Finanzen

Warum die Vormachtstellung des Dollar nicht mehr zu rechtfertigen ist

Lesezeit: 13 min
26.02.2023 10:00
Die enorme Dominanz des Dollars über das Weltfinanzsystem ist ungerecht. Die sich anbahnende multipolare Weltordnung bedarf eines neuen Systems, schreibt Hippolyte Fofack.
Warum die Vormachtstellung des Dollar nicht mehr zu rechtfertigen ist
Dollar-Scheine. (Foto: dpa)
Foto: Arno Burgi

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Das heutige internationale Währungssystem ging aus der Konferenz von Bretton Woods des Jahres 1944 hervor, als der größte Teil des globalen Südens noch von imperialen Mächten regiert wurde. Es wurde von einigen wenigen reichen Ländern zu deren Vorteil konzipiert und hat ihnen gute Dienste geleistet. Obwohl das Bretton-Woods-System gelegentlich angepasst wurde, um der Beschleunigung der Globalisierung und der sich vertiefenden wirtschaftlichen Interdependenz zwischen Ländern Rechnung zu tragen, hat es die Schwankungen des Wirtschaftszyklus verstärkt, den wirtschaftlichen Aufholprozess der ärmeren Länder behindert und die Dichotomie zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern zum Dauerzustand gemacht.

Um im neuen Zeitalter der Multipolarität und des geopolitischen Wettbewerbs eine tiefergehende Fragmentierung der Weltwirtschaft zu vermeiden, bedarf es erheblicher Reformen zur Korrektur der strukturellen Geburtsfehler des Finanzsystems. Die indonesische Finanzministerin Sri Mulyani Indrawati hat daher die mit der übermäßigen Abhängigkeit von einigen wenigen Reservewährungen verbundenen hohen Kosten ins Visier genommen und sich während Indonesiens G20-Präsidentschaft Anfang 2022 dafür ausgesprochen, Vereinbarungen zum Zahlungsausgleich auf Basis lokaler Währungen (LCS) einzuführen, wie sie ihr Land seit langem propagiert. Dies würde viele Länder bei der Bewältigung von Schocks unterstützen – insbesondere die Schwellenländer, denen potenziell schwerwiegende Kapitalabflüsse drohen, wann immer wichtige hochentwickelte Volkswirtschaften wie die USA ihre Geldpolitik straffen.

Dies ist ein allzu häufiges Problem: Während des „Taper Tantrum“ von 2013 (einer Marktpanik im Gefolge der Ankündigung der US Federal Reserve, ihre monatlichen Anleihekäufe reduzieren zu wollen) verlor die indonesische Rupie plötzlich mehr als 20 % an Wert. Und inzwischen ist die Sorge sogar noch größer, dass eine quantitative Straffung und aggressive Zinserhöhungen systemisch wichtiger Notenbanken massive Kapitalabflüsse verursachen und eine neue Runde von Währungsschwankungen und Staatsschuldenkrisen auslösen könnten.

Die große Wechselkursfreigabe

Zwei der folgenschwersten Anpassungen des ursprünglichen Bretton-Woods-Systems ereigneten sich Anfang der 1970er Jahre: die Umstellung von festen auf frei schwankende Wechselkurse und die Beendigung der Konvertierbarkeit des US-Dollars in Gold. Während das Ende des Goldstandards die weltweite Liquidität verbesserte, schuf es eigene Herausforderungen, indem es die Volatilität kurzfristiger Kapitalflüsse erhöhte und die Gefahr plötzlicher Stopps hervorrief. In Extremfällen sahen sich anfällige Länder steilen Währungsabwertungen, begrenztem Zugang zu externen Krediten, hohen Finanzierungskosten und einer erhöhten Ausfallwahrscheinlichkeit ihrer Auslandsschulden ausgesetzt. Gleichermaßen wichtig war, insbesondere angesichts der Verringerung der durch die Konvertierbarkeit in Gold erzwungenen Haushaltsdisziplin, die Hartnäckigkeit globaler gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte, die sowohl kostspielig als auch schwer behebbar sind (wie die Erfahrungen vieler Märkte während des US-chinesischen Handelskriegs gezeigt haben).

