Finanzen

Was hat die US-Notenbank mit dem Raumschiff Enterprise zu tun?

Lesezeit: 3 min
08.10.2020 13:39
Bei der Bekämpfung von Wirtschaftsdellen ist das Leitzinsschwert der Fed ziemlich stumpf geworden. Wenn der US-Notenbank erlaubt wird, auch noch Fiskalpolitik zu betreiben, ist die strikte und stabilitätspolitisch gebotene Trennung zwischen beiden Disziplinen aufgehoben.
Was hat die US-Notenbank mit dem Raumschiff Enterprise zu tun?
Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed. (Foto: dpa)

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Bei der Bekämpfung von Wirtschaftsdellen ist das Leitzinsschwert der Fed ziemlich stumpf geworden. Mittlerweile setzt sie auf voluminöse Anleiheaufkäufe. Sie drücken nicht nur die Kreditzinsen für schuldenfinanzierte Konjunkturpakete. De facto stellen sie Staatsfinanzierung dar. Doch die erhoffte Wunderheilung ist wenig wundervoll. Konsum, Beschäftigung und Inflation in Amerika fassen nur mühsam Tritt, wenn überhaupt. Da muss die nächste geldpolitische Rakete gezündet werden.

Je offensiver die Fed, desto defensiver die Inflation

Die bisherigen epochalen Konjunkturpakete haben zwar wirtschaftliche Scheunenbrände entfacht, aber eine nachhaltige Erholung wird von Fed-Chef Jerome Powell angezweifelt. Im Übrigen spielt die Preisentwicklung den Duckmäuser. Damit wird eine der zentralsten geldpolitischen Theorien Lügen gestraft, wonach langfristig billiges und viel Geld zu Inflation führen muss. Das ist äußerst fatal für das amerikanische Schuldenmanagement. Amerika hat doch schon immer gerne seine Staatskredite weginflationiert. Doch tatsächlich sinken die Inflationserwartungen seit Anfang 2013. Inflation gibt es nur bei den Vermögenspreisen.

Fed will sich die Digitalisierung zunutze machen

Manche Geldtheoretiker bemängeln, dass es zu lange dauere, bis das Geld in der Wirtschaft ankommt. Nicht zuletzt verlangsamten die schwerfälligen und zeitfressenden Streitigkeiten zwischen Demokraten und Republikanern im Kongress über das Ob, Wann, Wie und An wen neuer Konjunkturpakete den wirtschaftlichen Erholungsprozess. Auch aktuell schwäche der wahlkampfbedingte Streit beider Parteien das Verbrauchervertrauen und schüre Angst vor Arbeitslosigkeit. Und mit wachsender Risikoscheu würden Konsumenten ihr Portemonnaie zunageln.

Was schlagen sie alternativ vor? So wie das Wasser von der Quelle ungehindert zur Mündung fließe, müsse ebenso Geld zügig an die für den Aufschwung so entscheidenden Konsumenten gelangen. Bevor die Konjunktur die Möglichkeit hat, eine Wüste zu werden, muss der Regen einsetzen.

Technisch betrachtet ist die Bewässerung einfach. Wir haben doch die Digitalisierung. So ist es kein Hexenwerk, den US-Bürgern digitale Freude in Form digitaler Dollars direkt auf ihre Smartphones zu senden. Nichts Anderes machen Apple Pay, Samsung Pay, Android Pay oder andere Mobilgeldvarianten.

Die Fed finanziert nicht nur, sie gibt auch aus

Die Wasserleitungen sind gelegt. Jetzt muss das Wasser nur noch schnell fließen. Und so wird diskutiert, dass der Kongress der Fed grundsätzlich ein eigenes Auszahlinstrument zur konjunkturellen Krisenbekämpfung an die Hand geben möge. Ein Auszahlvolumen könne z.B. ein Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung betragen. Darüber solle sie frei von politischer Einflussnahme verfügen. Zur Auszahlung käme es, wenn definierte Niveaus in puncto Inflation bzw. Deflation und Arbeitslosenquote erreicht würden. Dann könnten diese Mittel ruckzuck digital in den Apps der privaten Haushalte hinterlegt werden. Die Verbraucher wiederum würden sich angesichts dieser Geschenke fühlen wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Und damit sie auch ja schnell konjunkturwirksam werden, könnte man sie wie Gutscheine zeitlich eng befristen.

