Deutschland

Halbleiter werden zur Achillesferse der deutschen Wirtschaft

Das größte Risiko für die Erholung der deutschen Industrie von der Corona-Pandemie stellt der Mangel an Halbleitern dar.
30.04.2021 12:58
Aktualisiert: 30.04.2021 12:58
Lesezeit: 2 min
Halbleiter werden zur Achillesferse der deutschen Wirtschaft
Ein IGBT-Modul (insulated-gate bipolar transistor; Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode) von Infineon, aufgenommen am 28.01.2015 in der Zentrale des Halbleiterherstellers in Neubiberg bei München (Bayern). (Foto: dpa) Foto: Andreas Gebert

Das größte Risiko für die Erholung der deutschen Industrie von der Corona-Pandemie lässt sich derzeit auf eine Zahl reduzieren: 45. Fast die Hälfte der Unternehmen - genauer: 45 Prozent - haben mit Engpässen bei Vorprodukten zu kämpfen. Ein Rekordwert, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner monatlichen Umfrage herausfand. Besonders dramatisch ist die Lage bei Halbleitern, deren Knappheit zu Produktionsstopps in der Autobranche führt. Das zwingt Manager wie Politiker gleichermaßen dazu, über Lieferketten und die Abhängigkeit von einigen wenigen Lieferanten aus den USA und Asien nachzudenken. Sie wollen den Aufbau von eigenen Chipfabriken in Europa forcieren - doch das braucht Zeit.

"Die Situation ist sehr angespannt", sagt Eckehart Rotter, Sprecher des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA). "Es mussten bereits mehrfach Produktionslinien für mehrere Wochen angehalten werden, weil essenzielle Bauteile, insbesondere Steuergeräte, nicht rechtzeitig geliefert werden konnten." Auch für die kommenden Wochen haben die Autohersteller – bedingt durch die Halbleiterknappheit - Kurzarbeit und Produktionskürzungen angekündigt. Es fehlen nicht nur hochintegrierte Mikroprozessoren, sondern auch einfache Steuerelemente. In modernen Fahrzeugen können mehr als 1000 solcher Komponenten verbaut sein.

Ihre Ursache haben die akuten Halbleiter-Probleme in der Corona-Krise. 2020 wurde die Produktion heruntergefahren wegen der weltweiten Rezession. Dass sich die Weltwirtschaft so schnell davon erholt, hatten die wenigsten auf dem Schirm. Zudem beschleunigte die Pandemie die Digitalisierung, die Nachfrage nach Komponenten für die Ausstattung von Homeoffices und Online-Schooling stieg weltweit rasant. Erschwerend hinzu kommt, dass die Autobauer und Zulieferer von nur einer Handvoll Herstellern abhängig sind. Dazu gehören TSMC, GlobalFoundries, Samsung Electronics, United Microelectronics und SMIC, deren Produktionsstätten sich hauptsächlich in Taiwan, Südkorea, China und den USA befinden. "Wir rechnen damit, dass sich die Knappheitsprobleme bei Halbleitern im zweiten Quartal eher noch etwas verschärfen", sagt Bundesbank-Chefvolkswirt Jens Ulbrich. "Ab der Jahresmitte könnte es sich dann normalisieren."

Die Probleme der deutschen Industrie bei der Beschaffung wichtiger Materialien dämpfen die ohnehin schon schleppende Erholung der Wirtschaft von der Corona-Krise. "Die aktuellen Lieferengpässe bei Vorleistungen bremsen derzeit die Konjunktur", warnt der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider. "Diese treffen vor allem die Industrie – insbesondere der Autosektor -, da hier die Exportnachfrage bereits kräftig angesprungen ist." Diese dürfte - zusammen mit den andauernden Corona-Einschränkungen bei den Dienstleistern - das Wirtschaftswachstum im Frühjahr dämpfen. Schneider geht davon aus, dass sich bis zur Jahresmitte die physische Verfügbarkeit von Vorleistungen weitgehend normalisiert hat.

Das sieht auch ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski so. "Die Probleme und Verzögerungen gehören kurzfristig sicherlich zu den größten Risiken für die deutsche Wirtschaft", sagt er. Für das gesamte Jahr sollte das Risiko allerdings gering sein, da sich die Lieferengpässe irgendwann auflösen und es dann zu einem Aufholeffekt kommen dürfte, allerdings mit einem Nebeneffekt: "Was diese Lieferengpässe auch mit sich bringen werden, sind höhere Preise", sagt Brzeski.

MILLIARDEN FÜR CHIPFABRIKEN IN EUROPA

Damit die hiesige Wirtschaft in Zukunft solche Probleme erspart bleiben, fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein Umdenken. "Europa ist beim Chip-Design gefährlich abhängig von anderen Regionen", betont deren Expertin Iris Plöger. "Wegen der Bedeutung von Halbleitern für die Industrie muss Europa verloren gegangene Kompetenzen mit staatlicher Unterstützung wieder zurückholen." Europäische Souveränität bei Halbleitern sei wichtig, um künftig flexibler auf Brüche in den Lieferketten und auf krisenbedingt veränderte Konsummuster zu reagieren.

Im Bündnis mit der EU-Kommission wollen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire Milliarden an staatlichen Hilfen für den Aufbau den Bau lokaler Chipfabriken und die Entwicklung von Entwicklung von Halbleitern der nächsten Generation unterstützen. EU-Industriekommissar Thierry Breton, der sich am Freitag mit Intel-Chef Pat Gelsinger in Brüssel traf, will den europäischen Marktanteil bis 2030 auf 20 Prozent verdoppeln. Die Wirtschaft begrüßt das Vorhaben. "Die Resilienz der Lieferketten wächst durch Diversifizierung", sagt BDI-Expertin Plöger. "Vor dem Hintergrund digitaler Souveränität ist der Staat gefordert, sich mit Lieferengpässen und Kapazitätsaufbau zu befassen." Doch schnell geht das nicht. "Das erfordert Zeit und löst das aktuelle Engpassproblem nicht", macht VDA-Sprecher Rotter klar.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...

DWN
Politik
Politik Putin in Indien: Strategische Unabhängigkeit in der neuen Weltordnung
05.12.2025

Indien empfängt den russischen Präsidenten mit allen protokollarischen Ehren und stellt damit gängige westliche Erwartungen an globale...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Handwerkskunst aus Deutschland: Pariser Luxus-Modehäuser vertrauen auf die Stickerei Müller
05.12.2025

Die Stickerei Müller aus Franken fertigt für große Modehäuser wie Balenciaga und Yves Saint Laurent. Auf schwierige Jahre nach der...