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Energie-Krise: Chef der Netzagentur fordert Deutsche zu größeren Opfern auf

Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Energiekrise müssen die Deutschen laut dem Chef der Bundesnetzagentur noch deutlich mehr Einsparungen vornehmen.
23.07.2022 18:10
Lesezeit: 3 min
Energie-Krise: Chef der Netzagentur fordert Deutsche zu größeren Opfern auf
Kalt duschen gegen Russland? Im kommenden Winter ist es wohl so weit. (Foto: dpa) Foto: Julian Stratenschulte

Die Bundesnetzagentur hat die Verbraucher zu mehr Anstrengungen beim Energiesparen aufgefordert, damit Deutschland auch bei einer Gasknappheit durch den Winter kommt. Im bisherigen Jahresverlauf liege der Gasverbrauch 14 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum, sagte Behördenpräsident Klaus Müller. «Ich muss aber in Richtung 20 Prozent kommen. Es muss noch eine Schippe draufgepackt werden.»

Er wies darauf hin, dass der größte Teil der Einsparungen am relativ milden Wetter in diesem Jahr gelegen habe - vor allem dadurch liefen die Heizungen nicht so stark wie im Vorjahr. Wäre das Wetter hingegen wie 2021 gewesen, wären es nur 5 Prozent gewesen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte ein Energiesparpaket vorgestellt, das die Haushalte stärker in die Pflicht nimmt und verbindliche «Heizungschecks» vorschreibt. Zudem soll Verbrauch in öffentlichen Gebäuden und Firmen sinken.

Mit dem Paket schaffe man wichtige Grundlagen, um auch durch Einsparungen eine Notfallstufe in diesem Winter zu vermeiden, sagte Müller. «Dazu müssen wir die Gasspeicher stärker befüllen, den Erdgasverbrauch senken und weitere Erdgaslieferungen aus anderen Ländern organisieren.» Die Notfallstufe ist die dritte und letzte Stufe des Notfallplans Gas. Dann könnten Industriefirmen nicht mehr so viel Gas kaufen, wie sie wollten, sondern sie wären auf Zuteilungen der Netzagentur angewiesen.

Kanzler Olaf Scholz hatte am Freitag den staatlichen Einstieg beim angeschlagenen Gasimporteur Uniper bekanntgegeben und ein Umlagesystem auf den Weg gebracht, das ab September oder Oktober greifen soll. Es soll einen Großteil der Zusatzkosten, die durch eingeschränkte Gaslieferungen aus Russland und damit steigende Preise entstanden sind, ausgleichen. Bezahlen sollen die Umlage alle Gaskunden. Die Umlage kommt zusätzlich zu marktgetriebenen Preiserhöhungen, die schrittweise kommen.

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Jens Spahn forderte deswegen weitergehende Entlastungen für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. «Diese Haushalte sollten als Gasbasisbedarf mindestens die ersten 5000 Kilowattstunden für einen gesetzlichen Fixpreis von 6,5 Cent pro Kilowattstunde erhalten», sagte der CDU-Politiker der dpa. Eine Ausweitung des Wohngeldes reiche nicht, da davon zu wenige profitierten.

Zur Preisentwicklung sagte Müller: «Wenn ich mir jetzt angucke, welche Entwicklung es mit Beginn des Krieges gegeben hat, dann bin ich rein rechnerisch bei einer Verdreifachung im Vergleich zu vor diesem Zeitpunkt.» Wie sich der Preis entwickeln werde, hänge auch von Bürgern und Unternehmen ab. «Je stärker es Deutschland gelingt, den privaten und industriellen Gasverbrauch zu reduzieren, desto eher haben wir eine Chance, von diesem wahnsinnigen Preisniveau herunterzukommen», sagte Müller. «Das gelingt uns nur, indem wir die Verbräuche richtig reduzieren - es liegt in unseren Händen, das zu tun.»

Die entscheidende Frage sei, wie man beim Thema Energiesparen die gesellschaftliche Unterstützung bekomme. «Ich möchte den Menschen reinen Wein einschenken und sagen: Die Preise sind hart», sagte Müller. «Auch wenn euch die Solidarität mit der Industrie nicht so wichtig ist, dann tut alles dafür, um eure Kosten zu reduzieren, die auf euch zukommen.» Die Kernbotschaft sei, dass jeder etwas tun könne. «Zumindest in den Möglichkeiten, die ich als Mieterin und Mieter oder als Hausbesitzer habe.»

Russland liefert nach einer Wartung zwar seit Donnerstag wieder Gas über die Ostseepipeline Nord Stream 1, aber viel weniger als technisch möglich. Nach Einschätzung des Behördenchefs wird die Unsicherheit, ob Russland weiter Gas liefert, fortbestehen. Es gebe keine Entwarnung.

Müller betonte zudem, dass es nicht nur um den kommenden Winter gehe, sondern auch um den darauffolgenden. Es nütze «gar nichts, wenn wir die Speicher so weit runterdrücken würden, dass wir zwar in diesem Winter keine Abschaltungen vornehmen mussten, aber wir fast zwangsläufig in eine Mangellage im Winter 23/24 hineinlaufen».

Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die deutschen Gasspeicher bis zum 1. November zu mindestens 95 Prozent zu füllen. Das Einspeichern hat sich aber verlangsamt: Nach Zahlen des europäischen Gasinfrastrukturverbandes GIE stieg der Füllstand zuletzt nur noch um 0,1 Punkte auf 65,3 Prozent - obwohl eingeschränkt Gas aus Russland kommt.

Die Wirtschaft signalisierte ihre Bereitschaft für weitere Sparmaßnahmen, fordert aber die Rahmenbedingungen dafür. Verordnungen und Regeln zum Arbeitsschutz müssten umgehend angepasst werden, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, der dpa. Das betreffe besonders Fragen zu Raumtemperaturen im Winter und im Sommer. «Hier lässt sich viel Energie einsparen – was natürlich nicht heißt, dass unsere Beschäftigten bald im Kalten arbeiten.»

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