Gastbeitrag von Jan Joachim Dreyer:
Das Bundeswirtschaftsministerium schlägt bei den aktuellen Preisentwicklungen an deutschen Tankstellen Maßnahmen vor, die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zukünftig das – bereits nicht kleine – Arsenal des Bundeskartellamts beim Vorgehen gegen „oligopolistische Märkte“ effektiver machen sollen. Wie ist eine solche Vorgehensweise aus wirtschaftspolitischer und rechtlicher Sicht zu beurteilen?
Diese Ideen stehen in einer langen Tradition. Wirklich „zerschlagen“ wurde die Eisenbahngesellschaften in den USA und die IG Farben in Deutschland durch die alliierten Siegermächte nach Kriegsende. Seitdem ist es eher eine Scheindiskussion, in der viel „man sollte“ herrscht. Der Konflikt zwischen „Größe im globalen Wettbewerb“, Stichwort nationale Champions, und Schaffung ordoliberaler Strukturen mit möglichst vielen kleineren Anbietern, die sich gegenseitig stark unter Druck setzen ist Gegenstand vieler Diskussionen.
Diese Gegensätze spielten zum Beispiel bei dem Zusammenschluss Boeing/McDonnel- Douglas eine Rolle, der in den USA ohne weiteres genehmigt wurde, den die aber EU-Kommission zunächst untersagen wollte und dann nur unter strengen Auflagen genehmigte. Auch bei der Fusionskontrolle im Fall Siemens / Alstom, der verteidigt wurde mit dem Argument, Europa müsse einen Global Player haben, der im Wettbewerb zu chinesischen Anbietern bestehen könne, verteidigt wurde. Dennoch sah die EU-Kommission chinesische Anbieter (noch) nicht ausreichend in der EU als Anbieter tätig und verhinderte aus ihrer Sicht konsequent ein Monopol in der EU. Der Zusammenschluss wurde untersagt.
Inkonsequente Lenkungsanreize bewirkten nicht das gewünschte Resultat
Worum geht es nun im aktuellen Streitfall? Die Regierungskoalition hat einen Preisanstieg bei Kraftstoffen, der nicht durch Steuererhöhungen (Lenkungsanreiz, das Auto abzuschaffen), sondern durch Angebotsverknappung in Folge der globalen Krisen bewirkt wurde, abzufedern versucht. Dies sollte durch Rücknahme der Lenkung hin zu weniger Benzinverbrauch über höhere Preise durch Steuern bewirkt werden. Dies ist erst einmal inkonsequent. Es ist auch gescheitert, weil möglicherweise – das Bundeskartellamt ermittelt, findet aber offenbar derzeit kein rechtswidriges Verhalten – die Steuersenkungen bei den Mineralölkonzernen für höhere Gewinne internalisiert werden. Möglich wäre dies nur, wenn wegen fehlender Wettbewerbsanreize die Anbieter dazu in der Lage sind.
Für die Zukunft soll Wettbewerb, so der Minister, zwangsweise geschaffen werden, damit sich solch eine Situation nicht wiederholen kann: Zerschlagung und Abschöpfung von „übermäßigen“ Gewinnen in „oligopolistischen Märkten“ „soll auf Verdacht“ möglich werden. Diese Maßnahme soll wohlgemerkt für alle Märkte mit wenigen Anbietern gelten – nicht nur für die Mineralölgesellschaften. Dies betrifft demnach fast alle Spezialchemikalienmärkte und sehr viele pharmazeutischen Zuliefermärkte – dort gibt es regelmäßig nur zwei bis drei Anbieter eines bestimmten Stoffes. In Zukunft könnte also das Bundeskartellamt – wenn es denn wollte – dort stets durch Abschöpfen „gerechte Zustände“ herstellen und ggf. entflechten.
Im Ergebnis könnte man daher überspitzt behauptet, statt des Marktes möge es die Behörde richten – die Learnings aus der Geschichte sprechen eher gegen einen Erfolg dieses Vorgehens.
