Inflationsanstieg 2021/22: Spürbar, aber von kurzer Dauer …
Die Inflation steigt. Dies überrascht niemanden. Konjunkturerholung, hohe Rohstoffpreise, Lieferengpässe und eine zunehmend dynamische Entwicklung des privaten Konsums werden Güterpreise nach oben treiben. Zwar wird mit einem Rückgang der Inflationsrate im Jahr 2022 gerechnet, die unterliegende Inflationsdynamik könnte allerdings weiter zulegen. Grund ist die bedeutende fiskalische und geldpolitische Stimulierung, die auch im Jahr 2022 anhalten wird. So wird zunehmend von einer möglichen Überhitzung der Konjunktur im kommenden Jahr gesprochen.
Inflationssorgen auf mittlere Sicht sind dennoch nicht angebracht. Hohe Schuldenquoten lassen grundsätzlich zweifeln, ob die Nachfrage in industrialisierten Ländern nachhaltig hohes Wachstum zeigen wird. Zwar führen aktuell Lieferengpässe zu Preisdruck. Eine nachhaltige Stagflation (gleichzeitige Inflation und hohe Arbeitslosigkeit) bleibt ebenfalls unwahrscheinlich. Denn entscheidend hierfür wäre eine Lohn-Inflationsspirale, die vor allem in offenen Volkswirtschaften und in denen mit reformiertem Arbeitsmarkt doch eher unwahrscheinlich ist. Volkswirte verweisen in diesem Zusammenhang auf eine relativ flache Phillips-Kurve. Selbst bei hohem Wirtschaftswachstum ist deshalb in der Euro-Zone kaum mit eskalierenden Lohnsteigerungen zu rechnen. In den USA könnte die Nachfragestimulierung kurzfristig zu einer Überhitzung führen. Doch auch dort sollte es zu keinem nachhaltigen Inflationsanstieg kommen, sondern eher zu einer Ausweitung des Handelsbilanzdefizits.
Eine Belebung des privaten Konsums sollte Preisdruck mit sich bringen, wenn auch eher kurzfristig beziehungsweise vor allem ab der zweiten Jahreshälfte 2021 und 2022. Lieferengpässe und Preisanstiege, mit denen die deutsche Industrie aktuell konfrontiert ist, könnten für die gesamte Wirtschaft Europas oder der USA von Relevanz sein. So könnte die Inflationsrate trotz der bereits ersichtlichen Zunahme weiter nach oben überraschen. Auch im Jahr 2022 könnte der unterliegende Inflationsdruck hoch bleiben, auch wenn Basiseffekte die jährliche Inflationsrate dämpfen. Ebenfalls ist im nächsten Jahr zunehmend mit einer Reaktion auf der Angebotsseite in Form von Kapazitätsausweitungen zu rechnen, um dem Nachfragedruck gerecht zu werden. So wird eine höhere Inflation im Jahr 2022 kaum Notenbanken davon überzeugen, sich spürbar gegen den Wind zu stellen. Dies wird durch die geldpolitische Ausrichtung wichtiger Notenbanken noch verstärkt: Lieber hinterherlaufen und kurzfristig eine leicht höhere Inflation akzeptieren, als die Konjunktur abwürgen und Druck auf Staaten erhöhen, ihr Haushaltsdefizit infolge steigender Zinsen zurückzufahren.
Einschätzung: Die Inflationsraten könnten 2021 und 2022 nach oben überraschen. Mit fiskalischer Stimulierung, die bis ins Jahr 2022/23 reicht, könnte die Wirtschaft kurzfristig durchaus überhitzen, vor allem wenn es der Angebotsseite schwerfällt, Kapazitätserweiterungen vorzunehmen.