Als die Dominanz des Dollars nach dem Zweiten Weltkrieg zementiert war, stiegen die USA zum faktischen Banker der Welt und zum führenden Lieferanten sicherer Vermögenswerte auf. Rund 60 % der heute von den Notenbanken gehaltenen Devisenreserven bestehen aus auf Dollar lautenden Finanzinstrumenten, und der Dollar ist an über 90 % der OTC-Transaktionen an den Devisenmärkten beteiligt. Laut einem jüngsten Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank wurden zwischen 2015 und 2020 80-90 % der Exporte aus großen Schwellenvolkswirtschaften in Südostasien in Dollar fakturiert.

Die konkurrenzlose Rolle des Dollars bei Handelszahlungen verstärkt dessen Dominanz an den Finanzmärkten und umgekehrt. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als die USA das industrielle Zentrum der Welt und das größte Handelsland waren, war die Vormachtstellung des Dollars noch zu rechtfertigen. Seit dem Aufstieg des globalen Südens ist sie das weniger, insbesondere angesichts der wachsenden Technologieverbreitung und der durch globalisierte Wertschöpfungsketten bedingten zunehmenden Rolle von Halbfertigwaren.

Vor dem Jahr 2000 waren die USA der größte Handelspartner von über 80 % aller Länder. Heute ist diese Zahl auf unter 30 % gefallen, weil die meisten Länder inzwischen China als größten Handelspartner zählen. Die Veränderungen bei der Dynamik im Welthandel verstärken daher das Streben nach einer Diversifizierung der Reservewährungen, wobei der zunehmende bilaterale Handel zwischen einer wachsenden Zahl von Ländern des globalen Südens unter Verwendung ihrer jeweiligen lokalen Währungen anstelle des US-Dollars Skalenerträge ermöglicht.

Bedingt durch die starke Verbindung zwischen Fakturierung, der Überwälzung von Wechselkursänderungen und Pricing-to-Market entscheiden sich viele Exporteure inzwischen, Geschäfte in ihrer Heimatwährung abzuschließen, um das Wechselkursrisiko zu verringern. Studien unter Verwendung partieller Gleichgewichtsmodelle legen nahe, dass Exporte differenzierter Produkte tendenziell in der Währung des Exporteurs fakturiert werden, während homogene Waren gewöhnlich in einer internationalen Währung, insbesondere dem US-Dollar, in Rechnung gestellt werden. Je differenzierter das Exportprodukt, desto geringer die Elastizität der Nachfrage – und je größer die Macht des Exporteurs, Rechnungen in eigener Währung zu stellen.

Laut diesen Modellen sollte die zunehmende Produktdifferenzierung im globalen Süden die Wettbewerbsfähigkeit steigern und die Verhandlungsmacht von Ländern zur Fakturierung in der Währung ihrer Wahl stärken. Doch was in der Theorie stimmt, spiegelt das tatsächliche Geschehen nicht wieder: Die Geburtsfehler des Systems und die Netzwerkeffekten innewohnende Macht haben die Ungleichgewichte verstetigt und die Währungsdiversifizierung untergraben. Das hat erhebliche Folgen für die Weltwirtschaft.

Im Laufe der Zeit haben diese strukturellen Ungleichgewichte die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen in den Entwicklungsländern verschärft, was zu einer Erhöhung des Wechselkursrisikos und zur Intensivierung der Auswirkungen globaler Schocks – insbesondere Währungsabwertungen und Kapitalflussvolatilität – geführt hat. Darüber hinaus erhalten diese Ungleichgewichte den Druck auf die Zahlungsbilanzen sowie „wahrnehmungsbedingte Risikoaufschläge“ aufrecht, die das Risiko im globalen Süden überbewerten und daher viele Länder von den internationalen Kapitalmärkten ausschließen oder mit lähmend hohen Zinsaufschlägen belasten.

Sanktionen und Sekundäreffekte

In den letzten Jahren hat der Einsatz des Dollars als Waffe zur Förderung der nationalen und geopolitischen Interessen der USA neue Sorgen hervorgerufen. In diesem neuen Zeitalter der Großmachtrivalität könnte der Missbrauch der dominanten Stellung des Dollars den Boden für ein geopolitisches Triffin-Dilemma bereiten und eine erhöhte Zahl von staatlichen Einrichtungen und Unternehmen veranlassen, sich gegen die Globalisierung von politischen Risiken und Beschlagnahme-Risiken abzusichern. Mehrere von den USA mit Sanktionen belegte Länder sind bereits dabei, den Dollaranteil ihres Handelsvolumens zu reduzieren. Und 2019 gründeten selbst die europäischen Verbündeten der USA eine Zweckgesellschaft (das Instrument zur Unterstützung von Handelsaktivitäten), um sicher mit dem mit Sanktionen belegten Iran Handel treiben zu können.

