Finanzen

Singapur und China vertiefen Kooperation auf den Finanzmärkten

China und Singapur bauen ihre finanzielle und wirtschaftliche Vernetzung im Rahmen einer langfristig angelegten Annäherungspolitik beträchtlich aus.
08.01.2022 11:00
Lesezeit: 5 min
Singapur und China vertiefen Kooperation auf den Finanzmärkten
Eine Frau fotografiert vor der Skyline des Singapurer Bankenviertels einen Teich. (Foto: dpa) Foto: Samuel He

China und Singapur weiten ihre Zusammenarbeit auf den Finanzmärkten beträchtlich aus. Jüngstes Beispiel ist die Gründung gemeinsam betriebener Strukturen für den Handel und die Abwicklung von börsengehandelten Fonds (Exchange Traded Funds - ETF) sowie die Lancierung gemeinsamer Initiativen im Anleihe- und Rohstoffmarkt.

Die geplante ETF-Verknüpfung zwischen Singapur und dem südchinesischen Finanzzentrum Schenzhen werde „die Zusammenarbeit zwischen China und Singapur auf den Kapitalmärkten weiter vertiefen und neue Erfahrungen zur Verbesserung der länderübergreifenden Konnektivität bei Finanzprodukten generieren“, schrieb die Börse Schenzhen in einer Mitteilung. Die Singapurer Börse lotet darüber hinaus zusammen mit dem China Foreign Exchange Trade System Möglichkeiten aus, wie die Anleihemärkte beider Länder für Investoren der jeweils anderen Seite zugänglich gemacht werden können. Die Schanghaier Energiebörse (Shanghai International Energy Exchange) erteilte zudem erstmals einem Finanzdienstleister aus Singapur - Asia Pacific Futures - eine Lizenz, um als Broker für Rohstoff- und Energiederivate tätig werden zu können.

Den institutionellen Rahmen für die Maßnahmen bildete die 17. Auflage des Joint Council for Bilateral Cooperation, an dem hochrangige Repräsentanten aus China und Singapur Ende Dezember per Videoschalte zusammenkamen. Die jährlich stattfindenden Treffen sind die wichtigste Plattform für den Ausbau der Zusammenarbeit beider Seiten. Ergebnisse des jüngsten Treffens waren insgesamt 14 Absichtserklärungen, denen Initiativen in den Bereichen der Wirtschaft, im Handelsaustausch, auf den Finanzmärkten, im Gesundheitssystem, beim Umweltschutz, im Rechtssystem, bei technologischen Innovationen, beim chinesischen Infrastrukturprojekt der „Neuen Seidenstraße“ und auf dem Feld des kulturellen Austausches folgen sollen.

Singapur - strategisches Sprungbrett in Südostasien

Die zunehmende Vernetzung im Finanz- und Wirtschaftsbereich ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Annäherung. Bereits in den 1990er Jahren verwirklichten Peking und Singapur erste gemeinsame Großprojekte wie den Suzhou Industrial Park, nachdem sich die Volksrepublik im Zuge der Reformära unter Deng Xiaoping ab Ende der 1970er Jahre wirtschaftlich und auch kulturell verstärkt dem Ausland geöffnet hatte.

Im Dezember 2020 - im Rahmen des 16. Joint Council for Bilateral Cooperation - formulierten beide Seiten mehrere Kooperationsziele, zu denen auch die nun verwirklichte Zusammenarbeit bei ETFs gehörte. Einig war man sich zudem damals, dass die Verfügbarkeit der chinesischen Landeswährung Renminbi am Bankenplatz Singapur erhöht, die Zusammenarbeit beider Seiten auf dem Feld digitaler Währungen ausgebaut und Kooperationn im Bereich der „umwelt- und klimafreundlichen“ Investitionen verstärkt werden sollten.

Singapurs Zentralbank, die Monetary Authority of Singapore, verlieh der China Construction Bank damals eine vollständige Banklizenz. Über diese verfügen derzeit nur zehn ausländische Geldhäuser im Stadtstaat, davon drei chinesische (neben der China Construction Bank sind dies die Bank of China und die Industrial Commercial Bank of China). Zudem legitimierte die Notenbank die Aktivitäten Singapurischer Investoren an der Rohstoffbörse der ostchinesischen Stadt Zhengzhou - alles Maßnahmen, die auf eine weitergehende finanzpolitische Integration beider Seiten abzielen.

