Die EU will beim geplanten Öl-Embargo gegen Russland Pipeline-Lieferungen vorerst ausschließen, wie aus einem neuen Entwurf für den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs hervorgeht.
Die 27 EU-Mitgliedstaaten würden sich „mit dem Thema einer zeitweisen Ausnahme für Rohöl, das über Pipelines geliefert wird, so schnell wie möglich befassen“, heißt es in dem Entwurf weiter, den die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte. Ob bei dem Sondergipfel am Montagnachmittag und am Dienstag ein Durchbruch erzielt werden kann, bleibt damit offen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck macht einen schrittweisen Verlust der Einigkeit der EU-Staaten in der Frage aus. Man habe nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine gesehen, wozu Europa bei starkem Zusammenhalt in der Lage sei, sagte der Grünen-Politiker am Sonntag bei einer Diskussionsveranstaltung zur Hannover Messe, von der die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Mit Blick auf das EU-Treffen am Montag mache er sich aber Sorgen: "Es fängt schon wieder an zu bröseln und zu bröckeln."
Habeck forderte, Deutschland müsse beim EU-Gipfel mit einer Stimme sprechen. Die so häufigen Enthaltungen wegen unterschiedlicher Auffassungen in den Regierungskoalitionen müssten ein Ende habe. Das erwarte er selbst von Deutschland - aber auch die anderen EU Staaten.
EU kann sich nicht einigen
Der anhaltende Streit über die Pläne für ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland droht den an diesem Montag beginnenden EU-Gipfel in Brüssel zu überschatten. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur verhinderte die Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban am Sonntag die Einigung auf einen neuen Kompromissvorschlag, indem sie ihre Zustimmung von finanziellen Zusagen der EU abhängig machte. Zudem ließen auch Länder wie die Niederlande Vorbehalte erkennen.
Um die seit Wochen anhaltende Blockade Ungarns zu lösen, hatte die EU-Kommission zuvor vorgeschlagen, vorerst nur die Einfuhr von per Schiff transportiertem Öl auslaufen zu lassen. Das von russischen Energieträgern stark abhängige Ungarn könnte sich demnach weiterhin über die riesige Druschba-Pipeline mit Öl aus Russland versorgen.
An die Leitung sind auch Raffinerien in der Slowakei und in Tschechien sowie in Polen und Ostdeutschland angeschlossen. Deutschland und Polen haben allerdings bereits klargestellt, dass sie unabhängig von einem Embargo bis Ende dieses Jahres unabhängig von russischen Öllieferungen werden wollen. Vorher sollte das Öl-Embargo ohnehin nicht vollständig in Kraft sein.
Neben Ungarn sehen auch Tschechien und die Slowakei ein Öl-Embargo kritisch.
Bei den nun von Ungarn geforderten Finanzzusagen geht es nach Angaben aus EU-Kreisen vor allem um Mittel, die das Land für den mittelfristigen Umbau seiner Öl-Infrastruktur will. So beziffert die Regierung in Budapest die Kosten für die notwendige Umstellung von Raffinerieanlagen auf nicht-russisches Öl auf bis zu 550 Millionen Euro. Zudem müssen den Angaben zufolge 200 Millionen Euro investiert werden, um das Land künftig über eine an der Adriaküste beginnende Pipeline zu versorgen.
Inhaltliche Probleme mit dem Kompromissvorschlag haben nach Angaben von Diplomaten hingegen die Niederlande. Sie befürchten, dass es in der EU zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen kommen könnte, wenn einige Staaten weiter relativ günstiges Pipeline-Öl aus Russland beziehen. Relevant ist dies auch, weil der Hafen in Rotterdam bislang ein wichtiger Umschlagplatz für russisches Öl ist und dort durch das Embargo zunächst Geschäft wegbrechen könnten.
Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission sah vor, wegen des Ukraine-Kriegs den Import von russischem Rohöl in sechs Monaten und den von Ölprodukten in acht Monaten komplett zu beenden. Lediglich Ungarn und die Slowakei sollten 20 Monate Zeit bekommen.
Deutschland zeigte sich nach Angaben von EU-Diplomaten bei den EU-Beratungen am Sonntag grundsätzlich bereit, dem Kompromissvorschlag der Kommission zuzustimmen. Zugleich machte die Bundesregierung demnach deutlich, dass die Ausnahmeregelungen eigentlich nicht in ihrem Interesse sind. Mit Unmut wurde den Angaben zufolge auch registriert, dass die Kommission den Vorschlag zurückgezogen hat, im Rahmen des inzwischen sechsten Sanktionspakets Russen den Kauf von Immobilien in der EU zu untersagen.
Auf der offiziellen Agenda des zweitägigen EU-Sondergipfels in Brüssel stehen unter anderem mögliche Maßnahmen gegen die aktuell bereits sehr hohen Energiepreise, die weitere Unterstützung für die Ukraine sowie die Zusammenarbeit der EU im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Zur aktuellen Lage in der Ukraine wird es den Planungen zufolge ein Briefing durch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geben. Dieser soll per Videokonferenz zugeschaltet werden.