Die Anleger an den europäischen Aktienmärkten haben zum Wochenschluss keine großen Sprünge gewagt. Dax und EuroStoxx50 rückten am Freitag jeweils um 0,2 Prozent auf 15.405 beziehungsweise 4008 Zähler vor. "An der Wall Street halten sich Inflations- und Zinssorgen hartnäckig, während die Investoren in Europa an den Seitenlinien bleiben und abwarten wollen, wie die vollständige Wiedereröffnung der EU-Wirtschaft ablaufen wird," fasst Analyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus Axi die Stimmung an den Märkten zusammen.
Die vergangenen Tage an den Börsen waren zum Teil von einem heftigen Auf und Ab geprägt. Händler rechneten damit, dass dies erst einmal so bleiben dürfte. Eine Reihe von Währungshütern denkt laut dem jüngsten Sitzungsprotokoll der US-Notenbank Fed über das Abschmelzen der aktuellen Konjunkturhilfen nach, sollte die wirtschaftliche Erholung weiter rasche Fortschritte machen. "Die Geldschleusen fangen langsam an, sich zu schließen", sagt Cutkovic. Derzeit unterstützt die Fed die von der Corona-Krise getroffene Wirtschaft mit monatlichen Geldspritzen von 120 Milliarden Dollar.
EURO-WIRTSCHAFT IM AUFSCHWUNG
Wie es um die Konjunktur in der Euro-Zone bestellt ist, zeigten am Vormittag die Einkaufsmanagerindizes. Das Barometer - Industrie und Dienstleister zusammengefasst - stieg im Mai unerwartet deutlich um 3,1 auf 56,9 Punkte. Zunehmende Lockerungen vom Corona-Lockdown haben der Wirtschaft der Euro-Zone zum kräftigsten Wachstum seit mehr als drei Jahren verholfen. Am Nachmittag folgt der Index für die Kauflaune der europäischen Verbraucher. Analysten sagen hier einen Anstieg auf minus 6,8 Punkte von minus 8,1 Zählern voraus. Der Euro, der seit Anfang April rund vier Prozent zugelegt hat, notierte leicht schwächer bei 1,2219 Dollar.
Unter den Einzelwerten ragten im Dax BMW heraus. In Erwartung einer geringeren Kartellstrafe der EU kletterten die Aktien in der Spitze um 1,9 Prozent auf 86,29 Euro. Der Autobauer löste den Konzernangaben zufolge seine Rückstellungen teilweise auf, dies führe im zweiten Quartal zu einem positiven Ergebniseffekt in Höhe von rund einer Milliarde Euro.
TEILAUSSTIEG VON GROSSAKTIONÄR BELASTET LUFTHANSA
Federn lassen mussten dagegen die Aktien der Lufthansa. Die Erben des verstorbenen Münchner Milliardärs Heinz Hermann Thiele haben sich von gut der Hälfte ihres Lufthansa-Aktienpakets getrennt. Die Familiengesellschaft KB Holding erlöste mit dem Verkauf von 33 Millionen Lufthansa-Aktien am Donnerstagabend 323 Millionen Euro. Der Preis lag mit 9,80 Euro um zehn Prozent unter dem Xetra-Schlusskurs von 10,87 Euro - ein ungewöhnlich großer Abschlag. Die im MDax notierten Titel verloren in der Spitze 6,7 Prozent auf 10,14 Euro.
An der Börse in Zürich verhalfen besser als erwartet ausgefallene Geschäftszahlen Richemont zu einem Rekordhoch. Die Aktien des Luxusgüter-Anbieters stiegen um 6,4 Prozent auf 100,65 Franken.
Einen guten Tag erwischten auch Fastned: Angesichts der geplanten Zusammenarbeit mit dem Elektroautobauer Tesla kletterten die Aktien des niederländischen Ladestationen-Anbieters in Amsterdam um fast sieben Prozent. Die beiden Unternehmen wollen in Zusammenarbeit mit der Ökostrom-Tochter des französischen Versorgers EDF Schnell-Ladestationen für E-Autos im britischen Oxford errichten.