Seit 2018 ist der Anteil der in Dollar fakturierten Exporte Russlands in andere BRICS-Länder – Brasilien, Indien, China und Südafrika – von 85 % auf 36 % gesunken. Während sich die Berichterstattung in letzter Zeit auf die Wiederbelebung der alten, auf Rupien und Rubel lautenden bilateralen Handelsvereinbarung für Energie-Importe konzentrierte, sollte man erwähnen, dass die Verwendung lokaler Währungen im grenzüberschreitenden Handel zwischen BRICS-Ländern viel umfassender ist und in den letzten Jahren rapide zugenommen hat.

In ähnlicher Weise gewinnt die Verwendung lokaler Währungen im bilateralen Handel in Asien an Dynamik. Die dortigen Länder sind dabei, institutionelle Vereinbarungen zu schließen und eine Finanzinfrastruktur aufbauen, um ihre Abhängigkeit vom Dollar bei grenzüberschreitenden Zahlungen und Investitionen zu verringern. Zwischen 2016 und 2019 haben die Notenbanken Indonesiens, Malaysias, der Philippinen und Thailands LCS-Vereinbarungen geschlossen, die den Banken Lizenzen einräumen, direkte Handelspaare lokaler Währungen, Konten in lokalen Währungen und Sicherungsinstrumente anzubieten. Die Verwendung lokaler Währungen hat seitdem zugenommen, was die Anfälligkeit dieser Länder gegen globale Schocks reduziert.

Lesen Sie dazu: Südost-Asiaten warnen vor Instrumentalisierung des Dollar

Darüber hinaus gab es eine spürbare Zunahme der Währungsdiversifizierung insbesondere in Ost- und Südostasien, wo der Anteil der in Dollar fakturierten Exporte auf rund 80 % gefallen ist (2019). Von den frühen 2000er Jahren bis Mitte der 2010er Jahre waren es 90 %. Transaktionen in Schwellenmarktwährungen haben während der letzten beiden Jahrzehnte derart zugenommen, dass sie inzwischen über 25 % des weltweiten Devisenumsatzes repräsentieren. In 2001 waren es 7 %.

Der Trend hin zur Währungsdiversifizierung spiegelt sich in der sich wandelnden Dynamik an den Kapitalmärkten wider. Der Anteil an US-Staatanleihen in ausländischer Hand ist von 34 % im Jahr 2015 auf unter 24 % im Jahr 2021 gesunken. Das ist das niedrigste Niveau seit Jahrzehnten. Doch wurde dies ausgeglichen durch die steigende Nachfrage von US-Anlegern, insbesondere Pensionskassen und der Fed. Letztere hält inzwischen rund 20 % der US-Staatsanleihen – eine massive Zunahme gegenüber den lediglich 4 % des Jahres 2009.

Die Eskalation von Finanzsanktionen wird diesen Trend noch beschleunigen und eine weitere Abkehr vom Dollar auslösen. Immer mehr Länder nutzen inzwischen die Digitalisierung, um die Verwendung lokaler Währungen bei bilateralen Transaktionen auszuweiten und zusätzliche Sicherungsinstrumente zu entwickeln. Der damalige US-Finanzminister Jack Lew hatte 2016 auf dieses Risiko hingewiesen und gewarnt: „Je mehr wir die Einhaltung der US-Außenpolitik für die Nutzung des Dollars und unseres Finanzsystems zur Vorbedingung machen, desto mehr steigt mittelfristig die Gefahr einer Abwanderung in andere Währungen und Finanzsysteme.“

Liquiditätsschwankungen

Das „exorbitante Privileg“, das den hochentwickelten Volkswirtschaften durch Ausgabe globaler Reservewährungen zugestanden wird, hat die Verteilung der internationalen Liquidität verzerrt. Nachdem eine Handvoll Länder zu den wichtigsten Lieferanten internationaler Devisenreserven wurden, hat sich das Risiko von Liquiditätskrisen nahezu ausschließlich zu einem Problem der Entwicklungsländer im globalen Süden entwickelt, wo der Großteil der Nachtrage auftritt. Die meisten Länder ohne hohe Devisenreserven sind nicht in der Lage, den Wert ihrer Währungen aufrechtzuhalten, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten oder bei Investoren Vertrauen zu wecken. Dies hat sich kürzlich in Sri Lanka gezeigt, das seine Reserven aufgebraucht und letztlich den Zahlungsausfall erklärt hat. Im September 2022 erreichte seine Regierung eine Übereinkunft mit dem Internationalen Währungsfonds über einen Kredit über 2,9 Milliarden Dollar. Im Rahmen des ursprünglichen Vertrags von Bretton Woods sollten alle Handelsungleichgewichte auf der Defizitseite der Zahlungsbilanz gelöst werden (da es keine Begrenzung für Überschüsse gab), und der IWF hatte die Aufgabe, Länder mit ernsten Leistungsbilanzproblemen durch Erzwingung von Sparmaßnahmen zu stützen.

