Politik

Russland ist keine Muster-Demokratie - aber auch Nawalny ist kein Liberaler

Der russische Oppositions-Politiker Alexej Nawalny hat zwei Gesichter. Einerseits ist er ein erfolgreicher Kämpfer gegen die Korruption der Eliten in Russland. Doch andererseits weist er ethno-nationalistische Züge auf. In der Vergangenheit hat er immer wieder gegen Migranten und ethnische Minderheiten gehetzt.
10.09.2020 11:13
Aktualisiert: 10.09.2020 11:13
Lesezeit: 3 min
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Russland ist keine Muster-Demokratie - aber auch Nawalny ist kein Liberaler
30.03.2017, Russland, Moskau: Alexej Nawalny (r) zeigt ein Victory-Zeichen, während er neben einem Sicherheitsbeamten im Gericht sitzt. Nawalny liegt wegen Vergiftungsverdachts in der Intensivstation eines Krankenhaus. (Foto: dpa) Foto: Evgeny Feldman

Der russische Politiker Alexej Nawalny wurde unzweifelhaft mit einer chemischen Substanz vergiftet. Der Westen macht Russland für die Vergiftung verantwortlich, während der Kreml das abstreitet. Unter Berücksichtigung des Umgangs mit Oppositionellen in Russland, könnte sich der juristische Verdacht des Westens, dass Russland Nawalny vergiftet hat, erhärten. Nawalny ist eine schnelle Genesung zu wünschen.

Doch der Oppositions-Politiker hat zwei Gesichter. Er ist zwar ein Kritiker des Kremls, aber alles andere als ein liberaler Demokrat im westlichen Sinne. Nawalny hatte in der Vergangenheit nicht nur die Korruption in Moskau aufgedeckt, sondern auch mit regelrechter Hetze gegen Migranten und ethnische Minderheiten die liberale Opposition in Russland verstört.

Das Organisationstalent Nawalny

Im März 2017 organisierte der Oppositionsführer Alexej Nawalny eine Demonstration gegen die Korruption der Regierung. Es kam zu Nawalny-Kundgebungen in sechs russischen Städten. Der Oppositionsführer verbreitete seine Botschaften über die sozialen Medien. Dies führte dazu, dass in 80 bis 85 Regionen auch politisch ungebundene Bürger auf die Straßen gingen, um gegen die Korruption im Land zu demonstrieren. Nawalny hat es in den vergangenen Jahren verstanden, die sozialen Medien geschickt zu nutzen, um junge Russen gegen den Kreml zu organisieren. Er präsentiert sich immer wieder als Kämpfer gegen Korruption und Einwanderung. Damit trifft Nawalny und sein Gefolge zwei Wunden der russischen Gesellschaft. Denn jährlich versickern 300 Milliarden US-Dollar in dunklen Kanälen. Das sind 16 Prozent des BIP. Seit dem Jahr 2000 ist Korruption ein wichtiger Bestandteil des russischen Wirtschafts-Systems, berichtet Bloomberg. Es ist nicht zuletzt Nawalny zu verdanken, dass die russische Öffentlichkeit über die Selbstbereicherung der russischen Eliten aufgeklärt wurde. Das sei ihm gegönnt.

Die Moskau-Korrespondentin Gesine Dornblüth hält Nawalny trotz seiner berechtigten Kritik an der Korruption im Land für sehr gefährlich. Sie schreibt in einem DLF-Artikel aus dem Jahr 2011, der nur noch im Webarchiv zu finden ist: „Wenn dieser Rassist Macht bekommt, dann werden die Opfer keineswegs nur die ,Gauner und Diebe' in den Amts- und Partei-Stuben sein, sondern es wird auch Andersdenkende und anders Aussehende treffen.“

Er unterstützte Russland auch in seinem Krieg gegen Georgien im August 2008, indem er in einigen seiner Blog-Beiträge eine abfällige Bezeichnung für Georgier verwendete und forderte, dass alle Georgier aus Russland ausgewiesen werden sollen. Das spiegelt seinen ethno-nationalistischen Charakter wieder. Nawalny hat zu verschiedenen Zeiten die Abschiebung illegaler Einwanderer und die Einführung eines Visum-Regimes für die Länder Zentralasiens gefordert.

Der Ethno-Nationalist Nawalny

Engelina Tarejewa, die mit Navalny zusammengearbeitet hatte, als er Mitglied der liberalen Yabloko-Partei war, bevor er 2007 aus der Partei geworfen wurde, hat ihn beschuldigt, routinemäßig rassistische Beleidigungen zu verwenden und seine Beziehungen zu Menschen auf ihre ethnische Zugehörigkeit zu stützen, berichtet The Atlantic.

„Ich halte Aleksej Nawalny für den gefährlichsten Mann in Russland“, hat Tarejewa geschrieben. „Man muss kein Genie sein, um zu verstehen, dass das Schrecklichste, was in unserem Land passieren könnte, die Nationalisten sind, wenn an die Macht kommen sollten.“

Die Russische Föderation ist ein multireligiöses und multiethnisches Gebilde. Die Minderheiten setzen sich hauptsächlich aus Turkvölkern und Kaukasiern zusammen. Die russische Staatsführung versucht jegliche Arten von ethnisch-nationalistischen oder religiös-extremistischen Bewegungen einzudämmen, weil diese Elemente als Gefahr für die Einheit der Föderation angesehen werden.

Die Grundlage für die Rechtsetzung in religiösen Angelegenheiten bildet das Gesetz über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen aus dem Jahr 1997 mit seinen Novellen. Als traditionelle Religionen Russlands werden nur die russisch-orthodoxe Kirche, der Islam, das Judentum und der Buddhismus eingestuft. „Die Römisch-katholische Kirche und die Evangelisch-lutherische Kirche werden in der Praxis meist wie traditionelle russische Religionen behandelt, und ihre Vertreter werden zu offiziellen Anlässen eingeladen“, so Kirche in Not.

Moskau weiß sehr genau, dass ethnische oder religiöse Spannungen eine große Bedrohung für die territoriale Integrität Russlands darstellen. Dass der Kreml Navalny als Bedrohung ansieht, ist vor diesem Hintergrund absolut nachvollziehbar.

In einem Video aus dem Jahr 2008 spricht sich Nawalny für den freien Waffenbesitz aus für den Fall, „dass Kakerlaken in unsere Wohnung eindringen“ - gemeint waren mit den Kakerlaken Migranten, so der MDR. Aus diesem YouTube-Video geht hervor, wie rassistisch sich Nawalny über Kaukasier äußert.

„Zwar distanzierte er sich damals schon von gewaltbereiten Neonazis, forderte jedoch die ,präzise, aber bestimmte Deportierung von dem, was uns stört‘. ,Wir Nationalisten wollen nicht, dass man aus Russland die Wurzel russisch entfernt‘, erklärte der aufstrebende Politiker damals. Auch einige Jahre später, während des Moskauer Bürgermeisterwahlkampfs 2013, machte Nawalny Stimmung gegen die zahlreichen Gastarbeiter aus Zentralasien“, so der MDR.Somit wird deutlich: Die Tatsache, dass Russland keine Demokratie nach westlich-liberalen Standards ist, macht aus Nawalny noch keinen liberalen Volkshelden.

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