse könnte man aus Windkraft beziehen, wenn gerade mehr davon zur Verfügung steht, als anderweitig verbraucht wird.

Wasserstoff ließe sich auch aus fossilen Rohstoffen gewinnen, etwa beim „Verkoken“ von Steinkohle, aber wir wollen ja grün und nachhaltig arbeiten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland seinen vermeintlich steigenden Wasserstoffbedarf mit "grünem Wasserstoff" decken wird?

Hans Hofmann-Reinecke: Deutschland hat keinen Bedarf an Wasserstoff, Deutschland hat Bedarf an Energie.

Der heutige Bedarf an Elektrizität wird zu rund 50 Prozent durch Wind, Solar, Bio und Wasserkraft gedeckt. Durch Elektrifizierung des Verkehrs – etwa durch Einsatz von Brennstoffzellen – würde zusätzlicher Bedarf an Elektrizität für die Erzeugung des dafür nötigen Wasserstoffs entstehen.

Wollte man auf Strom-Importe verzichten, Kohle und Atom total vom Netz nehmen, den Verkehr elektrifizieren und die Dunkelflauten durch Strom aus Wasserstoff überbrücken, der durch Elektrolyse zuvor gewonnen wurde, dann müsste man die Zahl der heute installierten Windturbinen nicht vergrößern, sondern vervielfachen! Statt heute 35.000 bräuchten wir nicht 50.000, sondern vielleicht 150.000.

Es ist zu bedenken, dass auf dem Weg Windkraft > Elektrolyse > Wasserstoff > Speicherung und Verteilung > Brennstoffzelle > Elektrizität rund 80 Prozent der Energie verloren geht. Für jede Kilowattstunde, die bei Flaute aus der Steckdose kommen soll, mussten irgendwo und irgendwann fünf Kilowattstunden ins System eingespeist worden sein.

Wäre eine solche Form der Energieversorgung möglich? Vielleicht, aber nur zu einem mörderischen ökonomischen und ökologischen Preis.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Lässt sich eine realistische Umweltbilanz von grünem Wasserstoff ziehen?

Hans Hofmann-Reinecke: Generell wird eine extrem unökonomische Lösung – wie sie die Wasserstoff-Technologie darstellt – immer auch unökologisch sein (das soll keineswegs heißen, dass ökonomische Lösungen immer ökologisch sind).

Eine Abwägung der CO2-Einsparungen durch Erneuerbare Energie gegenüber dem Schaden an Landschaft, Flora und Fauna, der durch sie verursacht wird, ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Meine persönliche Einschätzung habe ich in meinem Buch „Grün und Dumm“ in Anlehnung an die apokalyptischen Reiter der Offenbarung des Johannes, in dramatischer Form wiedergegeben:

Dann aber sah ich das schwarze Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der einen Hand eine Fackel, und ihm wurde die Macht gegeben über ein Viertel des Landes. Und mit der Fackel sengte er alle Pflanzen und Auen und verteilte blaues Glas auf den Feldern. Und wenn er kein blaues Glas hatte, dann verstreute er Mais und Raps dort, wo zuvor Korn, Kraut und Rüben gediehen.

Und in der anderen Hand hielt der schwarze Reiter eine Waage. Und in der rechten Schale war das Gewicht all der Segnungen angehäuft, welche die Energiewende mit sich bringen sollte, und in der linken Schale alles Leid. Und die Menschen wurden gewahr, dass es die linke Schale war, die sich senkte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wäre es nicht möglich, Wasserstoff zu importieren, etwa aus Marokko, wo er aus Solarenergie gewonnen werden könnte, oder aus Russland?

Hans Hofmann-Reinecke: Es wäre interessant abzuschätzen, wie viele Kilowattstunden aus einer deutschen Steckdose letztlich noch kämen, wenn in Marokko für 1000 Kilowattstunden Wasserstoff erzeugt wurde. Der Transport von Wasserstoff über Tausende von Kilometern ist sehr verlustreich und nicht ungefährlich – im Gegensatz etwa zu Erdgas.

Das Vorhaben erinnert mich an den Vorschlag des deutschen Architekten Hermann Sörgel, der in den 20er-Jahren die Straße von Gibraltar durch einen Staudamm verschließen wollte, um dort Strom zu erzeugen. Vielleicht war dessen Idee sogar noch vergleichsweise realistisch.

Und jetzt auch noch Wasserstoff aus Russland? Ist die Abhängigkeit dank Nord Stream nicht schon bedenklich genug? Außerdem würde der Wasserstoff dort vermutlich nicht in der sibirischen Sonne ausgebrütet, sondern aus Methan extrahiert. Das wäre kein „grünes“ Verfahren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung?

Hans Hofmann-Reinecke: Eine Strategie ist die Vorgehensweise, um ein wichtiges Ziel zu erreichen. Die Bundesregierung hat nach meiner Ansicht bei Definition und Verfolgung ihrer bisherigen Ziele die Nebenwirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Lebensqualität der Bevölkerung nicht beachtet.

Sie agiert, als gäbe es noch ein anderes, ein höheres Ziel als „dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden“. Es ist zu befürchten, dass beim Thema Wasserstoff das Motto nicht anders wäre als bisher: Wir schaffen das, „Whatever it takes“, ohne Rücksicht auf Verluste

Während in Bereichen wie Gentechnik oder Kernkraft die Bedenken maßlos aufgeblasen werden, so heißt es jetzt, es sei nicht die Zeit für Bedenkenträgerei. Das hört sich sehr willkürlich an. Es fehlt offensichtlich an professionellem Risikomanagement. Man sollte das Pro und Kontra dieser gigantischen Vorhaben systematisch ermitteln und der Bevölkerung ein objektives Bild davon geben.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Risiken birgt die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung?

Hans Hofmann-Reinecke: Die Energieversorgung in Deutschland war in der Vergangenheit eine unauffällige Selbstverständlichkeit. Durch die Energiewende aber sind Kosten und Abhängigkeit von Nachbarländern gestiegen, während gleichzeitig die Versorgungssicherheit gesunken ist. Zeitweise müssen Industrien, die eine hohe Belastung darstellen, vom Netz genommen und dafür großzügig kompensiert werden. Das mag für die Betroffenen angenehm sein, ist aber kein nachhaltiges Modell für eine Volkswirtschaft.

Das größte Risiko sehe ich darin, dass die politischen Entscheidungsträger nicht erkennen, welches das schwächste Glied in der Kette namens Wasserstoff ist (nämlich die geringe Energie-Ausbeute – Anm. d. Red.). Sie lassen sich für technologische Details begeistern, verfügen aber nicht über die fachliche Kompetenz, um das Gesamtkonzept zu durchschauen. Und eine geschäftstüchtige Lobby wird dafür sorgen, dass das so bleibt.

Weitere Artikel zu dem Thema bei www.think-again.org und im Buch „Grün und Dumm“.

Info zur Person: Dr. Hans Hofmann-Reinecke hat in München Physik studiert, in Kernphysik promoviert und war anschließend Gastprofessor in Santiago de Chile.

Er beendete seine akademische Laufbahn und ging als „Nuclear Watchdog“ zur „Internationalen Atombehörde“ in Wien. Danach leitete er ein mittelständisches Unternehmen für Medizintechnik.

Seit 30 Jahren berät er High-Tech-Firmen beim Management ihrer Projekte, seit zehn Jahren schreibt er Bücher. Heute lebt er in Kapstadt.

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