Weltwirtschaft

Land der unbegrenzten Selbsttäuschung, Teil zwei: Egal, ob Trump oder Biden gewinnt - den Crash kann keiner mehr aufhalten

Lesezeit: 6 min
13.09.2020 13:12  Aktualisiert: 13.09.2020 13:12
Je nachdem, welche politische Konstellation sich in Washington im November ergibt, könnte die zukünftige Finanzpolitik super-restriktiv bis super-expansiv ausfallen. Aber völlig unabhängig vom Ausgang der Wahlen sieht die Zukunft der USA düster aus: Übermäßiger Konsum, eine exorbitante Verschuldung und die lockere Geldpolitik der Fed haben die Supermacht an den Rand des finanziellen Desasters geführt.
Land der unbegrenzten Selbsttäuschung, Teil zwei: Egal, ob Trump oder Biden gewinnt - den Crash kann keiner mehr aufhalten
In Kalifornien brennt "nur" der Wald - in den USA steht das gesamte politische und wirtschaftliche System in Flammen. (Foto: dpa)

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Dem in den USA vorherrschenden heile-Welt-Bild steht eine bittere Realität gegenüber. Die Supermacht geht einer völlig ungewissen Zukunft entgehen, wobei die derzeitige Situation nur wenig Grund zum Optimismus bietet.

Amerika: Land der Arbeitslosen

  • Effektiv sind mehrere Dutzend Millionen Personen arbeitslos, viel mehr als in der offiziellen Statistik ausgewiesen. Rund 27 Millionen Personen bezogen Ende August noch immer staatliche Unterstützung. Allein schon dies kontrastiert mit den für den Monat Juli offiziell ausgewiesenen 16,3 Millionen.
  • Darüber hinaus gibt es viele Millionen de-facto Arbeitslose, die dank des PPP-Programms zur Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben offiziell auf der Lohnliste von Unternehmen aufgeführt sind, aber nicht arbeiten (können). Nach Ablauf des PPP-Programms Ende Oktober könnten sie innerhalb kürzester Zeit entlassen werden. Schließlich gibt es besonders viele Jugendliche bis 25 Jahre, wohl zehn Millionen oder mehr, die keine Stelle haben. Diese jungen Erwachsenen sind von der Arbeitslosen-Statistik schon seit den 1990er Jahren ausgeschlossen und in die Kategorie der Nicht-Erwerbstätigen verbannt – eine völlige Verzerrung der Wahrheit. Hinzu kommt das Problem von Teilzeit-Beschäftigten, welche voll arbeiten möchten und dies aus finanziellen Gründen auch müssten, aber auf reduzierte Aktivität zurückgesetzt worden sind. Auch das sind einige Millionen. Summa summarum sind wohl zwischen 40 und 50 Millionen Erwerbswillige arbeitslos. Die meisten von ihnen werden bisher unter verschiedenen Titeln vom Staat finanziert. Diese zusätzliche Unterstützung läuft aber bald aus.
  • Zum Heer der aktuell Nichtbeschäftigten werden sich bald viele Millionen neuer Arbeitsloser hinzugesellen. Und dies werden nicht primär Unqualifizierte oder Niedriglöhner aus dem Dienstleistungssektor wie Hotels, Restaurants, dem Freizeit- oder Vergnügungsbereich oder dem Einzelhandel sein, sondern Facharbeiter, Spezialisten und Führungskräfte aus einem breiten Spektrum von Wirtschaftsaktivitäten. Diese werden nicht in einer Hauruck-Aktion freigesetzt wie im Niedriglohn-Bereich (wo Vergnügungsparks, Hotel, Restaurants etc. von heute auf morgen komplett geschlossen werden), sondern kühl kalkuliert im Rahmen von mittel- und längerfristig geplanten Anpassungen der Bestände an die erwartete Nachfrage, sowie durch systematische Rationalisierung und Digitalisierung aller Wirtschaftsprozesse. Es wird auch Bankangestellte, Ingenieure in der Industrie und im Dienstleistungssektor sowie generell erfahrene und teure Arbeitnehmer treffen.
  • Viele Klein- und Mittelbetriebe stehen vor dem Exitus, was zusätzliche negative Beschäftigungs- und Nachfrage-Effekte auslösen wird, inklusive der breit basierten Entlassung von Personal. Schließlich droht ein massiver Aderlass für die Beschäftigten der 50 Bundesstaaten sowie der Städte und Gemeinden, weil diese ihre Haushaltsausgaben massiv zurückschrauben müssen.