Die den Emittenten von Reservewährungen eingeräumten Privilegien erhöhen die mit den Ungleichheiten des Bretton-Woods-Systems verbundenen Kosten. Aufgrund der hohen Nachfrage nach auf Dollar lautenden Wertpapieren können die USA preiswerter Kredite aufnehmen, als das sonst der Fall wäre, und ohne Probleme Defizite fahren. Tatsächlich recycelt die übrige Welt kontinuierlich ihren Leistungsbilanzüberschuss und ihre überschüssigen Reserven, um Amerikas strukturelles Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Und anders als im globalen Süden führen die (internen und externen) US-Defizite nie zu einer Herabstufung der Bonität, größeren Risikoaufschlägen und untragbar erhöhten Kreditkosten und/oder Refinanzierungsrisiken.

Ähnliche Ungleichgewichte charakterisieren die Geldpolitik. Die von einer Handvoll systemisch wichtiger Notenbanken getroffenen Entscheidungen haben tendenziell weltweite Auswirkungen, insbesondere im Falle einer Straffung der Geldpolitik, die über Währungsabwertungen, höhere Importpreise (und damit steigende Inflation), erhöhte Kreditkosten, eine Verringerung der Kreditaufnahme insgesamt sowie Kapitalabflüsse Nachbeben in den Entwicklungsländern auslöst.

Laut dem Institute of International Finance übertrafen die Kapitalabflüsse ausländischer Portfolios aus Schwellenmärkten zwischen März 2022 – als die Fed begann, aggressiv ihren Leitzins zu erhöhen – und Juli 2022 48 Milliarden Dollar, was den Druck auf die Wechselkurse erhöhte. Die Währungen der meisten Entwicklungsländer mit Marktwirtschaften schwächten sich 2022 gegenüber dem US-Dollar stark ab. John Connally, US-Finanzminister unter Präsident Richard Nixon, hat es 1971 auf den Punkt gebracht: „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.“

Bemühungen zur Abmilderung dieses Problems wurden immer wieder durch historische Ungleichheiten zunichte gemacht. Eine derartige Bemühung betrifft die Sonderziehungsrechte des IWF – die von diesem 1969 in Erwartung künftiger Krisen eingerichtete internationale Reservewährung. Die Sonderziehungsrechte sollten Liquiditätsbeschränkungen abmildern; in der Praxis haben sie die Ungleichheiten verstärkt, indem sie bei jeder Emission die größten Anteile den hochentwickelten Volkswirtschaften zuwiesen, die sie nicht brauchen.

Sonderziehungsrechte werden den Mitgliedstaaten anteilig gemäß ihren Quoten (Stimmrechtsanteilen) zugeteilt, die ihrerseits die historischen Ungleichgewichte zum Zeitpunkt der Geburt des Systems widerspiegeln. Entsprechend haben 27 einkommensschwache Länder mit einer Gesamtbevölkerung von 611 Millionen Menschen weniger Quoten als Großbritannien mit einer Bevölkerung von lediglich 67 Millionen.

Neue Instrumente

Ein multilaterales Reservesystem, das auf Fortschritten bei der Digitalisierung aufbaut – darunter innovativen Technologien, die Reibungen abmildern und die Effizienz grenzübergreifender Zahlungs- und Abwicklungsmechanismen erhöhen –, könnte dazu beitragen, diese strukturellen Ungleichheiten zu überwinden und (durch Förderung eines Gleichgewichts im Welthandel) das Ausmaß der weltweiten gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte zu verringern. Es würde das internationale Währungssystem zudem sicherer machen und vom Dauerproblem eines Mangels an sicheren Vermögenswerten entlasten, der – häufig zur Unzeit – Kapitalabflüsse aus dem globalen Süden verursacht.

