Weite Teile der chinesischen Bevölkerung könnten von einem massiven Datenleck betroffen sein. Der anonyme Hacker, der unter dem Pseudonym "ChinaDan" im Darknet agiert, bietet die Daten von über einer Milliarden Chinesen zum Verkauf an – für 10 Bitcoin, also derzeit umgerechnet rund 200.000 Euro. In vielen Medienberichten ist davon die Rede, dass es sich bei dem Vorfall um eines der größten Leck persönlicher Daten der Geschichte handeln könne. Zu der etwa 23 Terabyte großen Datensammlung sollen unter anderem Privatadressen, Telefonnummern und Vorstrafenregister gehören. Dass hinter dem Pseudonym eine Hackergruppe steht, ist nicht ausgeschlossen.
Private Daten und Berichte über Straftaten
Stammen sollen die Daten aus einer Polizeidatenbank in Schanghai. Einige konnten von dem Wall Street Journal anhand persönlicher Anrufe bei Betroffenen bereits als authentisch bestätigt werden. Um die Echtheit der Daten zu bestätigen, hat "ChinaDan" bereits eine Stichprobe von 750.ooo Datensätzen veröffentlicht. Diese enthält einerseits Namen, Personalausweisnummern, Telefonnummern, Geburtstage und Geburtsorte, aber andererseits auch detaillierte Berichte über Straftaten und Vorfällen, die der Polizei gemeldet wurden.
Die infolge des Datenlecks geleakten Fälle reichen dabei von bloßen Diebstählen und Cyberkriminalität bis zu häuslicher Gewalt und umfassen eine Zeitspanne von 1995 bis 2019. In dem Forum, in dem die Datenbank zum Verkauf angeboten wird, behauptet "ChinaDan", die Daten stammten von Alibaba Cloud, einer Tochter des chinesischen E-Commerce-Riesen Alibaba, welche die Datenbank der Shanghaier Polizei bislang gehostet haben soll.
Datenlecks machen Überwachung und Unterdrückung in China sichtbar
Während das neueste chinesische Datenleck hochsensible Informationen preisgibt und somit mannigfaltige Probleme für die von ihm betroffenen Chinesen nach sich ziehen kann, können Datenlecks aber auch das Instrumentarium des chinesischen Überwachungsstaats offenlegen und sichtbar machen. Beispielsweise entdeckte der Hacker und Cybersicherheitsforscher Victor Gevers 2019 eine offen zugängliche Datenbank, die knapp 364 Millionen Datensätze zu Social-Media-Konten und Online-Aktivitäten enthielt. Darunter unter anderem Chats, Social-Media-Profile, GPS-Daten und Fotos – teilweise auch von Jugendlichen.
Möglich macht solche Datenlecks die chinesische Gesetzgebung, die Internetcafés vorschreibt, ihre Kunden zu überwachen und Informationen über potenziell "auffälliges" Online-Verhalten auf Aufforderung den Behörden zuzustecken. So wertete ein Rechercheteam der New York Times jüngst mehr als 100.000 Seiten an Dokumenten aus, die unter anderem von dem Online-Magazin "China File" zur Verfügung gestellt wurden. Im Dokument finden sich Ausschreibungsunterlagen, die auf chinesischen Regierungswebsites veröffentlicht wurden, aber auch Dokumente von Überwachungsunternehmen.
New York Times: Zentrales Datenregister soll Verbrechen und Proteste verhindern
Die Dokumente malen hinsichtlich der Ausmaße staatlicher Überwachung in China ein düsteres Bild: So sammle der chinesische Staat so viele biometrische Merkmale der Bürger wie möglich, seien es Iris-Scans, Stimm-Mitschnitte oder DNA. Zudem stehe laut der Recherche jede zweite Überwachungskamera in China. Die Kameras wiederum seien oft mit Gesichtserkennungstechnologie ausgerüstet und könnten so Bewegungen von Menschen im öffentlichen wie privaten Raum verfolgen. Manche Kameras würden sogar Töne aufzeichnen und könnten so Personen auch anhand von Stimmerkennungssoftware identifizieren.
Auch gezielte Überwachung sei so möglich. Hinzu kämen außerdem Handy-Tracker, die es erlauben Menschen zu orten und zu verfolgen und Kfz-Kennzeichenscanner, die Fahrzeuge nachverfolgen können. Auch Zahlungsdaten und Verbrauchsdaten für Wasser und Strom oder Bestellungen von Verkehrstickets würden erfasst. Inzwischen soll der chinesische Staat laut der Recherche der New York Times sogar daran arbeiten alle diese Daten zentral zu bündeln und mithilfe von Künstlicher Intelligenz durchforsten zu lassen, um Verhaltensmuster frühzeitig zu erkennen und Verbrechen oder Proteste vor ihrem Eintreten zu prognostizieren.
Datenlecks können dabei helfen Menschenrechtsverletzungen offenzulegen
Besonders sähe es der chinesische Überwachungsstaat, so das Rechercheteam, es auf ethnische Minderheiten in China ab. Neben der Aufdeckung staatlicher Überwachungsstrukturen können Datenlecks letztlich aber auch dabei helfen, Menschenrechtsverletzungen, wie jene Chinas gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren, offenzulegen. So geschehen mit den sogenannte Xinjiang Police Files, welche die grausamen Verhältnisse in den Uiguren-Lagern der chinesischen Regierung in der chinesischen Provinz Xinjiang offenlegen und beweisen konnten. Letztlich also bleiben Datenlecks ein zweischneidiges Schwert – je nach den Intentionen derer, die von ihnen Gebrauch machen.