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Verstöße im Naturschutz: Von der Leyens EU-Kommission verklagt Deutschland vor EuGH

Lesezeit: 2 min
18.02.2021 20:56  Aktualisiert: 18.02.2021 20:56
Deutschland weist Schutzgebiete für Tiere und Pflanzen nicht so aus, wie es soll. Der Vorwurf der EU-Kommission steht seit Jahren im Raum und gipfelt nun in einer Klage. Ein Vorwurf, zu dem das Bundesumweltministerium eine ganz eigene Auffassung hat.
Verstöße im Naturschutz: Von der Leyens EU-Kommission verklagt Deutschland vor EuGH
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, ist während einer Videokonferenz bei der Davos Agenda im Rahmen des Weltwirtschaftsforum (WEF) auf einem Bildschirm zu sehen. Aufgrund der Corona-Pandemie findet das Weltwirtschaftsforum online statt. (Foto: dpa)
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Von Fatima Abbas und Michel Winde

Seit Jahren gibt es Mahnungen, jetzt ist den Entscheidern in Brüssel der Kragen geplatzt: Die EU-Kommission verklagt Deutschland wegen jahrelanger Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht vor dem Europäischen Gerichtshof. Ein Schlag, der für die Bundesrepublik teuer werden könnte. Wie die Brüsseler Behörde am Donnerstag mitteilte, hat Deutschland es zum Teil seit mehr als zehn Jahren versäumt, entsprechende Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität umzusetzen. Umweltverbände in ganz Deutschland bringt das Versäumnis auf die Palme.

Konkret geht es um die EU-Regeln zur Erhaltung natürlicher Lebensräume sowie zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen. Kern ist die Ausweisung von Schutzgebieten, vor allem der sogenannten FFH-Gebiete. Demnach müssen die EU-Staaten bestimmte Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete ausweisen. Zum Verfahren gehört die Festlegung sogenannter Erhaltungsziele, um den Bestand von Arten zu schützen oder wiederherzustellen. Tun die Staaten das nicht, setzen sie die sogenannte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU nicht ausreichend um - und riskieren in der Folge ein Verfahren.

Die EU-Kommission bemängelt, dass Deutschland «eine bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen» habe. Zudem habe Deutschland für seine 4606 Schutzgebiete keine ausreichenden Erhaltungsziele festgelegt.

Die Klage ist der Höhepunkt eines Vertragsverletzungsverfahrens, das die EU-Kommission bereits 2015 eingeleitet hatte. Von diesem Verfahren sind nach Angaben des Bundesumweltministeriums alle 16 Bundesländer betroffen. Auch der Bund in geringerem Maße, mit acht FFH-Gebieten in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in Nord- und Ostsee.

Zur nun eingereichten Klage bezog das Bundesumweltministerium am Donnerstag ausführlich Stellung. «Die Klageeinreichung mit genauen Einzelheiten wird in den kommenden Wochen oder Monaten erwartet», hieß es schriftlich. Die Bundesregierung werde diese eingehend prüfen und sich eng mit den Bundesländern abstimmen, die für «die weitaus meisten FFH-Gebiete» zuständig seien.

«Bezüglich eines Teils der Vorwürfe» seien in den vergangenen Jahren «erhebliche Fortschritte» gemacht worden, betonte das Ministerium. So seien inzwischen mehr als 99,4 Prozent aller FFH-Gebiete rechtlich gesichert und für circa 84 Prozent der Gebiete die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt. «Rechtlich gesichert» heißt, dass die Gebiete gemäß der EU-Richtlinie als Schutzgebiete ausgewiesen sind.

Bei den Erhaltungszielen gibt es einen grundlegenden Dissens. Die Vorgaben seien «aus Sicht der Länder rechtlich zu weitgehend. Dem hat sich der Bund angeschlossen», erklärte das Bundesumweltministerium weiter. Die Umsetzung würde einen «immensen finanziellen und verwaltungstechnischen Aufwand bedeuten» und sich «vermutlich über viele Jahre hinziehen». Bundesregierung und Länder seien jetzt schon der Auffassung, «dass sie mit ihrer Praxis zur Festlegung der Erhaltungsziele im Einklang mit der FFH-Richtlinie handeln».

Eine Haltung, die die Opposition nicht nachvollziehen kann. Die Bundesregierung sei bislang «nicht damit aufgefallen, die Biodiversität in Schutzgebieten stärken zu wollen», urteilte die naturschutzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Steffi Lemke. Eine der Ursachen für die Nicht-Erfüllung der EU-Kriterien sieht sie in der «jahrelangen personellen Ausdünnung der unteren Naturschutzbehörden». Da müssten Bund und Länder dringend nachsteuern, sagte Lemke.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Frank Sitta, findet, dass das Verhalten der Bundesregierung «entweder auf dreiste Überheblichkeit oder schlichte Ahnungslosigkeit des Umweltressorts schließen» lasse. «Die Klage der EU-Komission entlarvt die deutsche Schaufenster-Umweltpolitik», sagte Sitta der Deutschen Presse-Agentur.

Mehrere Abgeordnete der FDP hatten im vergangenen Jahr eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um mehr über die vom Vertragsverletzungsverfahren betroffenen Gebiete zu erfahren. Das Verfahren an sich sei vertraulich, heißt es in der Antwort. Stand März 2020 habe es noch 88 FFH-Gebiete gegeben, die «nicht rechtlich gesichert» seien, teilte die Bundesregierung am 2. September 2020 mit. Und: All diese Gebiete lagen den Angaben zufolge in Niedersachsen.

Das niedersächsische Umweltministerium hat mittlerweile nachgebessert. Jetzt seien es nur noch 33 Gebiete, teilte Umweltminister Olaf Lies (SPD) erst vor wenigen Tagen mit. Seinen Kommunen setzte er ein Ultimatum bis Mitte Juli. Auch Lies weiß: Bei einer Verurteilung drohen Deutschland hohe Strafen.

Entsprechend empört reagierten am Donnerstag auch die Umweltverbände. Es sei ein «Armutszeugnis, Bund und Länder verklagen zu müssen, um die Verträge einzuhalten», sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt. Die Entscheidung der EU-Kommission sei «überfällig». Auch der Nabu, WWF Deutschland und Greenpeace forderten die politisch Verantwortlichen auf, endlich den Forderungen aus Brüssel gerecht zu werden - was nach aktuellem Stand mehr als schwierig werden könnte.


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