Diese neue Idee der „geldpolitischen Finanzpolitik“ ist auch schon bei Politikern auf fruchtbaren Boden gestoßen. Sie argumentieren, dass diese schnell verfügbaren Finanzmittel sogar soziale Ungleichgewichte in den USA bekämpfen könnten, was schließlich für soziale Ruhe im Karton sorgt. Bis zum bedingungslosen Grundeinkommen ist es dann auch nicht mehr weit. Denn die zunehmende Digitalisierung wird auch in Amerika viele Facharbeiter-Jobs vernichten.

Diese notenbankbetriebene Finanzpolitik digitaler Machart würde Politiker ebenso ihrem Traum näherbringen, das anonyme Bargeld komplett abzuschaffen. Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Drogenkriminalität, aber auch einen Bank Run würde es nicht mehr geben. Übrigens wären auch alle Transaktionen der Verbraucher nachvollziehbar. Ihr Kaufverhalten, ihre Konsumgewohnheiten würden sichtbar wie ungeputzte Fenster bei Sonnenlicht. Volkswirtschaftliche Nachfrage wäre planbarer. Über diese neuen Erkenntnisse, diese neue Datenflut werden sich unzählige Unternehmen aus den Bereichen Social Media oder Online-Handel freuen wie Eisbären über eine Inflation an Robben.

Die Stabilitäts-Burgen werden flach wie Maulwurfhügel geschliffen

Nicht zuletzt - so die Befürworter - würde mit diesem Fiskalhammer auch die Reflationierung gelingen, was sie auch dringend muss. Denn das Geld, das die „fiskalische“ Fed ausgibt, ist nichts Anderes als neue Schulden, die auf den amerikanischen Schulden-Himalaya noch drauf gepackt werden. Deren Vernichtung, um sie noch irgendwie handhaben zu können, ist ohne massives Weginflationieren nicht mehr möglich. Böse formuliert: Die Inflation soll die USA finanzieren.

Wenn der US-Notenbank erlaubt wird, auch noch Fiskalpolitik zu betreiben, ist die strikte und stabilitätspolitisch gebotene Trennung zwischen beiden Disziplinen, zwischen der Geldpolitik als bremsendem Korrektiv einer zu ausgabefreudigen Finanzpolitik, aufgehoben. Man hat geheiratet, man ist verschmolzen.

Spätestens dann ist die Fed keine unabhängige Institution mehr. Jede US-Regierung wird Notenbankvertreter von ihren Gnaden einsetzen, die die Konjunktur zum Nutzen ihrer eigenen Wiederwahl schmieren. Schließlich ist Krise - und auch Wahl - doch irgendwie immer, oder?

Endlich könnten Geldpolitiker gemeinsam mit Finanzpolitikern das Pipi Langstrumpf-Prinzip befolgen: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Und warum sollte man das Auszahlvolumen der Fed nicht jährlich dynamisieren?

Liebe Anlegerinnen, liebe Anleger, Sie glauben nicht, dass es so weit kommt? Haben Sie es auch nicht für möglich gehalten, dass Zinsen auf dem jetzig niedrigen Niveau liegen und Staatsfinanzierung durch die Notenbanken Realität wird?

Im Krieg gegen Wachstumsschwäche sind alle auch unorthodoxen geldpolitischen Mittel erlaubt. Vor nichts haben Politiker mehr Angst als vor einer unkontrollierbaren Straße, die nicht mehr zu befrieden ist.

So könnte man frei nach dem Vorspann einer jeden Folge der klassischen Serie „Raumschiff Enterprise“ sagen: Viele Lichtjahre von der Stabilität entfernt, dringt die Fed in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat."

Blicken wir über den großen Teich nach Europa. Ist es wirklich auszuschließen, dass auch der EZB noch viel mehr Reichweite gelingt? Wir haben doch auch Konjunktur- und soziale Probleme, oder? Und die Geschenke, um Europa zusammenzuhalten, kosten ja auch Geld.

Von der Fed lernen, heißt auch für die EZB siegen lernen.

                                                                            ***

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank. Er ist einer der bekanntesten Finanzanalysten im DACH-Raum.


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