Die Konjunktur wurde von April bis August nachfrageseitig hauptsächlich durch die vorübergehend gewaltig erhöhten Staatsausgaben getragen. Ohne diese Unterstützungszahlungen für Arbeitslose und für Klein- und Mittelbetriebe wäre der Einbruch viel dramatischer ausgefallen. Doch dieser Impuls reduziert sich nun laufend. Die Finanzpolitik erscheint bis zu den Wahlen blockiert. Der Präsident hat mit Getöse symbolische Gesten in Bezug auf zusätzliche Unterstützungszahlungen für Arbeitslose angekündigt. Doch ohne die Bewilligung des Kongresses sind diese nahezu wirkungslos. Vielleicht werden sich die Parteien in letzter Sekunde auf irgendeinen Kompromiss einigen, der die Zustände bis zu den Wahlen respektive zum Amtsantritt des nächsten Präsidenten weiter stabilisiert. Bisher zeigen die Zeichen allerdings nicht in diese Richtung.

Die Präsidentschaftswahlen: Wohin steuert das Land?

Angesichts der Tatsache, dass Republikaner und Demokraten teilweise völlig unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie die USA in den nächsten Jahren ihre Wirtschaftspolitik gestalten sollten, kommt dem Wahlausgang entscheidende Bedeutung zu. Und zwar wird nicht nur wichtig sein, wer Präsident bleibt oder wird, sondern auch , wie sich die Mehrheitsverhältnisse im Kongress entwickeln. Effektiv sind verschiedene Szenarien zu unterscheiden:

Biden und republikanischer Kongress: Ende der Party

Bei der Wahl von Joe Biden zum Präsidenten, kombiniert mit einer republikanischen Mehrheit im Senat unter Mitch McConnell, dürfte die Finanzpolitik von den Hardlinern der Republikaner im Senat blockiert werden, ähnlich wie dies ansatzweise unter Newt Gingrich in den 1990er Jahren und erst recht und rigide unter John Boehner in den 2010er Jahren geschah. Dann ist Ende der Ausgaben- und Defizit-Party, die unter Präsident Trump galt (und gilt). Vor allem wäre mit einem Debakel in den Bundesstaaten zu rechnen, weil die Republikaner Bundeshilfen für die demokratisch regierten Staaten strikt ablehnen dürften. Nicht nur wollen sie nicht, dass die Steuerzahler in den republikanisch regierten Bundesstaaten über Bundessteuern dafür zahlen. Sie wollen die schlechte Wirtschaftslage dafür ausnutzen, die Agenda der Republikaner in den demokratisch regierten Staaten zu stärken.

Biden und demokratischer Kongress: Billionen zu verschenken

Umgekehrt wäre unter einem Präsidenten Biden und mit einer demokratischen Mehrheit in beiden Kammern die Ausgaben-Expansion ungebrochen. Der Kandidat der Demokraten hat bereits angekündigt, ein zwei Billionen (zweitausend Milliarden!) schweres Paket für einen grünen New Deal aufzugleisen. Ferner würden die Demokraten den bedrängten Bundesstaaten mit hohen Beträgen zur Hilfe eilen. Umgekehrt würde wohl ein Teil der Zusatz-Ausgaben durch Steuererhöhungen finanziert werden, konzentriert auf Unternehmen, Wohlhabende und Bezüger hoher und sehr hoher Einkommen. Für die Wirtschafts-Aussichten auch bedeutend ist, dass Joe Biden mehrmals betont hat, sich den Empfehlungen von Gesundheitsberatern und Wissenschaft zu fügen, um der Pandemie Herr zu werden. Im Klartext könnte dies einen zweiten Lockdown auf nationaler Ebene bedeuten, wenn die Pandemie bei einer zweiten Welle im Herbst/Winter an Fahrt gewinnt. Verschiedene Notenbank-Repräsentanten haben im Übrigen eine solche Strategie gefordert, um das Virus ähnlich wie in China auszurotten.