Drei Punkte Plan des Ministers
Konkret soll die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgezogen werden, unter anderem mit folgenden Maßnahmen:
1. Missbrauchsunabhängige Entflechtung ermöglichen, um Wettbewerb auf verfestigen Märkten zu schaffen
2. Hürden für Kartellrechtliche Gewinnabschöpfung senken und so die Schlagkraft der Kartelldurchsetzung erhöhen
3. Sektoruntersuchungen schlagkräftiger ausgestalten
Beweisanforderungen und Marktmacht bei Entflechtung
Eine Entflechtung ist ein staatlicher Eingriff, der einen Unternehmensverbund aufsplittet in kleinere Einheiten, die dann in der Theorie stärker im Wettbewerb stehen. Auch die vertikale Integration, die möglicherweise eine Benachteiligung von Wettbewerbern auf bestimmten Marktstufen ermöglicht, die von dem vertikal integrierten Unternehmen weniger geliefert bekommen oder nur zu schlechteren Konditionen, kann aufgebrochen werden. Das letzte sehr bekannte Beispiel dafür ist die Entflechtung im Energiebereich. Dort wurden (Durch)Leitungskapazitäten von Produktion und Speicher getrennt.
Warum nicht zunächst eine Regulierung wie bei Post, Telekom und Eisenbahn überlegt wird, verwundert. Im Einzelnen stellen sich aber eine Vielzahl von Fragen: Reicht eine „normale“ Marktbeherrschung für eine Entflechtung? Kann also etwa die Lufthansa zerschlagen werden wegen einer Marktbeherrschung auf der Strecke Frankfurt – Warschau? Sicher eher nicht, aber wo wird die Grenze gezogen? Man solle aber nicht glauben, der Wunsch nach einer Neuordnung des innerdeutschen Flugmarktes wäre nicht da und könne nicht ein Anwendungsfall der neuen Regelung werden. BKartA Präsident Mundt hält mehr Anbieter in Deutschland seit langem für wünschenswert. Schließlich könnte Vermutung auf Vermutung aufbauen: Im deutschen Recht wird bereits gemeinsame Marktbeherrschung vermutet, wenn eine bestimmte Zahl von Unternehmen gemeinsam einen bestimmten Marktanteil haben (§ 18 Abs. 6 GWB). Es obliegt dann den Unternehmen, nachzuweisen, dass zwischen ihnen Wettbewerb herrscht. Wer die
Beweisanforderungen des OLG Düsseldorf kennt, weiß, dass dies nicht einfach ist. Gelingt eine solche Prüfung nicht, dürfte dann missbrauchsunabhängig – also jederzeit – entflochten werden?
Und warum wird Shell anders behandelt als Google? Für „die großen Digitalkonzerne“ gibt es seit der letzten Novelle des GWB Sonderregeln, von denen das BKartA starken Gebrauch macht – und, wie man gerüchteweise hört, daher auch von den Kapazitäten in Schwierigkeiten kommt. Auch der Digital Markets Act (DMA) wird diese Thematik gesondert regeln. Warum soll nun für die „Old Economy“ anderes, deutlich harscheres Recht, gelten?
Die Mineralölindustrie und die Ohnmacht der Behörde
Für die Mineralölindustrie hat das BKartA im Rahmen der Sektoruntersuchung Kraftstoffe. Bereits 2011 kollektive Marktmacht festgestellt. Missbrauch und Abstimmung untereinander hat es danach hat es nicht nachweisen können – so sehr es das auch versucht hat. Warum also der Nachweis des Missbrauchs nunmehr entfallen sollte, ließe sich nur mit dem Hinweis auf fehlende Effizienz staatlichen Durchgreifens erklären. Nachweis von Missbrauch ist schwer. In Deutschland gab es wenige Fälle, von denen die meisten sich auf sogenannte relative Marktmacht fokussieren. Dabei wird beispielsweise in einer bestimmten Lieferbeziehung festgestellt, dass eine Kündigung oder ein unterschiedlicher Rabatt missbräuchlich war. Bei gemeinsamer oder einzelner Marktbeherrschung „gegenüber allen“ ist dies bisher selten erfolgreich betrachtet worden. Auch in der EU hat die Kommission zuletzt Probleme gehabt. Sie hat bei dem Versuch, Intel einen Missbrauch durch Rabattgewährung (der Wettbewerber am Marktzugang gehindert haben soll) Probleme gehabt. Die europäischen Gerichte haben die Entscheidung wegen möglicherweise fehlerhafter Beweisführung beim Missbrauch beanstandet.
