Finanzen

Die EZB muss sich der „fiskalischen Dominanz“ der Südeuropäer unterordnen

Lesezeit: 2 min
19.02.2021 15:44  Aktualisiert: 19.02.2021 15:44
Im Rahmen einer „fiskalische Dominanz“ muss sich die EZB offenbar den Erfordernissen der hochverschuldeten südeuropäischen EU-Staaten unterordnen.
Die EZB muss sich der „fiskalischen Dominanz“ der Südeuropäer unterordnen
EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Italiens neuer Premier Mario Draghi. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Auf die Europäische Zentralbank (EZB) wartet nach einem Abklingen der Corona-Pandemie ein Drahtseilakt. Einerseits dürften hochverschuldete Euro-Staaten wie Italien vorerst weiterhin auf geldpolitische Unterstützung angewiesen sein. Andererseits müssen die Währungshüter um Notenbank-Chefin Christine Lagarde aufpassen, dass sie auch die wirtschaftlich starken Euro-Länder weiter an Bord halten. Denn diese drängen darauf, dass nach Überwindung der Pandemie die weit geöffneten Geldschleusen wieder geschlossen werden.

„Ich glaube, dass die EZB in einer Falle sitzt“, sagt Friedrich Heinemann, Forschungsleiter beim Wirtschaftsinstitut ZEW. Er befürchtet, dass die EZB den Druck der Staaten spüren wird, die auf weiterhin niedrige Zinsen angewiesen sind, um sich zu refinanzieren. In der Fachwelt wird eine Unterordnung der Geldpolitik unter die Haushaltsbedürfnisse von Ländern als „fiskalische Dominanz“ bezeichnet. „Gewisse hochverschuldete Staaten können gar nicht mehr alleine klarkommen,“ sagt Heinemann. Sorgenkind ist vor allem Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone. „Man kann sich im Augenblick schwer vorstellen, wie Italien sich weiter stabil finanzieren kann ohne diese anhaltende Unterstützung der EZB.“

Das Mittelmeerland war schon vor der Krise hoch verschuldet. Inzwischen macht der öffentliche Schuldenberg Italiens 154 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus - das liegt weit über dem Schnitt der Währungsunion. Innerhalb der Euro-Zone ist nur Griechenland höher verschuldet. Insgesamt wird nach Schätzungen der EU-Kommission die öffentliche Verschuldung der 19-Ländergemeinschaft im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung in diesem Jahr auf etwa 102 Prozent klettern von rund 86 Prozent im Jahr 2019.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hält nicht viel von dem Argument, dass die Notenbank dem Druck der Finanzbedürfnisse der Staaten nicht widerstehen kann. Die EZB werde in der Lage sein, nötigenfalls eine geldpolitische Wende einzuleiten und aus den billionenschweren Anleihenkäufen auszusteigen, sagte er im vergangenen Jahr in einem Reuters-Interview. Ein solcher Kurswechsel scheint jedoch aktuell nicht in Sicht, denn die Inflation im Währungsraum liegt deutlich unter dem EZB-Ziel von knapp unter zwei Prozent. Der jüngste Anstieg der Teuerungsrate, verursacht etwa durch das Ende der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland und höhere Energiepreise, könnte nur vorübergehend sein. Die EZB rechnet derzeit nicht mit einem nachhaltigen Preisschub in Richtung ihres Inflationsziels. Bislang erwartet sie für 2023 lediglich eine Teuerungsrate von 1,4 Prozent. Aktuell liegt sie gerade einmal bei 0,9 Prozent.

Und selbst wenn die Inflation einmal über die Ziel-Marke klettern sollte, könnte Notenbank-Chefin Lagarde dafür argumentieren, sie für eine Zeit darüber hinaus schießen zu lassen - gewissermaßen als Ausgleich für eine lange Phase des Nichterreichens. Damit würde die EZB dem Beispiel der US-Notenbank Fed folgen, die ein moderates Überschreiten ihres Inflationsziels zulassen will, wenn die Teuerung zuvor längere Zeit zu niedrig gewesen ist. Im Euro-Raum liegt die Inflation inzwischen seit rund acht Jahren unter der EZB-Zielmarke. Bei der aktuellen Strategieüberprüfung der EZB dürfte eine solche Vorgehensweise debattiert werden.

