Finanzen

Zentralbanken investieren massiv in Aktien

Die Zentralbanken definieren ihre Rolle zunehmend neu. Was bedeutet das für den Aktienmarkt?
19.05.2022 15:54
Aktualisiert: 19.05.2022 15:54
Lesezeit: 4 min
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Das OMFIF (Official Monetary and Financial Institutions Forum) ist eine 2010 gegründete Denkfabrik mit Sitz in London sowie Büros in Singapore, Washington und New York. OMFIF analysiert Themen der Wirtschaftspolitik, des Zentralbankwesens und der öffentlichen Ausgaben für seine Mitglieder, als da wären Zentralbanken, Staatsfonds, Pensionsfonds, Aufsichtsbehörden und Schatzämter. Diejenigen von ihnen, deren Aufgabe es ist, Vermögen zu verwalten, haben die Verantwortung für circa 42,7 Billionen Dollar (zum Vergleich: das deutsche Bruttoinlandsprodukt betrug 2021 rund 3,9 Billionen Dollar). Die vom OMFIF organisierten Veranstaltungen stehen nur Mitgliedern der Organisation offen und werden entsprechend ihrer Regularien (die beispielsweise besagen, dass das, was bei den Treffen zur Sprache kommt, nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden darf) abgehalten. Die Treffen finden regelmäßig in den Räumlichkeiten großer Zentralbanken statt; sie dienen der Präsentation der neuesten OMFIF-Analysen und dem Netzwerken der Mitglieder untereinander.

Das OMFIF gibt seit 2014 einmal pro Jahr den Report „Global Public Investors“ heraus. In der letztjährigen Ausgabe, die am 21. Juli erschien, steht in der Einleitung auf Seite drei (die zitierten Stellen aus dem Report drucken wir im Folgenden in kursiver Schrift):

„Globale öffentliche Investoren (GPIs) - Zentralbanken, Staatsfonds und öffentliche Pensionsfonds - weiten ihren Radius immer weiter aus. Die Politik von 850 Institutionen mit einem weltweit investierbaren Vermögen von 42,7 Billionen Dollar hat tiefgreifende Auswirkungen auf die globalen Märkte. Sie sind von entscheidender Bedeutung für die Wachstumsaussichten, das Investitionsklima und die Kapitalmärkte. Sie werden eine wichtige Rolle bei der globalen Erholung nach der Pandemie spielen. Die Jahresausgabe 2021, die achte insgesamt, untersucht die Leistungen und Praktiken der GPIs in einem breiten Spektrum von Investitionen sowie ihre Aktivitäten in der digitalen Wirtschaft und im nachhaltigen Finanzwesen.“

Der CEO von OMFIF, David Marsh, schreibt: auf Seite fünf: „Der Global Public Investor wurde 2013/2014 ins Leben gerufen, um das Risikomanagement staatlicher Institutionen auf der ganzen Welt in ihren unterschiedlichen, aber überschneidenden Aktivitäten zu verfolgen. Das vergangene Jahr 2021 hat staatlicher Investitionspolitik eine neue Dimension verliehen. Neue Ansätze in Bezug auf Liquidität, Diversifizierung, Investitionen in China und die grüne Ökonomie haben Trends verstärkt, die bereits vor der Pandemie zu beobachten waren. Erneut zeigte sich wieder einmal die grenzenlose Fähigkeit staatlicher Investoren zu Innovation und Flexibilität. Der Wunsch, große Reserven zu halten, um Stabilität und Vertrauen zu fördern, hat sich während der Pandemie noch weiter verstärkt.“

Anmerkung Kubin: 2014, also in der ersten Ausgabe des „Global Public Investors“, ist die Sprache von einer Summe in Höhe von 29,1 Billionen US-Dollar. Im GPI-Report 2021 waren die Assets dann - wie bereits gesagt - schon auf 42,7 Billionen Dollar angeschwollen (ein Plus von 13,6 Billionen - also fast zwei Billionen pro Jahr).

Nachfolgend eine Reihe weiterer Aussagen aus dem GPI-Report 2021:

„Wie groß der Spielraum für die Diversifizierung bleibt, ist eine offene Frage … allein Zentralbanken halten bereits über 1,4 Billionen US-Dollar in börsennotiertem Beteiligungskapital (im Original: listed equities). (Anmerkung Kubin: Nicht zufällig wird auch hier die Bezeichnung „stocks“, also Aktien, tunlichst vermieden beziehungsweise umschrieben. Da der Bestand der weltweiten Devisenreserven weiter anschwillt, sieht eine Mehrheit der Zentralbanken einen Grund für eine fortgesetzte Akkumulation).