Die Wirtschaft spielt international – zum Nachteil deutscher Unternehmer?
Schließlich stellt sich die Frage der Inländerdiskriminierung: Kann Deutschland wirklich eine Zerschlagung von Google herbeiführen? Stünden nicht Handelskriege und Sanktionen im Raum? Wieviel schwieriger wäre dies bei chinesischen Staatskonzernen? Ist dann nicht eine reale Gefahr gegeben, dass (hinkendes Beispiel) zwar Hapag Lloyd, nicht aber Cosco zerschlagen wird? Es ist nur ein Beispiel, dass deutsche Brauereien – klein und ohne internationales Netz und Größenvorteile – große Schwierigkeiten haben und oft schließen müssen. In Belgien war der Zusammenschluss großer Teile der Brauereien möglich. Mittlerweile ist Anheuser-Busch InBev ein weltweiter Player, der Rückgänge im Heimatmarkt anderswo ausgleichen kann (und dem einige deutsche Brauereien gehören). Es gibt immer auch Gegenbeispiele dazu, aber insgesamt kann es einer Branche auch helfen, Größenvorteile zu entwickeln. Daher könnte das Vorhaben auch zur Zerschlagung allein deutscher Unternehmen führen, die dann von ausländischen Unternehmen in Einzelteilen aufgekauft werden können. (ABInbev) ist.
Wirtschaftstheorie und Realität – Nicht immer im besten Einklang
Gewinnabschöpfung: Auch hier soll auf „Verdacht“ gehandelt werden können. Die Frage, welcher Gewinn „übermäßig“ ist und abgeschöpft werden muss, gehört wohl eher ins
theoretisch-philosophie Metier und ist indes sehr schwer zu beantworten. Rosa Luxemburg hätte sie sicher anders beantwortet als Adam Smith und hier gab und gibt es eine Reihe von Versuchen- die fast alle an der Frage, was zulässig ist und welche Kosten angerechnet werden dürfen – scheitern. Dürfen Vollkosten, also die Kosten, die der Monopolist durch Festhalten an ineffizienter Produktion (möglicherweise mit vielen Arbeitskräften) berücksichtigt werden? Dann ist der Preis oft nicht so „überhöht“. Dürfen nur effiziente Kosten (also z.B. nach einer Kündigungswelle) berücksichtigt werden? Und letztlich ist die Frage, welcher Gewinn ok und welcher nicht ist, eine, die m Gesetz geregelt werden sollte. Ich wäre gespannt.
Ausblick
Von den vorgeschlagenen Mitteln kann ohne größere Bedenken allein eine Stärkung des Instruments Sektoruntersuchung Sinn machen. Sie bedeutet aber letztlich größere Rechte bei anlassloser Kontrolle – was man kritisch sehen kann. Zerschlagung und Abschöpfung müssen sich dem Verdacht des Populismus stellen und haben neben möglichen Erfolgen auch sehr hohes Risikopotential. Zudem ist jedenfalls nicht völlig klar, wieso gerade die Transparenz im Tankstellenbereich ein Vorteil für die Konzerne sein soll, der einen Zugriff rechtfertigt – schließlich hat man beim BKartA gerade die Markttransparenzstelle für Tankstellen geschaffen. In jedem Fall bleibt aber der konkrete Vorschlag vom BMWK abzuwarten. Erst dann ist eine wirkliche Beurteilung möglich.
Zum Autor: Rechtsanwalt Dr. Jan Joachim Dreyer ist Partner bei der Wirtschaftskanzlei FPS in Düsseldorf. Seine Schwerpunkte umfassen neben Kartell- und Wettbewerbsrecht sämtliche Aspekte der Fusionskontrolle, Vergabe- und Schadenersatzverfahren. Dr. Dreyer verfügt über Erfahrungen bei der horizontalen Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern, Compliance-Systemen, Beihilfe- und Außenwirtschaftsrecht.