Politik

Der Sieg der Taliban - akute Bedrohung für Russland und den Nordkaukasus?

Der Sieg der Taliban in Afghanistan birgt das Potenzial in sich, den Nordkaukasus zu destabilisieren. Russland und der Tschetschenen-Präsident Kadirow sind auf der Hut. Allerdings gibt es auch Stimmen, die keine Radikalisierung der Region erwarten.
23.09.2021 13:00
Lesezeit: 2 min
Der Sieg der Taliban - akute Bedrohung für Russland und den Nordkaukasus?
25.04.2010, Russland, Grozny: Ramsan Kadyrow (4.v.r.), Oberhaupt der Teilrepublik Tschetschenien, und andere Führungspersönlichkeiten der tschetschenischen Republik, nehmen in Nationaltrachten am Tag der tschetschenischen Sprache teil. Kadyrow hatte den Feiertag 2007 eingeführt. (Foto: dpa) Foto: Kazbek Vakhayev

Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadirow beäugt den Abzug der US-Amerikaner aus Afghanistan mit Argwohn. „Ich denke, Amerika hat sich einen weiteren Betrug gegen Muslime ausgedacht. Sie sagten, sie würden da nie rauskommen, und jetzt haben sie alle zurückgelassen und sind weggelaufen“, sagte Kadirow am 16. August 2021. Kadirow zufolge seien die Taliban „ein amerikanisches Projekt“, das offenbar eine Bedrohung für Russland darstelle. Dasselbe gelte für Al-Qaida und Osama bin Laden. „Deshalb müssen wir und unsere verbündeten Nationen unsere Grenzen stärken und auf das Schlimmste vorbereitet sein. Für uns ist das kein Problem; Wir werden jeden stoppen, der unseren Staat, unsere Souveränität und unser Volk bedroht“, versicherte er seinem Publikum.

Kadirow richtete auch einige Worte an die zentralasiatischen Turkstaaten. „Unsere Brüder Usbeken, Tadschiken, Kirgisen und Turkmenen sollten wachsam sein. Die Gebiete, die an Afghanistan grenzen, sind jetzt in Gefahr. Genau das wollten die Amerikaner“, behauptete er.

Nicht jeder in der tschetschenischen Beamtenschaft teilt diese Sichtweise. Kadirows eigener Religionsberater Adam Schakhidow lobte die Erfolge der Taliban in einem Instagram-Kommentar. Schakhidow löschte später seinen Beitrag, dessen Screenshot aber in den sozialen Medien die Runde machte.

Im Gegensatz dazu nahmen säkulare tschetschenische Nationalisten einen vorsichtigeren, ja sogar misstrauischen Ton an und äußerten ihre Besorgnis über „wachsende Spannungen“ in Afghanistan und „mögliche Verletzungen grundlegender Menschenrechte durch paramilitärische radikale Gruppen“. „Wir erwarten, dass die neue Führung Afghanistans sich an die Normen hält, die unser Prophet (Friede sei mit ihm) demonstrierte, als er das fromme Mekka eroberte, denn dies ist ein Beispiel für Gerechtigkeit und die Höhe der Barmherzigkeit für Muslime“, heißt es in der unterzeichneten Erklärung des im Exil lebenden Chefs der tschetschenischen Separatistenregierung, Achmed Zakajew. Die Erklärung fordert auch einen „Kompromiss“, um „einen dauerhaften Frieden in Ihrem Land“ zu erreichen.

Paul Goble schreibt in einem Beitrag der „Jamestown Foundation“: „Der Sieg der Taliban in Afghanistan hat in Zentralasien und Russland die Sorge geweckt, dass diese Entwicklung zu Flüchtlingsströmen in beide Regionen führen wird und dass unter diesen Migranten Mitglieder radikaler islamistischer Gruppen sein werden. Diese könnten die extremistischen Kräfte in den fünf Ländern Zentralasiens und den Republiken des russischen Nordkaukasus mobilisieren, um die dortigen Regierungen zu bedrohen (…) Viele russische Beamte befürchten, dass der Sieg der Taliban islamistische Extremistengruppen in diesen Regionen dazu inspirieren wird, Angriffe auf Moskau zu organisieren.“

Es sei noch zu früh, um über den endgültigen Sieg der Taliban zu sprechen, und die muslimische Gesellschaft im Nordkaukasus nehme eine generell vorsichtige, abwartende Position ein, sagte Akhmet Jarlikapow , leitender Forscher am Zentrum für Kaukasusstudien der MGIMO (Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen). „Es gibt keine einheitliche Position. Doch nun herrscht ein vorsichtiger Blick auf die Lage in Afghanistan. Die Leute analysieren, was passiert. Gleichzeitig versteht jeder, dass es ernste Konsequenzen geben wird“, zitiert das Portal „Caucasian Knot“ den Forscher.

Der Kaukasus-Experte Kirill Semjonow meint: „Manche Leute sind froh und unterstützen sie, während andere die Taliban als Bedrohung für die Sicherheit Russlands betrachten. Die Meinungen waren geteilt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich nach dem Sieg der Taliban etwas ändern wird. Dies wird zu keinen globalen Veränderungen in der Art der Aktivitäten verschiedener Gruppen von Muslimen im Nordkaukasus führen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Radikalisierung stattfindet.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schmuck aus Holz und Stein: Holzkern – wie Naturmaterialien zum einzigartigen Erfolgsmodell werden
07.11.2025

Das Startup Holzkern aus Österreich vereint Design, Naturmaterialien und cleveres Marketing zu einem einzigartigen Erfolgsmodell. Gründer...

DWN
Finanzen
Finanzen Wall Street: Wie die Märkte alle Warnsignale ignorieren
07.11.2025

Die Wall Street kennt derzeit nur eine Richtung – nach oben. Während geopolitische Krisen, Schuldenstreit und Konjunkturrisiken...

DWN
Politik
Politik Donald Trump: Warum die Wahlsiege der Demokraten kein Wendepunkt sind
07.11.2025

Vier Wahlsiege der Demokraten in Folge, und doch kein politisches Erdbeben: Donald Trump bleibt erstaunlich unerschüttert. Während die...

DWN
Politik
Politik Pistorius will mehr Mut und neue Führungskultur in der Bundeswehr
07.11.2025

Angesichts russischer Bedrohungen und interner Bürokratie fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius tiefgreifende Reformen in der...

DWN
Panorama
Panorama Mehr Mobbing in Schule, Beruf und Netz – Studie warnt vor zunehmender Schikane
07.11.2025

Mobbing ist längst kein Problem von gestern: Eine aktuelle Studie zeigt, dass immer mehr Menschen sowohl am Arbeitsplatz als auch online...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Rheinmetall startet Satellitenproduktion – Rüstung geht jetzt ins All
07.11.2025

Rheinmetall, bisher vor allem bekannt für Panzer, Haubitzen und Drohnen, wagt den Schritt ins Weltall. Der deutsche Rüstungskonzern hat...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Sichtbar mit KI: Wie KMU auf ChatGPT und Gemini gefunden werden
07.11.2025

Nach der Einführung von Googles KI-Übersicht ist der Website-Traffic im Schnitt um sieben Prozent gesunken. Klassisches SEO verliert an...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Teure Naschzeit: Preise für Schoko-Weihnachtsmänner steigen deutlich
07.11.2025

Süße Klassiker wie Schoko-Weihnachtsmänner, Dominosteine und Lebkuchen gehören für viele zur Adventszeit dazu – doch in diesem Jahr...