Diese Tendenz wird sich zweifellos fortsetzen, zumal Aktien als Reserveaktivum gut abgeschnitten haben während des Covid-19-Schocks. Aber nur 60 Prozent der Zentralbanken sagten, sie wären bereit, mehr als ein Drittel ihrer Reserven im Falle eines schweren Währungsschocks einzusetzen. Werden die Zentralbanken irgendwann einen Punkt erreichen, an dem die sozialen und Opportunitätskosten großer Reserven den Nutzen überwiegen? (Anmerkung Kubin: Als Opportunitätskosten bezeichnet man den entgangenen Nutzen einer nicht gewählten oder nicht realisierbaren Handlungsalternative.) Sollten überschüssige Reserven für produktivere Zwecke verwendet werden?

Öffentliche Investoren müssen ein ähnlich heikles Gleichgewicht bei Fragen der Nachhaltigkeit erzielen. Die meisten von ihnen investieren in grüne Anlagen, insbesondere festverzinsliche Wertpapiere. … Jetzt wollen die Fonds neue Wege des Benchmarkings erkunden, neue Scoring-Methoden und neue Ansätze für den verantwortungsvollen Umgang mit Besitz. Für die Verwalter von Zentralbank-Reserven oder Stabilisierungsfonds wirft dies schwierige Fragen auf hinsichtlich der Abwägung zwischen Liquidität, Rendite und Nachhaltigkeit. Selbst für große Pensionsfonds stellt sich die Frage, wie viel und wie schnell sie ihre Portfolios grünfärben beziehungsweise umweltfreundlicher gestalten könne. Eindeutige Antworten fehlen. Dieses Spannungsfeld wird sich in den kommenden Jahren verstärkt auswirken.“

Um es für den Leser unmissverständlich zu formulieren: Die Zentralbanken sehen sich allmählich gezwungen, ihre Devisenreserven gewinnbringender anzulegen, das heißt, nicht durch den Ankauf riskanter Schuldnerpapiere (asset backed securities) strauchelnde Unternehmen zu helfen. Vielmehr erkennen Zentralbanken immer mehr die Bedeutung von Investitionen in gewinnbringende Aktiengesellschaften und von Beteiligungen an der grünen Wirtschaft, an aufstrebenden Wirtschaftszweigen, an Technologieführern und deren mehr.

Die Top ten Reserven & Fonds[1]

Fazit

Die 2020 getroffenen Aussage eines ehemaligen Ökonomen von JP-Morgan könnte sich somit als wahr erweisen: Er meinte damals, es bestehe die Chance, dass die Zentralbanken einen guten Teil der sektorübergreifenden Unternehmensanleihen und Aktien besitzen würden, wenn sich der Staub gelegt habe und die Inflation durch die Decke gehe.

Ein signifikantes, unkontrolliertes Wegbrechen der Börsen – wie wir es aus der Vergangenheit kennen – wird in Zukunft um ein Vielfaches unwahrscheinlicher, da sich ein beträchtlicher Anteil des börsennotierten Vermögens in „starken Händen“ befinden wird (beziehungsweise schon befindet). Und noch etwas ist möglich: Das weiterhin zuhauf „gedruckte“ Geld wird von den Zentralbanken dazu verwendet, die abgestürzten Papiere günstig einzusammeln (denn dass die Zentralbanken den Geldhahn tatsächlich unerwartet stark zudrehen könnten, kann getrost als Nebelkerze abgetan werden). Auch das würde das sich in „starken Händen“ befindliche Vermögen massiv erhöhen.

Ein Aspekt, der im GPI-Report 2021 genannt wird, hat mit obiger Thematik nur entfernt zu tun, soll an dieser Stelle aber nicht unerwähnt bleiben, weil er äußerst wichtig ist:

Zunehmende Gewichtung des Renminbis als Reservewährung

Eine weitere Prognose im GPI-Report 2021 ist erwähnenswert: Der Anteil des Renminbis an den Währungsreserven der Zentralbanken werde zunehmen, seine Bedeutung als Reservewährung werde sich beschleunigen. Von den befragten Zentralbanken planen 30 Prozent, ihre Renminbi-Bestände in den nächsten 12-24 Monaten aufzustocken, während 70 planen, ihr Engagement über einen längeren Zeitraum hin ebenfalls zu erhöhen. Dies ist insbesondere in Afrika der Fall, wo fast die Hälfte der befragten Zentralbanken eine Erhöhung ihrer Renminbi-Reserven in den nächsten zwei Jahren einplanen.

Man setzt hier ganz offenbar auf die Stärke der aktuell zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. 2021 wurde ein Plus von 8,1 Prozent für Chinas Wirtschaft attestiert. Im vierten Quartal 2021 war die Wirtschaftsleistung um vier Prozent größer als ein Jahr zuvor. Der Schwung lässt aber Indikatoren zufolge nach - auch das muss an dieser Stelle angemerkt werden.

[1] GPI Report 2021. S. 115

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Andreas Kubin

Andreas Kubin lebt in Oberösterreich, hat ein MBA mit Schwerpunkt "Finanzen" und verfügt über drei Jahrzehnte Börsen-Erfahrung. 
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