US-Präsident Joe Biden hat diese Woche ein Paket an staatlichen Investitionsfinanzierungen in der Höhe von 1.200 Milliarden Dollar frei gegeben. Das sind zum aktuellen Umrechnungskurs 1.060 Milliarden Euro. Und das für ein Land mit 330 Millionen Einwohner. Wie klein nimmt sich da das Gegenstück der EU mit 750 Milliarden Euro für 447 Millionen Bürger aus.
Damit es einfacher ist: Die USA investieren pro Kopf in den Aufschwung 3.212 Euro und die EU nur 1.677 Euro. Damit nicht genug - in den USA ist ein weiteres Paket in der Höhe von knapp 2.000 Milliarden geplant, das vorrangig in den Ausbau der sozialen Leistungen und in den Klimaschutz fließen soll. In Europa ist der Klimaschutz bereits in den 750 Milliarden mitberücksichtigt.
Die USA stellen sich neu auf. Europa kann nur neidvoll zuschauen
Amerika hat es also eindeutig besser. Wem die 1.200 Milliarden Dollar zugutekommen werden, steht schon fest.
- 550 Milliarden in den Bau und die Sanierung von Straßen und Brücken. So mancher Europäer wird meinen, dass ein derartiges Programm in Europa nicht notwendig sei. Stellvertretend für alle Mängel sei an den Einsturz der Brücke in Genua erinnert. Oder an den Umstand, dass Tag für Tag tausende LKW durch die Alpen donnern statt durch einen Tunnel zu fahren.
- 105 Milliarden investiert die US-Regierung in den öffentlichen Verkehr. Angesichts der vielen Bahnprojekte in Europa muss diesseits des Atlantiks niemand Neid empfinden. Bei den nächsten Punkten schon:
- 65 Milliarden gehen an die Elektro-Wirtschaft, während sich in Europa die Angst vor einem Black-Out breitmacht.
- Im Heimatland der Digitalisierung sind 65 Milliarden für den Breitbandausbau reserviert.
- Weitere 55 Milliarden für die Wasserversorgung.
Und noch einmal: Amerika hat es besser. Diese Mittel kommen aus dem US-Bundesbudget und fließen in die Wirtschaft. In der EU wälzt sich das 750-Milliarden-Budget derzeit langsam durch die Regierungen, Parlamente und Bürokratien der 27 Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission baut ein kompliziertes Kontrollsystem auf, um festzustellen, ob diese Gelder ausschließlich für Projekte verwendet werden, die dem Klimaschutz oder der Digitalisierung und unter Umständen dem Gesundheitswesen dienen. Sogar ein eigene Art Staatsanwalt wird geschaffen, um Missbräuche zu ahnden. Man braucht also nicht sehr viel Phantasie um zu erkennen, dass in den USA die Projekte schon realisiert werden, während man in Europa noch mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt sein wird.
In den USA erwirtschaftet der Einzelne mehr
Die jährliche Wirtschaftsleistung der USA beträgt derzeit knapp 20.000 Milliarden Euro im Jahr, nachdem im Jahr 2020 im Gefolge von Corona ein deutlicher Einbruch gegenüber dem Ergebnis 2019 von 21.400 Milliarden eingetreten ist. Heuer ist ein deutliches Wachstum zu verzeichnen und für 2022 rechnet man bereits wieder mit 22.000 Milliarden. Auf der Basis des aktuellen Dollar-Euro-Kurses kann man von 18.500 Milliarden Euro ausgehen, somit von einer Wirtschaftsleistung von 56.000 Euro pro Kopf der 330 Millionen US-Amerikaner.
Die Vergleichswerte in Europa sind deutlich bescheidener. Die Wirtschaftsleistung aller 27-EU-Mitgliedstaaten oder aller 447 Millionen Bewohner der Gemeinschaft beträgt derzeit im Jahr etwa 13.500 Milliarden oder pro Kopf etwa 30.200 Euro.
Vereinfacht ausgedrückt ist das gesamte BIP der USA um 5.000 Milliarden Euro oder 37 Prozent größer als die vergleichbare Wirtschaftsleistung der EU. Am Pro-Kopf-Ergebnis gemessen liegen die USA um 85 Prozent höher.
