Deutschland

Nach Ende des Lockdowns winken Inflation und Steuererhöhungen - nur die Konzerne profitieren

DWN-Gastautor Christian Kreiß analysiert die ökonomischen Folgen des zweiten Lockdowns.
18.11.2020 08:59
Aktualisiert: 18.11.2020 08:59
Lesezeit: 5 min
Nach Ende des Lockdowns winken Inflation und Steuererhöhungen - nur die Konzerne profitieren
Tafel vor einem Lokal in Berlin. (Foto: dpa) Foto: Annette Riedl

Die Quote der Intensivbettenbelegung in Deutschland liegt seit Anfang August sehr konstant bei etwa 75 Prozent. Das heißt, die Quote der freien Intensivbetten liegt fast durchgehend bei 25 Prozent. Bezieht man die Notfallreserve an freien Intensivbetten mit ein, liegt der Anteil an freien, zur Verfügung stehenden Intensivbetten seit Monaten zwischen 45 und 50 Prozent, also beinahe jedes zweite Bett ist frei (Stand: 16. November 2020). Die freien Kapazitäten sind sehr groß, es gibt seit Monaten keinerlei Anzeichen für einen generellen Engpass in deutschen Kliniken oder für die Gefahr einer unzureichenden Behandlungsmöglichkeit.

Trotzdem wurde Ende Oktober in Deutschland der zweite Lockdown ausgerufen. Bereits der erste Lockdown hat uns eine schwere Rezession beschert. Jetzt durchleiden wir erneut massive Unterbeschäftigung, Millionen von arbeitslosen Künstlern und Kulturschaffenden, Gastronomie- und Hotelzwangsschließungen, Reiseverbote und Maskenzwang selbst für Grundschüler (obwohl kleine Kinder unter elf sich weder nennenswert infizieren noch zum Infektionsgeschehen beitragen).

Wenig Kritik

Warum gibt es angesichts dieses Widerspruchs so wenig Kritik? Warum gibt es so wenige Diskussionen um den Sinn der Maßnahmen oder über Alternativen, beispielsweise, ob wir nicht auch den schwedischen Weg gehen könnten?

Einer der Gründe dafür ist die ökonomische Appeasement-Politik – eine Beruhigungspolitik in historisch nie dagewesenem Ausmaß. Die deutsche Regierung gibt 2020 und 2021 zusammen knapp 1.500 Milliarden Euro (1,5 Billionen) Beruhigungsgeld aus, das entspricht etwa 30 Prozent des Bruttosozialprodukts. Ein solcher Staatschuldenanstieg in Friedenzeiten, ein solches Ausschütten von staatlichen Geldmassen ist historisch einzigartig. Sehr viele Betroffene werden geradezu zugeschüttet mit Geld.

Noch nie in der deutschen Geschichte gab es ein solch gigantisches Programm zur Ankurbelung der Konjunktur. Dass die deutsche Wirtschaft trotz dieses enormen „deficit spending“ (Defizit-Finanzierung) in den ersten neun Monaten 2020 um knapp sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr geschrumpft ist, zeigt, dass die wahre ökonomische Lage geradezu desolat ist. Denn ein Programm zur Ankurbelung der Konjunktur im Umfang von etwa 20 Prozent vom Sozialprodukt, wie es 2020 stattfindet, würde normalerweise zu einem Wirtschaftswachstum in etwa derselben Höhe führen. Wenn stattdessen eine Wirtschaftsschrumpfung von sechs Prozent stattfindet, wird deutlich, dass die tatsächliche Wirtschaftslage katastrophal ist.

Das Überschütten mit Geld zeigt Wirkung: Sehr viele Wirtschaftsvertreter protestieren nicht. Das Handelsblatt verweist in diesem Zusammenhang auf „einen wichtigen Verbündeten in der Runde, einen mit tiefen Taschen: Olaf Scholz. Der Bundesfinanzminister köderte die Ministerpräsidenten mit einer milliardenschweren Zusage. Er versprach ´massive Hilfe´ für die vom Lockdown light betroffenen Branchen“. Das zeigt Wirkung auf das Protestverhalten. Das Handelsblatt schildert eine bekannte Gaststätte in Hamburg, bei der am Vorabend des zweiten Lockdown „die Prosecco-Korken ploppen: Prost Lockdown. Untergangsstimmung sieht anders aus. Aber zu der besteht für Restaurantbetreiber auch kein Anlass. 75 Prozent des vorherigen Umsatzes gibt es für die Zwangsschließung vom Staat. Wenn man bedenkt, dass zugleich der komplette Wareneinsatz entfällt, ist das eine mehr als großzügige Entschädigung für einen Monat Urlaub.“ So sichert man sich die Zustimmung vieler Betroffener und gleichzeitig auch politische und mediale Befürwortung beziehungsweise so verhindert man Kritik.

Die Konsequenzen

Nicht nur die Ist-Situation ist belastend, sondern beinahe noch mehr die künftige. In einem sehr ausführlichen Artikel mit dem Titel „Die Schulden-Pandemie: Wie Corona die Staatsfinanzen ruiniert“ weist das Handelsblatt auf die Unhaltbarkeit dieser aggressiven Schuldenpolitik bei gleichzeitiger Geldschwemme durch die Notenbanken hin. Es werde nach der Corona-Krise zu Steuererhöhungen und vermutlich Inflation kommen.

