Politik

Kurz vor der Bundestagswahl: Regierung will ausufernden Strompreis drücken - der Bürger zahlt aber in jedem Fall

Lesezeit: 4 min
26.04.2021 11:06  Aktualisiert: 26.04.2021 11:06
Wenige Monate vor der Bundestagswahl mehren sich Stimmen in der Regierungskoalition, den Strompreis zu drücken. Auf die Bürger kommen aber in jedem Fall höhere Lebenshaltungskosten zu.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz macht sich für günstigere Strompreise und die Streichung der EEG-Ökostromumlage stark. „Wir wollen den Öko-Aufschlag auf den Strompreis, die EEG-Umlage, abschaffen und aus dem Haushalt bezahlen. Das entlastet Unternehmen und Bürger. Eine vierköpfige Familie spart so im Schnitt etwa 300 Euro Stromkosten pro Jahr“, sagte der Finanzminister der Bild am Sonntag.

Die EEG-Umlage ist ein wesentlicher Bestandteil der Stromrechnung. Damit die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht noch weiter drastisch steigt, hatte die Bundesregierung die Umlage für die Jahre 2021 und 2022 bereits mit milliardenschweren Steuergeldern aus dem Haushalt stabilisiert. Die Umlage liegt dadurch 2021 bei 6,5 Cent pro Kilowattstunde und 2022 bei 6 Cent und macht damit ein Fünftel des Strompreises aus.

Die Strompreise in Deutschland gehören aufgrund der Energiewende zu den höchsten der Welt. Auch andere Politiker wie beispielsweise Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatten sich in den vergangenen Monaten dafür ausgesprochen, die EEG-Umlage abzuschaffen oder zu deckeln und die ausufernden Kosten für die garantierte Abnahme von Wind- oder Solarstrom zu hohen Preisen im Bundeshaushalt zu verstecken. Die nun durch Scholz anvisierte Verhinderung eines weiteren Anstiegs fällt in die Zeit vor den nächsten Bundestagswahl.

CO2-Sondersteuer soll kräftig steigen

Unionsfraktionsvizechef Andreas Jung will die erst Anfang des Jahres eingeführte Sondersteuer auf das Naturgas Kohlenstoffdioxid (CO2) für schneller als geplant erhöhen und mit den Einnahmen den Strompreis stärker dämpfen. „Die jährlichen Schritte müssen größer werden, es muss jetzt schneller gehen, sonst erreichen wir die höheren Ziele bis 2030 nicht“, erklärt er in einer Stellungnahme, die Reuters am Montag vorlag, mit Blick auf neue Klimaschutzziele.

Seit Anfang des Jahres verteuert die CO2- Sondersteuer von 25 Euro pro Tonne beispielsweise Sprit um etwa acht Cent den Liter, im nächsten Jahr sollte sie eigentlich um ein Fünftel steigen. „Höhere Preise führen aber auch zu mehr Einnahmen und davon darf nichts im Haushalt hängen bleiben“, schreibt Jung in seiner Erklärung, über die zunächst der Spiegel berichtet hatte. Damit könne man die Umlage zur Finanzierung des Ökostroms in der nächsten Wahlperiode komplett abschaffen.

Auch bei den Grünen gibt es Sympathie für eine stärkere Erhöhung der CO2-Sondersteuer. So sagte deren Energie-Expertin Ingrid Nestle dem Handelsblatt: „Wir wollen die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro auf das Jahr 2023 vorziehen“. Bislang ist für 2023 ein CO2-Preis von 35 Euro vorgesehen. 2024 sind 45 Euro geplant, 2025 dann 55 Euro. 2026 soll es dann einen Preiskorridor von 55 bis 65 Euro geben.

Sollte die CO2-Sondersteuer angehoben werden, werden auch die Bürger finanziell belastet, weil die Produzenten die Mehrkosten in Form höherer Preise weitergeben werden.

Wirtschaftsweise warnt vor sozialer Spaltung

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm spricht sich für Strukturreformen aus, damit Unternehmen Anreize hätten, in klimaneutrale Geschäftsmodelle zu investieren. „Es ist ganz wichtig, dass wir jetzt die Grundsteine legen. Ein wesentliches Element ist eine Energiepreis-Reform, die stärker die Belastung von CO2-Emissionen vorsieht, also einen konsequenten Anstieg der CO2-Bepreisung und das möglichst in ganz Europa.“

Im Gegenzug sollten die Abgaben und Umlagen auf den Strompreis konsequent abgebaut werden. „Die Dekarbonisierung in den Sektoren Verkehr und Wärme sowie in der Industrie kann nur über erneuerbaren Strom stattfinden“, sagte Grimm. „Es ist sehr ungünstig, dass der Strompreis in Deutschland so hoch ist, weil das Geschäftsmodelle, die den erneuerbaren Strom in der Wärmeerzeugung, in der Mobilität und in der Industrie nutzen, unattraktiv macht.“ Die Abgaben und Umlagen müssten runter. „Das könnte refinanziert werden durch einen ansteigenden CO2-Preis und durch die Abschaffung von direkten und indirekten Subventionen fossiler Energieträger.“

Grimm hat vor der Gefahr von sozialen Spaltungen in der Corona-Krise gewarnt. „Die unteren Einkommensgruppen gehören zu den größten Verlierern in der Corona-Krise, in vielfacher Hinsicht“, sagte Grimm der Deutschen Presse-Agentur.

„Befragungsdaten zeigen, dass sie im Durchschnitt eher Einbußen hinnehmen mussten als die mittleren und oberen Einkommensgruppen. Zum anderen sind viele Minijobs weggefallen, was für diese Einbußen einer der Gründe sein könnte“, sagte Grimm. „Außerdem arbeiten viele Personen in den unteren Einkommensklassen in Berufen, die jetzt besonderen Belastungen ausgesetzt sind, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen oder in den geöffneten Supermärkten.“

Die Kinder im Homeschooling seien dann oft auf sich gestellt, wenn die Eltern arbeiten müssten und nicht zu Hause seien. „Wir müssen viel mehr tun, damit nicht zu große Lernrückstände entstehen und bereits entstandene Lernrückstände abgebaut werden. Es muss sichergestellt werden, dass Schülerinnen und Schüler genügend betreut werden“, so Grimm. „Es müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, wenn es zum Beispiel Probleme mit der IT gibt oder anderweitig Unterstützung gebraucht wird. Schülerinnen und Schüler von heute sind Fachkräfte von morgen.“

Grimm ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. Angesichts der anhaltenden Corona-Krise hatten die «Wirtschaftsweisen» vor kurzem ihre Konjunkturprognose für 2021 gesenkt.

Eine Folge der Pandemie ist es, dass die Sparquote enorm gestiegen ist. „Viele haben ihre Urlaubsreisen abgesagt, konnten nicht ins Theater oder Kino gehen“, sagte Grimm. „Vieles von dem, was jetzt nicht stattgefunden hat, kann aber nicht unmittelbar nachgeholt werden. Die Menschen haben jetzt viel Geld in der Tasche. Aber sie gehen nicht doppelt so oft ins Restaurant, wenn das wieder möglich ist, oder fahren doppelt oder dreimal so oft in den Urlaub.“

Das sei ein Grund, warum diese Ersparnis nicht so schnell abgebaut werden dürfte. „Die Ersparnis findet auch im wesentlichen bei den höheren Einkommensgruppen statt und dürfte zum Teil ins langfristige Sparen übergehen, wenn sich der Konsum weitestgehend an den monatlichen Einkommen orientiert.“


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...