In Europa werden die US-Daten verschiedentlich als überhöht bezweifelt. Betrachtet man allerdings den Druck, den in Europa Regierungen auf die Statistiker und Wirtschaftsforscher ausüben, so kann man auch die europäischen Daten diskutieren. Es mögen also alle Aussagen geschönt sein, die Tatsache, dass die US-Wirtschaftsleistung insgesamt und pro Kopf erheblich größer ist als die europäische bleibt bestehen, auch wenn einige Prozentwerte nicht stimmen mögen.
Ausgehend von einem höheren BIP und einer positiven Prognose für 2022 stürzen sich die USA in Milliarden handfester Investitionen, die in den kommenden Jahren die Wirtschaftsleistung des Landes steigern werden. Das zweite Programm, das mit 1.950 Milliarden Dollar den Sozialleistungen vor allem im Bereich des Gesundheitswesens gewidmet ist und den Klimaschutz verbessern soll, ist noch nicht beschlossen, dürfte aber im Wesentlichen umgesetzt werden. Beim bereits gestarteten 1.200-Milliarden-Programm gab es auch heftige Diskussionen in beiden Parteien, doch kam letztlich eine Mehrheit aus vielen Demokraten und einigen Republikanern zustande.
Europa hat markant weniger Schulden als die USA
Europa wäre gut beraten, ebenfalls offensiv in den Aufschwung zu investieren. Dies würde schon der Rückstand gegenüber den USA nahelegen. Zudem bremst sich Europa selbst durch den stark ausgebauten Sozialstaat mit teuren Rentensystemen, die einen beachtlichen Teil der verfügbaren Ressourcen binden und für die Finanzierung anderer Aufgaben fehlen. Um die Zukunft zu gewinnen, müssten also Schulden gemacht werden, doch dieser Ausweg stößt an die bereits hohe Verschuldung des alten Kontinents. Hohe Verschuldung der EU-Staaten? Da ist ein Blick auf die andere Seite des Atlantiks angebracht.
- Die USA haben aktuell 28.000 Milliarden Dollar Schulden des Bundesstaates bei einer Wirtschaftsleistung von derzeit 21.000 Milliarden. Das bedeutet einen Prozentsatz von 133 Prozent des BIP. Somit sind die USA weit höher verschuldet als Europa. Die EU-Mitgliedstaaten haben aktuell 12.600 Milliarden Schulden, also extrem weniger als die USA. Betrag entspricht 93,3 Prozent des BIP:
- Würde die EU im Gleichklang mit den USA 1.000 Milliarden Euro zusätzlich in Bewegung setzen, wäre die Verschuldungsrate Europas immer noch kleiner als jene der USA. Europa, Du hast es besser! Warum gibt es kein breit angelegtes Wirtschaftsprogramm um dem Aufschwung Tempo zu verleihen. Derzeit ist nicht sicher, ob die Gemeinschaft den Rückgang 2020 um 5 Prozent gegenüber 2019 schon im kommenden Jahr 2022 aufholen kann. Ein „Booster“ wäre also angebracht.
Die USA könnten die hohen Schulden leicht über Steuererhöhungen korrigieren
Allerdings sind Staatsschulden in den USA nicht mit Staatsschulden in der EU zu vergleichen. Diese Feststellung mag verwundern, schließlich sind Schulden immer Schulden. Nur beträgt der Anteil der Steuern am BIP in den USA bescheidene, man könnte auch sagen lächerliche 9,6 Prozent, also rund 2.100 Milliarden. Gerät der US-Staat tatsächlich in Schwierigkeiten und hätte Probleme bei der Finanzierung seiner Staatsausgaben, so kann er leicht durch eine Steuererhöhung das Problem lösen. Nach dem starken Einbruch des Jahres 2020 mit einem Defizit von 3.300 Milliarden Euro zeichnen sich für die kommenden Jahre Abgänge in der Größenordnung von 1.500 Milliarden ab. Mit einer Steuerquote von 20 Prozent würde man sogar Überschüsse erzielen und könnte den Schuldenberg in einigen Jahren abbauen.