Außer den drei vollständig lizensierten Banken hatten in den vergangenen Jahren zahlreiche weitere Geldhäuser aus China Filialen in Singapur gegründet, darunter die Shanghai Pudong Development Bank und die China Merchants Bank sowie mehrere große Versicherungskonzerne. Seit 2018 verfügt auch die chinesisch dominierte Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) über eine Repräsentanz in Singapur.

In einer Stellungnahme zum 17. Joint Council for Bilateral Cooperation unterstrich Singapurs stellvertretender Premierminister die wirtschaftliche Bedeutung der Annäherung seines Landes an China: „Während sich China einem neuen Entwicklungsparadigma zuwendet - inklusive der Strategie der zwei Kreisläufe - kann Singapur zu Chinas Wachstum beitragen. Angesichts der Rekonfiguration weltweiter Handelsströme und Lieferketten kann Singapur Chinas Verbindungen zu Staaten in der Region stärken. Ein gutes Beispiel stellt die Chongqing Connectivity Initiative dar, welche Westchina mit Südostasien verbindet. Unsere Partnerschaft in diesem Handelskorridor zielt darauf ab, den physischen Transport von Gütern um eine Digitalisierung mit reibungslosen Datenströmen und digitalen Nachweisen zu erweitern. Dies verbessert nicht nur die Lieferketten, sondern kann die Zollabwicklung, die Handelsfinanzierung, die Versicherung und andere relevante Aktivitäten beschleunigen.“

Chinas Motive für eine engere Zusammenarbeit mit Singapur leiten sich ebenfalls vornehmlich aus wirtschaftlichen Überlegungen ab: Im geografischen Zentrum Südostasiens gelegen und ausgestattet mit einer exzellenten Infrastruktur und einem international anerkannten Rechtssystem stellt Singapur ein ideales Sprungbrett für chinesische Unternehmen und Banken dar, um in der Region zu expandieren. Südostasien gilt mit seinen über 600 Millionen Einwohnern als bedeutendste Wachstumssphäre der Weltwirtschaft, deren Vorteile in wachsenden Märkten mit jungen Bevölkerungen und attraktiven Kosten-Nutzen-Kalkulationen liegt. Als voll entwickelter Finanzplatz von globaler Bedeutung kann Singapur überdies dazu beitragen, die Akzeptanz des chinesischen Renminbi in Südostasien zu fördern.

Ergänzt werden die wirtschaftlichen Standortvorteile Singapurs von einer kulturellen Nähe zu China. Rund 70 Prozent der Einwohner des Stadtstaates sind Nachkommen von Einwanderern aus Südchina, deren Sprache, Rituale und Mentalität den kleinen Vielvölkerstaat entscheidend prägen und einen kulturellen Brückenbau nach China erleichtern - bei den restlichen rund 30 Prozent der Bewohner handelt es sich vornehmlich um malayisch- und indischstämmige Singapurer.

Rund 7.500 ganz oder teilweise chinesische Unternehmen aus allen Branchen sollen heute in Singapur aktiv sein. Die verstärkte Präsenz von Akteuren aus dem Reich der Mitte ist auch Folge zweier wirtschaftlicher Großprojekte von regionaler und internationaler Reichweite, die Singapur direkt berühren: dem Infrastrukturgroßprojekt der „Neuen Seidenstraße“ sowie der „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP), der größten Freihandelszone der Welt, die sich entlang des westlichen Pazifiks von China und Japan im Norden über ganz Südostasien herunter nach Australien und Neuseeland erstreckt.

Die Bedeutung von RCEP für die Entwicklung und wirtschaftliche Integration der Region kann kaum überschätzt werden: RCEP umfasst etwa 30 Prozent des Welthandels und die 2,2 Milliarden Einwohner der 15 Teilnehmerländer werden Schätzungen zufolge im Jahr 2030 rund die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Etwa 90 Prozent aller derzeit noch zwischen den Teilnehmern bestehenden Zölle werden abgebaut. Sowohl aus der Perspektive der Planer der „Neuen Seidenstraße“ als auch der an der RCEP-Freihandelszone beteiligten Staaten und Unternehmen verfügt Singapur über geografische (Lage an der strategisch wichtigen Meerenge von Malakka) und politische Vorteile, die es als Zentrum zur Ansiedelung Banken und Unternehmen bevorzugt qualifizieren.