„Ein Land kann unendlich lang mit einem Zins von null Prozent arbeiten, solange die Menschen nicht das Vertrauen in das Geld verlieren“, sagt Philipp Vorndran, Investmentstratege beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch, und verweist auf das Beispiel Japan. In der Euro-Zone liegt der Leitzins schon seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Zudem hat die EZB seit Frühjahr 2015 Staatsanleihen und andere Titel über mehr als 3,6 Billionen Euro erworben. Auslaufende Bonds im Bestand sollen auch nach der Pandemie noch für einen gewissen Zeitraum weiterhin ersetzt werden.

Aus Sicht von ZEW-Experte Heinemann hat die EZB ein Problem, sollte die Inflation wieder nachhaltig steigen. „Ich rechne auch mit einem Zielkonflikt für die EZB“, sagt er. „Wir werden am Ende der Pandemie 2022, aber auch schon 2021, einen deutlichen Inflationsanstieg sehen.“ Aus seiner Sicht könnte es dann zu einem Nachholboom bei den Konsumausgaben kommen.

Nicht nur die hohen Schuldenstände der Staaten, auch die infolge der ultralockeren Geldpolitik auf Hochtouren laufenden Börsen erschweren es der Notenbank, ihre Geldschleusen wieder zu schließen. Denn dann drohen erhebliche Turbulenzen an den Finanzmärkten. Luis Garicano, Wirtschaftsprofessor an der IE Business School und Mitglied des EU-Parlaments, bringt es auf den Punkt: „Was die Fähigkeit der EZB einschränkt, gegen Inflation vorzugehen, ist nicht nur die fiskalische Dominanz sondern auch die Abhängigkeit der Finanzmärkte von niedrigen Marktzinsen.“


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Bericht: Habeck-Mitarbeiter sollen Kritik am Atom-Aus missachtet haben
25.04.2024

Wichtige Mitarbeiter von Bundesministern Habeck und Lemke sollen laut einem Bericht interne Zweifel am fristgerechten Atomausstieg...

DWN
Finanzen
Finanzen Feiertagszuschlag: Was Unternehmer an den Mai-Feiertagen beachten sollten
25.04.2024

Feiertagszuschläge sind ein bedeutendes Thema für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Wir werfen einen genauen Blick auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen Teurer Anlegerfehler: Wie der Blick in den Rückspiegel fehlgeht
25.04.2024

Anleger orientieren sich an den Renditen der vergangenen drei bis zehn Jahre, um Aktien oder Fonds auszuwählen. Doch laut Finanzexperten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kommunikation im Wandel – Was es für Unternehmen in Zukunft bedeutet
25.04.2024

In einer Ära schneller Veränderungen wird die Analyse von Trends in der Unternehmenskommunikation immer entscheidender. Die Akademische...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts
25.04.2024

Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - es fällt schwer, in deutschen Großstädten beim Angebot der Essenskuriere den Überblick zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Familienunternehmer in Sorge: Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit
25.04.2024

In einer Umfrage kritisieren zahlreiche Familienunternehmer die Politik aufgrund von übermäßiger Bürokratie und Regulierung. Besonders...

DWN
Finanzen
Finanzen So wählt Warren Buffett seine Investments aus
25.04.2024

Warren Buffett, auch als „Orakel von Omaha“ bekannt, ist eine Ikone der Investment-Welt. Doch worauf basiert seine Investmentstrategie,...

DWN
Technologie
Technologie KI-Chips trotz Exportbeschränkungen: China sichert sich US-Technologie durch die Hintertür
25.04.2024

Trotz der US-Exportbeschränkungen für Hochleistungsprozessoren scheint China einen Weg gefunden zu haben, sich dennoch mit den neuesten...