… eine Geldentwertung ist dennoch in vollem Gange …
Inzwischen sind bedeutende Notenbanken bei weitem wichtigster Gläubiger ihrer Staaten geworden. Da von keiner schnellen Reduzierung der Notenbankbilanz auszugehen ist, wird dieser Zustand auch über die kommenden Jahre anhalten. Dies bedeutet, dass die offiziellen Schuldenquoten immer weniger Relevanz haben für die Beurteilung der Schuldentragfähigkeit von Staaten. Auch die effektive Zinslast wird niedriger, fließen doch die Gewinne der Notenbanken zurück an die Staatskassen. Die Rolle der Notenbanken als Kreditgeber der „letzten Instanz“ gilt zunehmend nicht nur für Banken, sondern auch für Staaten. Dank der Notenbanken können die Regierungen der USA, der Euro-Zone, Japans oder Großbritanniens weiterhin Schulden anhäufen und so die Realwirtschaft stützen. Dadurch ist der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik und damit der Einflussbereich der Notenbanken größtenteils auf die Fiskalpolitik reduziert. Eine eskalierende Staatsschuldenkrise wurde durch die Notenbankpolitik effektiv umgangen. Deswegen sollten vor allem die Folgen einer eskalierenden Geldmengenausweitung im Fokus stehen.
Die Gegenposition zu den Staatsanleiheankäufen der Notenbanken ist eine Ausweitung der Geldmenge, vor allem wenn es der nicht-finanzielle Privatsektor ist, der die Anleihen verkauft. Verkaufen Banken die Anleihen, würden sich erst einmal nur die überschüssigen Reserven der Banken bei der Notenbank erhöhen. Kauft die Notenbank allerdings Anleihen vom Nicht-Bankensektor, erhöht sie direkt die Geldmenge. Eine solche Entwicklung ist in der Euro-Zone vor allem seit der Corona-Pandemie zu erkennen. So mag zwar die Inflationsrate in den kommenden Jahren nicht bedeutend zulegen. Eine Geldentwertung findet dagegen auf breiter Front statt. Schließlich gibt es immer mehr Euros relativ zur Wirtschaftsleistung.
Die Entwicklung einer beschleunigten Geldmengenausweitung ist allerdings schon länger und vor allem seit 2000 zu erkennen. Mit dem Ankaufprogramm der EZB infolge der Corona-Pandemie (PEPP-Programm) hat die Geldmengenausweitung jedoch eine neue Dimension erreicht. Der Grund, warum das nicht zu höherer Inflation führt, ist, dass das Geld nicht direkt in den realwirtschaftlichen Kreislauf in Form einer zunehmenden Güternachfrage geflossen ist. Es wird eher gehortet, treibt die Nachfrage nach Vermögenswerten und führt somit zu einer Inflationierung von Vermögenswerten. Auch mittelfristig sollte der Geldmengenanstieg kaum zu einer Güterpreisinflation führen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn Sparer und institutionelle Investoren eine Umschichtung von Geld zu Konsumgütern vornehmen würden, was eher unwahrscheinlich ist. Zu erwarten ist jedoch eine weitere Inflationierung von Vermögenswerten und somit auch die Gefahr von Blasenbildungen auf einzelnen Märkten. Investoren werden weiterhin nach alternativen Vermögensanlagen suchen, um den Werterhalt ihres Vermögens zu sichern.
Notenbanken wie die EZB definieren Preisstabilität als eine festgelegte Inflationsrate von Güterpreisen. Sie haben einen Verbraucherpreisindex im Fokus, den die Geldmengenausweitung und damit die Geldpolitik der Notenbanken nur begrenzt beeinflussen. Dies wird sich durch die Überprüfung der EZB-Strategie auch nicht grundsätzlich ändern. Die Notenbank finanziert durch die Geldmengenausweitung die Staatschulden, orientiert sich allerdings an einer Zielgröße, die dadurch kurz- bis mittelfristig nicht maßgeblich beeinflusst wird. Somit ergibt sich kein Handlungsbedarf, einer eskalierenden Geldmengenausweitung entgegenzusteuern. Im Gegenteil: Notenbanken und insbesondere die EZB nutzen das Argument einer niedrigeren Güterpreisinflation, um Aufkaufprogramme für Staatsanleihen voranzutreiben. Die geringe Abhängigkeit von Geldmenge und allgemeiner Güterpreisinflation gibt der Notenbank demnach viel Spielraum, ihr Monopol der Geldschöpfung für Ziele wie Staatsfinanzierung einzusetzen.
Der Ansatz der direkten Geldmengenausweitung mag in einer Krise angebracht sein, um effektive Nachfrage zu schaffen. Ansonsten sollten sich Notenbanken nicht an Zielgrößen orientieren, auf die sie nur indirekten Einfluss haben. Dies kann sonst zu geldpolitischen Übertreibungen führen und damit zu einer destabilisierenden Geldpolitik. Aus dieser Sicht wäre aktuell eine Überhitzung der Wirtschaft sogar wünschenswert – vorausgesetzt, die Notenbank reagiert auf diese Entwicklung.