INFLATION BLEIBT WICHTIGES THEMA
Wegen immer wieder aufflammender Inflationsängste müssen sich Investoren Experten zufolge auch nach dem verlängerten Pfingst-Wochenende auf Turbulenzen und Rücksetzer an den Börsen einstellen. Das aktuelle Kursniveau spiegele eine Menge Konjunkturoptimismus wider, sagt Anlage-Experte James Athey vom Vermögensverwalter Aberdeen Standard. "Und das trotz der immensen makroökonomischen Unsicherheit, die nach wie vor besteht." Die Euphorie der Anleger stehe in krassem Gegensatz zu den mittelfristigen Wachstumsaussichten.
In der alten Woche stieg der Dax zwar auf ein Rekordhoch von 15.538,01 Punkten, verlor unter dem Strich aber ein knappes halbes Prozent. Er beurteile die Aussichten der Aktienmärkte optimistisch, sagt Analyst Frank Wohlgemuth von der National-Bank in Essen. "Gerade die gebeutelten Technologiewerte könnten in den nächsten Wochen wieder einen zweiten Blick wert sein."
NEUE REKORDHOCHS VORAUS?
Anlage-Experte Joachim Goldberg von der Beratungsfirma Goldberg und Goldberg weist auf eine wachsende Kluft in der Stimmung ausländischer und heimischer Profi-Investoren hin. Während Erstere für den hiesigen Markt unverändert optimistisch seien, würden Letztere pessimistischer. Er halte daher einen "Short Squeeze" für möglich. Dabei müssen Investoren bei steigenden Kursen ihre Wetten auf einen Preisverfall auflösen und beschleunigen dadurch die Aufwärtsbewegung.
Die Inflationsängste seien ohnehin überzogen, sagt Martin Lück, Chef-Anlagestratege für Deutschland, Österreich und Osteuropa beim weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock. "Es spricht wenig dafür, dass der Covid-bedingte Inflationsschub sich in eine Lohn-Preis-Spirale übersetzt und damit dauerhaft wird." Denn in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung sei die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer schwach.
US-KONSUMAUSGABEN UND IFO-INDEX IM BLICK
Bei den US-Konjunkturdaten richten Investoren ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Einkommen und Konsumausgaben für April am Freitag. Bei den Einkommen erwarten Experten einen Rückgang um 14,5 Prozent nach einem Plus von 21,1 Prozent im Vormonat. Bei den Konsumausgaben habe sich der Zuwachs auf 0,6 von 4,2 Prozent abgeschwächt.
Parallel dazu wird der sogenannte PCE-Preisdeflator veröffentlicht, der für die US-Geldpolitik wichtig ist. Im Vergleich zum Vorjahr rechnet Commerzbank-Volkswirt Christoph Balz beim PCE-Index mit einem Plus von 3,5 Prozent. Das wäre ein in etwa ebenso starker Anstieg wie bei den Verbraucherpreisen, der die Börsen Mitte Mai in Unruhe versetzt hatte.
In Deutschland steht nach dem verlängerten Pfingstwochenende der Ifo-Index, der die Stimmung in den deutschen Chef-Etagen widerspiegelt, auf dem Terminplan. Experte Balz prognostiziert einen Anstieg auf 98,0 Punkte von 96,8 Zählern. Vorreiter sei diesmal aber nicht die Industrie, sondern der Dienstleistungssektor. "Denn hier nähren wahrscheinlich die fallenden Infektionsraten die Hoffnungen auf weitgehende Lockerungen der aktuellen Beschränkungen."
Zwei Tage nach dem Ifo- folgt der GfK-Index, der Auskunft über die Kauflaune der deutschen Verbraucher gibt. Hier sagen Experten einen Anstieg auf minus 5,5 Punkten von minus 8,8 Zählern voraus. Am Freitag werden vergleichbare Stimmungsbarometer für die Euro-Zone veröffentlicht.
Firmenbilanzen stehen in der neuen Woche nur noch vereinzelt auf dem Programm. Unter anderem öffnet der amerikanische Chip-Hersteller NVidia seine Bücher.