Auch bei der Berechnung der US-Steuerquote wird über die tatsächliche Höhe gestritten und der Satz von 9,6 Prozent verschiedentlich als unrealistisch bezeichnet. Aber: Einigkeit besteht über den Umstand, dass die USA einen beträchtlichen Spielraum für Steuererhöhungen haben.
Tatsächlich peilt Biden auch eine Steuererhöhung an, die er rasch durchsetzen muss. Im Moment haben die Demokraten im Kongress die Mehrheit, im Senat herrscht eine Pattstellung, doch kann die Vorsitzende des Senats, Vizepräsidentin Kamala Harris mit ihrer Stimme eine Mehrheit herstellen. Die Republikaner wollen zwar Biden behindern, einige sehen aber ein, dass die hohe Verschuldung abgebaut werden muss, zumal sie eine Erbschaft von zwei republikanischen Präsidenten ist.
- 2001 übergab der Demokrat Bill Clinton einen ausgeglichenen Staatshaushalt mit einer Schuldenquote von 53 Prozent des BIP.
- Nach ihm setzte der Republikaner George W. Bush kräftige Steuersenkungen durch, die das Defizit und die Schulden rasch ansteigen ließen. Die Kriege in Afghanistan und im Irak sorgten für einen zusätzlichen Finanzbedarf.
- 2009 übernahm der Demokrat Barack Obama und musste mit hohen Defiziten gegen die Folgen der Finanzkrise 2008 und den stärksten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg ankämpfen und zusätzliche Schulden anhäufen.
- 2017, gegen Ende seiner zweiten Periode, hatte sich die Lage stabilisiert. Obama wollte mit moderaten Steuererhöhungen einen Schuldenabbau einleiten.
- Da übernahm Donald Trump und setzte eine Steuersenkung um 1.500 Milliarden jährlich durch, sodass die USA drei Jahre später mit noch höheren Schulden in die Corona-Krise gingen. Es blieb Trump nichts Anderes übrig als 2020 mit 2.000 Milliarden zusätzlicher Staatsschulden den Privathaushalten und den Unternehmen zu helfen.
Wie nun das aktuelle, innenpolitische Geplänkel rund um eine Anhebung der Steuern ausgehen mag, die USA können ein Finanzierungsproblem leicht über eine Steuererhöhung lösen, die von den Privaten und den Firmen verkraftbar wäre.
Die hohen Steuern in Europa erweisen sich nun als fatale Wirtschaftsbremse
Genau das ist in der EU nicht der Fall. Die Steuerquote liegt bei 41 Prozent und die meisten Länder kommen auch in Normaljahren ohne Corona- oder Finanzkrise nicht mit den Einnahmen aus und erhöhen laufend die Schulden. Selbst die künstlich von der EZB erzwungenen Niedrig- und Nullzinsen retten die Staaten nicht. Würde man also dem US-Beispiel folgen und 1.000 Milliarden schuldenfinanzierte Mittel in die Wirtschaft pumpen, könnte man nicht argumentieren, dass bei Bedarf eine Refinanzierung über höhere Steuern rasch darzustellen wäre. In Europa darf sinnvoller Weise über Steuerhöhungen nicht einmal geredet werden, es müsste vielmehr eine Steuersenkung erfolgen, um den Spielraum für Konsumausgaben und Investitionen zu vergrößern.
Zur Orientierung: Hätten die USA die gleiche Steuerquote wie die EU, kämen jährlich zusätzliche 6.000 Milliarden Dollar in die Staatskasse nach Washington, also vier Mal der Betrag, der für die kommenden Jahre als Jahresdefizit von 1.500 Milliarden Dollar erwartet wird.
Also doch: Amerika, Du hast es besser!
Die Konsumenten in den USA sehen das derzeit anders. Das große Thema ist der kräftige Preisanstieg, im Oktober waren die Preise um 6,2 Prozent höher als im Oktober des Vorjahres. In der EU steigen die Preise ebenfalls stark, aber die Teuerung lag im Oktober „nur“ bei 4,1 Prozent. Letztlich stöhnen die Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks gleichermaßen. Und Amerika hat es doch nicht besser.