Einschätzung: Trotz einer relativ niedrigen Inflationsrate findet eine bedeutende Geldmengenausweitung statt. Dies zeigt sich vor allem an der Entwicklung der Vermögenspreise. Auch wenn die Güterpreisinflation es nicht andeutet, die Geldmengenausweitung kommt einer zunehmenden Geldentwertung gleich, da eine Rückführung der Bilanz bei den hohen Schuldenquoten selbst langfristig nicht zu erwarten ist. Dies würde nur dann passieren, wenn ein nachhaltiger und über mehrere Jahre anhaltender Anstieg der Güterpreisinflation zu erkennen wäre, was ebenfalls eine Geldentwertung signalisieren würde. Ob die Inflationsrate mittelfristig steigt oder nicht, ist somit sekundär: Das Papiergeld zeigt eine bedeutende Entwertung, wie sie eigentlich schon seit dem Ende von Bretten Woods auch im Goldpreis angezeigt wird. Doch ist der Goldpreis eine ausreichende Absicherung?
… doch noch bleibt für den Goldpreis die Verbrauchpreisindex entscheidend
In den letzten Jahrzehnten ließ sich die Entwicklung des Goldpreises empirisch durch reale US-Renditen und dem US-Dollar-Devisenkurs erklären. Steigt die Inflation beziehungsweise sinkt die preisbereinigte reale Rendite, erhält der Goldpreis Auftrieb. Da der Goldpreis in US-Dollar notiert, führt ein schwächerer US-Dollar ebenfalls zu einem Anstieg des Goldpreises. Eine Neuschätzung bis Ende April 2021 bestätigt die empirischen Beziehungen: Noch immer sind US-Verbraucherpreisindex (VPI) und risikofreie US-Renditen entscheidende Bestimmungsfaktoren für den US-Dollar-Goldpreis. Anders ausgedrückt: Der Goldpreis sichert eine Geldentwertung nur soweit ab, wie sie durch die VPI angezeigt wird. Dies liegt auch daran, weil langfristige Inflationserwartungen maßgeblich durch die aktuelle VPI bestimmt sind beziehungsweise getrieben werden. Dagegen ist die Sorge vor einer Geldentwertung, die sich nicht nur in Verbraucherpreisen dokumentiert, noch nicht im US-Dollar-Goldpreis und damit in den Einschätzungen der Investoren angekommen. Dies gilt zumindest für den US-Dollar-Goldpreis, der aktuell sonst deutlich höher notieren müsste.
Auf Grundlage der Prognosen für 2021 scheint der Goldpreis ein stabiles Plateau gefunden zu haben. Ein erwarteter Rückgang der allgemeinen Konsumentenpreis-Inflationsrate 2022/23 könnte allerdings für Abwärtsdruck sorgen, ebenso wie ein weiterer perspektivischer Anstieg der US-Renditen in Folge einer Fed-Zinsanhebung 2023/24. Da dies allerdings nur bei einer nachhaltig ansteigenden Inflation zu erwarten wäre, sollte dieses Risiko nicht überbetont werden. Trotz des Geldmengenwachstums in den USA und der Euro-Zone ist deshalb auf 12-Monatssicht eher von einer Seitwärtsbewegung des Goldpreises auszugehen.
Einschätzung: Steigende US-Renditen seit Mitte letzten Jahres haben den Goldpreis unter Druck gesetzt. Zunehmende Inflationsraten könnten dies wiederum dämpfen, vor allem wenn die Fed eher zögerlich reagieren sollte. So könnte der „Fair Value“ des Goldpreises kurzfristig auf bis zu 1.800 US-Dollar ansteigen, bis zum Jahresende jedoch laut IKB-Modell auf 1.730 US-Dollar zurückfallen. Für eine deutliche Erhöhung des Goldpreises wäre die Befürchtung einer allgemeinen und deutlich höheren Geldentwertung notwendig, als sie der VPI andeutet. Aktuell ist eine solche Entwicklung trotz der bedeutenden Geldmengenausweitung wichtiger Notenbanken noch nicht zu erkennen.