Trump und republikanischer Kongress: Kapitalismus brutal

Ein Wahlsieg des aktuellen Präsidenten kann trotz Rücklage in den aktuellen Umfragen nicht ausgeschlossen werden. Was der Präsident und vor allem die Republikaner im Senat längerfristig anstreben, ist bewusst unklar kommuniziert. Doch die erstaunliche Spendierfreudigkeit des Jahres 2020 dürfte eine – wahlbedingte - Ausnahme bleiben. Ihre Politik würde sich wohl auf noch mehr Deregulierung, Kürzung der staatlichen Sozial- und Gesundheitsausgaben sowie auf die Beschränkung der Gesundheits- und Sozialkosten für die Unternehmen konzentrieren.

Trump und demokratischer Kongress: Die alte Leier

Eine zweite Amtszeit von Präsident Trump würde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder mit einer Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus konfrontiert sein, und damit wohl mit wenig vielversprechenden Konsens-Perspektiven. Was allenfalls denkbar wäre, ist ein um jeglichen grünen Anstrich bereinigtes traditionelles Infrastruktur-Programm, obschon einflussreiche Republikaner im Kongress weniger Begeisterung dafür kundtun als der Präsident.

Eine ungewisse Zukunft

Was nach dem Wahltag kommt, ist also völlig offen. Nicht nur ist die Situation konjunkturbedingt riskant. Wenn finanzpolitisch kein Wunder geschieht, wird die Spirale von Entlassungen – besonders von qualifizierten Fach- und Führungskräften in besonders gebeutelten Wirtschaftszweigen, damit verbunden von drastischen Einkommensverlusten von wesentlichen Teilen der Haushalte, später von Wohnungskündigungen, Häuserpfändungen, Auto-Rückgaben, Kreditkarten-Sperrungen, Kreditkündigungen an Klein- und mittelgroße Unternehmen – in Bewegung gesetzt.

Die bisherigen Maßnahmen der Administration und der US-Notenbank haben die angespannte Lage mit einem Aufschub für alles und jedes und mit Liquidität überdeckt. Umso heftiger dürften in naher Zukunft die aufgestauten Anpassungs-Effekte ausfallen. Bei knappem Wahlausgang würden wohl Gerichte und ein zum Autoritären neigender Präsident für zusätzliche zeitliche Blockaden sorgen. Die beiden verfeindeten politischen Lager und die Wahl-Konstellation lassen zudem konträre Szenarien für die zukünftige Ausgestaltung der Finanzpolitik zu - von super-restriktiv bis zu super-expansiv. Und es ist primär die - von der Notenbank bedingungslos unterstützte - Finanzpolitik, welche bisher das Ausmaß des konjunkturellen Absturzes eingedämmt hat.

Fazit: Der Traum ist ausgeträumt - rette sich, wer kann

Summa summarum: Der Pandemie-Ausblick, die schwachen Institutionen des Arbeitsmarktes, die politische Blockade der beiden verfeindeten Lager und die im Unterschied zu Europa äußerst kurzfristig orientierten, auf wenige Monate beschränkten finanzpolitischen Maßnahmen machen einen spätestens im vierten Quartal einsetzenden Wirtschaftsabschwung in den USA wahrscheinlich. Die Finanzmärkte reflektieren dagegen die Erwartung einer V-förmigen Erholung. Viel wahrscheinlicher ist ein ‚double dip‘, eine zweite Rezessionsphase. Was nachher kommt, ist angesichts der weiten Streubreite der möglichen Wahlausgänge unklar. Diese Unsicherheit wird sich auf die Finanzmärkte übertragen, und für eine mehr oder weniger heftige Korrektur der exaltierten Erwartungen sorgen. Was längerfristig passieren wird, hängt auch davon ab, ob die missratene Gesundheitspolitik gegenüber Covid-19 grundlegend korrigiert werden kann.