Diese Sorge bestätigt ein Blick auf die Politik der führenden westlichen Zentralbanken, die in historisch nie dagewesenem Umfang die Notenpresse angeworfen haben. Die EZB hat die Zentralbankgeldmenge seit 2006 gut versechsfacht, die US-Notenbank FED seit 2007 beinahe verneunfacht. Das heißt, heute existieren grob sechs- bis neunmal so viele Geldansprüche in Form von Giroguthaben oder Banknoten an das Sozialprodukt wie vor etwa 13 Jahren. Wenn diese Geldansprüche jemals auch nur annäherungsweise geltend gemacht werden, können die Preise nur ansteigen, das heißt inflationäre Prozesse einsetzen. Die aktuellen Börsenkurse, Immobilien- und Goldpreise deuten bereits in diese Richtung.

Kurz: Die aktuelle Beruhigungspolitik der deutschen Regierung, indem Betroffene mit Geld überschüttet werden, damit sie nicht oder nicht zu sehr gegen die Lockdowns protestieren, ist ein Scheck auf die Zukunft, verschiebt die Rechnung auf später.

Dennoch gibt es einige kritische Stimmen aus der Wirtschaft. Der „Deutsche Hotel- und Gaststättenverband“ (Dehoga) warnte bei Beginn des zweiten Lockdowns, „Zehntausenden Unternehmen drohe ohne umfassende finanzielle Hilfen die Pleite. […] „Durch den zweiten Lockdown wird ein Drittel der 245.000 Betriebe den Winter nicht überstehen. Ohne umfassende Entschädigungshilfe droht ihnen die Pleite““ sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Laut der Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel seien Stand Ende Oktober 14,5 Prozent der untersuchten Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland insolvenzgefährdet. Der Präsident des Handelsverbandes Textil, Steffen Jost meinte: „Es wird ein Ladensterben in den Hauptlagen geben. Das Gesicht vieler Innenstädte wird sich massiv verändern. Manche wird es nicht mehr geben.“ Und der Handelsverband Deutschland fürchtet, „am Ende könne die Krise 50.000 mittelständische Unternehmen die Existenz kosten.“

Über diese Entwicklungen sind nicht alle unglücklich. Ein Münchner Gastronom erzählte mir vor wenigen Tagen, im März hätte er noch aussteigen, sein Lokal schließen und mit etwa 200.000 bis 300.000 Euro Eigenkapital herauskommen können. Sein mitbeteiligter Sohn wollte aber weitermachen. Eine Fehlentscheidung. Heute ist das Eigenkapital weg. Gerade bekam das Unternehmen einen KfW-Kredit über 400.000 Euro für zwei Jahre. Der Gastronom sagt, jetzt kann er seine Leute und die Pacht noch für zwei Jahre zahlen, dann sind auch die 400.000 Euro weg und er hört auf. Bei einer kürzlichen Besprechung der Dehoga mit führenden Münchner Gastronomen waren über diese Entwicklungen, so der Münchner Gastronom, wie gesagt nicht alle unglücklich: Brauereieigentümer, Großinvestoren und Großgastronomen schauen sich an, welches Lokal an welchem Standort jetzt günstig zu haben ist und greifen dann zu. Ein sehr bekannter Münchner Spitzengastronom sagte demnach: Das Ganze kostet mich jetzt ein paar Millionen Umsatz, aber danach habe ich ein paar sehr hübsche Standorte mehr und stehe viel besser da als zuvor.

Die Konzerne profitieren

Genau das ist ein zentrales Grundprinzip, das hinter den Lockdowns in den Industrieländern steht. Die Großen fressen die Kleinen. Deshalb gab und gibt es auch keinen nennenswerten Widerstand Seitens der Großunternehmen gegen die Lockdown-Politik. Im Gegenteil. Wie gesagt: Jetzt kostet es ein paar Millionen, vielleicht auch ein paar Milliarden Umsatz, aber danach steht man viel stärker da als zuvor. Die Lockdowns arbeiten denjenigen, die jetzt auf viel Liquidität sitzen, in die Hände. Dazu kommt: Die Großunternehmen wissen ganz genau, dass sie im Zweifelsfall von der Regierung gerettet werden, Stichwort too big to fail, zu groß, um pleitezugehen, Beispiel Lufthansa. Die Fluggesellschaft wurde mit etwa zehn Milliarden Euro Staatsgeldern gerettet. Allein im dritten Quartal 2020 verbrannte sie davon zwei Milliarden Euro. Man kann davon ausgehen, dass die Lufthansa, auch nachdem sie ihre Finanzreserven verbrannt hat, nicht pleitegehen wird.

Wie bereits in der Vergangenheit, insbesondere in der schlimmen Weltwirtschafts- und Finanzkrise 1907, wird es auch diesmal gewaltige Gewinner des kommenden Bereinigungsprozesses geben. Die Großen werden in möglicherweise nie dagewesenem Umfang die Kleinen fressen. Je mehr Angst vorhanden ist, desto länger und strikter werden die Lockdowns. Jeder Tag zusätzlicher Lockdown führt mittelfristig zu zusätzlichen Gewinnen der großen Akteure. Je schlimmer die Lockdowns, desto stärker wird die Markbereinigung, desto größer wird der Machtzuwachs bei einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Besitzenden, denen die großen Konzerne ganz oder zumindest in großen Teilen gehören.

Zum Autor: Prof. Dr. Christian Kreiß lehrt seit 2002 Finanzierung und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Aalen. Er ist Autor von sieben Büchern, unter anderem „Gekaufte Wissenschaft“ (2020); „Gekaufte Forschung“ (2015) sowie „Geplanter Verschleiß“ (2014). Dreimal hat er als unabhängiger Experte vor dem Bundestag gesprochen.

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Christian Kreiß

                                                                            ***

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

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