Roman Antonyuk ist als Sänger und Bandurist (die Bandura ist das ukrainische Nationalinstrument) "Verdienter Künstler der Ukraine". Die DWN haben mit ihm in seinem Heimatland telefoniert.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Antonyuk, wo befinden Sie sich gerade?
Roman Antonyuk: In meiner Heimatstadt Lwiw (zu Deutsch: Lemberg - Anm. d. Red.) in der West-Ukraine. Hier sind auch meine Familienangehörigen, das heißt meine Frau und unser Sohn sowie meine Mutter und Schwiegermutter.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist der Krieg schon bis zu Ihnen vorgedrungen?
Roman Antonyuk: Nein, das ist er glücklicherweise noch nicht. In etwa 50 Kilometer Entfernung wurde ein Flughafen bombardiert, Kämpfe hat es bisher allerdings noch nicht gegeben. Allerdings haben sich pro-russische Sabotage-Gruppen in der Stadt eingenistet - übrigens nicht nur bei uns, sondern in jeder ukrainischen Stadt. Es handelt sich dabei wohl um russische als auch um ukrainische Staatsbürger. Letztere glauben der russischen Propaganda, mit der die Ukraine seit Jahren traktiert wird. Aber auch wenn die russische Armee noch nicht bis zu uns vorgedrungen ist, bereiten wir uns auf einen Angriff vor. So werden beispielsweise überall in der Stadt Barrikaden errichtet. Wir sind bereit, uns zu verteidigen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was werden Sie tun?
Roman Antonyuk: Ich bin Künstler, also ein Mensch, der Schönes schafft, kein Mensch, der zerstört. Aber dennoch werde ich kämpfen - auch wenn ich über keine militärische Ausbildung verfüge. So gut wie jeder meiner Landsleute kämpft oder wartet darauf, in den Kampf zu ziehen. Sie alle stehen Seite an Seite mit den regulären Streitkräften: Männer und Frauen jeden Alters, Schwangere, auch Intellektuelle und Künstler wie ich, denen das Kriegshandwerk eigentlich fremd ist. Ich stehe in Kontakt mit einem Opernsänger und dem Leiter eines Orchesters in Kiew. Sie kämpfen ebenfalls - obwohl sie teilweise zwei bis drei Nächte nicht geschlafen haben.
Es ist die Hölle. Ich weiß nicht, ob ich diese Menschen je wiedersehen werde. Aber alle tun heldenhaft ihre Pflicht - das ganze Volk tut es. Wir werden uns verteidigen, bis zur letzten Patrone. Bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie gut sind Sie über die Ereignisse im Land informiert?
Roman Antonyuk: Wir informieren uns über die Medien, wir telefonieren mit Verwandten, Freunden und Bekannten. Der Generalstabschef hat bekannt gegeben, dass Putin den Einsatz von Atomwaffen angedroht hat. Ob er diese Drohung wahrmacht, weiß - außer ihm - allein Gott.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Fühlen Sie sich vom Ausland unterstützt oder eher alleingelassen?
Roman Antonyuk: Wir werden vom Ausland unterstützt, und dafür sind wir sehr dankbar. In den angrenzenden Ländern herrscht eine große Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Fast alle dieser Flüchtlinge sind übrigens Frauen mit ihren Kindern; die Männer sind in der Ukraine geblieben, um ihre Heimat zu verteidigen. Ich bitte das Ausland, uns zusätzliches Material zu senden. Wir benötigen Helme, Schutzwesten und medizinisches Versorgungsmaterial. Ich denke, wir brauchen auch Waffen, aber ich bin kein militärischer Experte - das wissen andere besser als ich.
Die Bundesregierung hat zunächst gezögert, uns zu helfen - die Abhängigkeit vom russischen Gas ist eben sehr groß. Aber mittlerweile haben wir auch aus Deutschland Waffen erhalten.
Persönlich bin ich überwältigt von der Anteilnahme, die mir aus Deutschland entgegenschlägt. Meine deutschen Freunde sind sehr besorgt um meine Familie und mich; sie alle wollen wissen: Wie können wir Dir helfen? Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Gefühle hegen Sie gegenüber Russland?
Roman Antonyuk: Dies ist ein Krieg der Systeme. Zwischen Demokratie und Autokratie; zwischen einem Volk, das frei sein will auf der einen und Putin und Lukaschenko auf der anderen Seite.
Aber ich habe nichts gegen die russischen Soldaten. Sie werden verheizt in einem sinnlosen Krieg. Die russischen Mütter und Frauen wissen nicht, wo ihre Söhne und Männer sind, sie erfahren nichts von ihrem Schicksal. Ich kann russisches Fernsehen über Satelliten empfangen, dort wird immer nur von „unseren Helden“ gesprochen. Von Verlusten hört man kaum etwas (das russische Verteidigungsministerium bestätigte vergangenen Sonntag, den 27. Februar, zum ersten Mal, dass die eigenen Truppen Verluste erlitten hätten - Anm. d. Red.).
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Antonyuk, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen Ihnen und Ihrer Familie alles Gute.