Vereinfacht kann aber formuliert werden, dass nur bei einem durchschlagenden Wahlsieg der Demokraten bei Präsidentschafts- und Senatswahlen mit einem signifikanten neuen Konjunkturpaket gerechnet werden kann – möglicherweise aber nach einem nationalen Lockdown. Der Kurs von Präsident Trump besteht darin, wider jede Evidenz heile Welt zu prognostizieren, sowohl in Bezug auf die Pandemie wie in Bezug auf die Wirtschaftsaussichten. Dabei werden auch Zahlen wie gewünscht in die richtige Richtung geändert oder umgedeutet.

Darüber hinaus ist eine fundamentale analytische Neuorientierung notwendig: Die Diskussion in den USA dreht sich fast nur um das richtige Ausmaß und die richtige Form von weiteren Nachfrage-Stimuli. Doch das Wesentliche ist, dass die Vereinigten Staaten ein tiefgreifendes Angebots-Problem haben. Sie haben unterentwickelte institutionelle Puffer auf dem Arbeitsmarkt – keine Kurzarbeit, viel zu restriktive Bedingungen für die Anerkennung von Arbeitslosigkeit, viel zu niedrige Arbeitslosengelder und zu kurze Bezugsfristen. All dies setzt einen enormen deflatorischen Druck auf die Löhne und damit auf die Einkommen auf, gerade jetzt und für die nächsten Jahre.

Darüber hinaus fehlt ein Instrumentarium wie unterstützte Ausbildungen und Umschulungen für Entlassene aus strukturell geschädigten Branchen und Bundesstaaten. Gerade in der Coronavirus-Krise sind viele Beschäftigte in hart getroffenen Branchen zu einer beruflichen Neuorientierung gezwungen, verfügen aber nicht über die dafür notwendigen Fähigkeiten. Ein riesiges Problem stellt zudem die extrem hohe Erwerbslosigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahren dar. Dieses entlädt sich unter anderem in Wut und Zerstörung. Und die Jugendarbeitslosigkeit schließt an eine schlechte respektive sehr ungleiche Ausbildung in den Schulen an. In den öffentlichen Schulen ist oft die Qualität ungenügend, und die Privatschulen sind Kindern und Jugendlichen aus zahlungskräftigen Familien vorbehalten oder mit hohen Schulden verbunden. Eine strukturierte Berufsausbildung für Nicht-Akademiker wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz fehlt völlig.

Interessant ist, dass Länder wie die drei oben genannten sowie die skandinavischen Staaten gut ausgebaute Arbeitsmarkt-Instrumentarien haben, dies sowohl für die Berufsausbildung wie für Rezessionsphasen. Das sind Länder mit hoher Export-Orientierung, bei denen der private Konsum gar nicht so wichtig ist. Die USA dagegen sind essentiell ein Binnenmarkt, der effektiv vom Konsum und damit von der Einkommensentwicklung der privaten Haushalte getragen wird (beziehungsweise getragen werden sollte). Doch die Struktur des Arbeitsmarkts lässt dies nicht zu, weder strukturell noch spezifisch in Rezessionsphasen. Was sich über die letzten Jahrzehnte herausgebildet hat, ist deshalb eine zunehmende Substitution realer Einkommensgewinne durch Verschuldung der Haushalte und Neigung der amerikanischen Notenbank zu immer extremeren Maßnahmen in Rezessionsphasen. Es war von vornherein klar, dass irgendwann der Crash erfolgen würde; voraussichtlich wird der Welt größte Supermacht in Kürze vor sich selbst Rechenschaft ablegen müssen – für die Aufrechterhaltung und Ausweitung eines Systems, das auf Anspruchshaltung und schrankenlosen Konsum gestützt war beziehungsweise ist, und das die Pervertiertheit des immer größer, immer weiter, immer mehr gnadenlos aufdeckt.


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