Kontrollierte Öffnung

Die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Schenzhen und Singapur im Bereich börsengehandelter Fonds und die angestrebten Kooperationen bei Anleihen und Derivaten untermauert das Ziel Pekings, den heimischen Finanzmarkt schrittweise für ausländische Investoren zu öffnen und neue Plattformen für internationale Kooperationsmechanismen zu etablieren.

Der ETF-Link sei auch dafür konzipiert, „Chinas Bemühungen um Internationalisierung zu unterstützen“, wird der Vorsitende der Singapurer Börse, Loh Boon Chye, von der South China Morning Post zitiert. „Die starke Nachfrage nach ETFs in Asien unterstreicht die wachsende Bedeutung dieser Region als weltweit bedeutsames Handelszentrum und wir freuen uns auf die vielfältigen Chancen, die uns diese Partnerschaft ermöglichen könnte.“

Umgerechnet rund 9 Milliarden US-Dollar verwalten börsengehandelte Fonds am Marktplatz Singapur derzeit für ihre Kunden - ein Anstieg um 50 Prozent vergleichen mit dem Vorjahr. In Schenzhen beläuft sich das verwaltete Gesamtvermögen der dort gelisteten 212 ETFs derzeit auf umgerechnet knapp 40 Milliarden Dollar.

Der Singapur-Schenzhen-Link ergänzt eine Reihe bereits existierender Kooperationsplattformen, die chinesische Börsenplätze mit ausgesuchten Partnerinstitutionen in Übersee unterhalten. Seit 2014 existiert eine gemeinsam verwaltete Plattform für den Handel mit Aktien, auf den Investoren in Hong Kong, Schenzhen und Schanghai zugreifen können („Stock Connect“). Auch Anleihen können im Rahmen einer speziellen Handelspartnerschaft („Bond Connect“) zwischen der chinesischen Sonderverwaltungszone Hong Kong und dem Festland den Besitzer wechseln.

Im Oktober 2021 wurde darüber hinaus ein Programm („Wealth Management Connect“) lanciert , das Hong Kong und die ehemals portugiesische Sonderverwaltungszone Macau mit wichtigen Handelsplätzen im südchinesischen Perlfluss-Delta - insbesondere Schenzhen und Guangzhou - verbindet und das es Anlegern auf beiden Seiten der Grenze fortan ermöglicht, in Anlageprodukte zur Vermögensverwaltung zu investieren - also etwa Geld in Fonds einzuzahlen oder ein Fremdwährungskonto zu eröffnen. Hongkongs traditionelle Funktion als Offshore-Zentrum für den chinesischen (Finanz-)Markt wird dadurch aufgewertet und die in der Stadt residierenden Repräsentanten internationaler Finanzhäuser erhalten Zugang zu Chinas Kapitalmarkt. Im Gegensatz zu den „Stock Connect“ und „Bond Connect"-Programmen ist die Teilnahme auf chinesischer Seite vorerst auf die Region des Perlfluss-Deltas begrenzt.

Seit Juni 2019 können auch in London ansässige Investoren mithilfe eines entsprechenden Stock Connect-Programmes im chinesischen Aktienmarkt investieren.

Die Öffnung des chinesischen Finanzmarktes wird schrittweise und kontrolliert vollzogen und brachte in den vergangenen Jahren mehrere neuartige Handelsmechanismen wie das „Qualified Foreign Institutional Investor-Programm“ (QFII) hervor. Seit November 2020 ist es ausländischen Anlegern im Rahmen des Programms möglich, Termingeschäfte für Kupfer und andere Rohstoffe an der Schanghaier Rohstoffbörse (Shanghai International Energy Exchange) zu tätigen.

Glaubt man Ökonomen, dürften die noch immer in vielen Bereichen des chinesischen Finanz- und Bankensystems bestehenden Kapitalverkehrskontrollen eine vollständige Öffnung der Märkte auf absehbare Zeit behindern - falls diese überhaupt von der Regierung beabsichtigt wird. Die finanzpolitische Liberalisierung hat zusammen mit Freihandelsabkommen wie RCEP und der „Neuen Seidenstraße“ in den vergangenen Jahren aber unzweifelhaft zu einer stärkeren wirtschaftlichen und auch politischen Integration Chinas mit den Ländern in seiner unmittelbaren Nachbarschaft geführt. Neben Hong Kong spielt Singapur dabei eine tragende Rolle.

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