Doch in einer von einer „Polycrisis“ geprägten Welt erhöhter geopolitischer Spannungen und geldpolitischer Konkurrenz muss die Umstellung auf ein derartiges System angemessen gesteuert werden. Während des gegenwärtigen Zyklus globaler finanzieller Straffungen könnte eine systematische Neuzuweisung ungenutzer Sonderziehungsrechte an die Entwicklungsländer viel dazu beitragen, die mit Zahlungsbilanzdruck verbundenen Liquiditätsverknappungen zu verringern. Die Vorteile für die weltweite Finanzstabilität wären sowohl kurz- wie mittelfristig erheblich, weil die betreffenden Länder dadurch mehr Haushaltsspielräume hätten, um staatliche Schuldendienstkrisen abzuwenden.

In ähnlicher Weise würden die dauerhafte Ausweitung bilateraler Währungsswap-Vereinbarungen auf zusätzliche Entwicklungsländer die Liquiditätsbeschränkungen und das Risiko prozyklischer Abwertungen verringern, die ansonsten die Kreditkosten erhöhen und Länder von den Kapitalmärkten ausschließen würden. LCS-Vereinbarungen sollten im Zentrum aller Reformen zur Vertiefung der regionalen Integrationsprozesse und zum Aufbau robuster Institutionen für ein ausgewogenes multipolares Währungssystem stehen.

Indonesien hat vor kurzem seine LCS-Vereinbarungen auf andere ASEAN-Mitglieder sowie auf China und Japan ausgeweitet. Die Vereinbarung mit seinem größten Handelspartner China hat einen regionalen Interbankenmarkt für Rupie und Renminbi geschaffen und mehrere bedeutende Regionalbanken zu „bestellten Cross-Currency-Devisenhändlern“ bestimmt, um Exporteuren, Importeuren und Investoren Transaktionen in lokaler Währung zu erleichtern. Die Vereinbarung mit Japan – Indonesiens zweitgrößtem Handelspartner nach Exportvolumen – hat die Zahl der Transaktionen in lokaler Währung zwischen beiden Ländern deutlich erhöht. Laut jüngsten Daten der indonesischen Notenbank haben LCS-Vereinbarungen Indonesiens Dollar-Risiko 2021 um 2,53 Milliarden Dollar verringert und, laut Prognosen, die Nutzung der lokalen Währung im Handel und bei der Zahlungsabwicklung im vergangenen Jahr um 10 % gesteigert.

Eine weitere wichtige Entwicklung, die die laufenden Bemühungen beeinflussen könnte, betrifft die Multilateralisierung im Rahmen der Chiang-Mai-Initiative (CMIM) – eine Swap-Vereinbarung zwischen den ASEAN-Ländern, China, Japan und Südkorea. Jüngste Änderungen an der CMIM haben für die beteiligten Notenbanken, zusätzlich zu auf Dollar lautender Unterstützung, den Weg für Liquiditätshilfen in lokaler Währung bei Notfällen freigemacht. Die nach der ostasiatischen Finanzkrise als Mechanismus zur Bündelung der Devisenreserven der beteiligten Länder, zur Abwehr spekulativer Angriffe auf nationale Währungen sowie zur Abmilderung durch negative weltweite Schocks bedingter Risiken konzipierte CMIM hat sich inzwischen zu einem Instrument zur Diversifizierung von Devisenreserven entwickelt. Ihre Entwicklung zu studieren wäre für eine Reform des internationalen Finanzsystems nützlich.

Zusätzlich zur Befriedigung der wachsenden Nachfrage nach lokalen Währungen könnten diese hybriden Vereinbarungen die Finanzstabilität stärken, die regionale Wirtschafts- und Finanzintegration vertiefen und die Notwendigkeit verringern, dass Länder ihre Devisenreserven aufbrauchen.

Erfolgsvoraussetzungen

Die Nutzung von LCS-Vereinbarungen auf regionaler Ebene ist ein wichtiger Schritt zum Aufbau eines multipolaren Währungssystems. Doch ist ein Erfolg dabei von der Steigerung der Attraktivität dieser institutionellen Rahmenwerke etwa durch eine übergreifende Stärkung der Fundamente der gesamtwirtschaftlichen Stabilität abhängig. Jüngste Erfahrungen zeigen, dass stabile Wechselkurse zwischen den asiatischen Ländern als Katalysator der Diversifizierung von Abwicklungswährungen gewirkt haben. Gleichermaßen hilfreich wäre es, den Prozess der Vertiefung und regionalen Integration der Finanzmärkte unter anderem durch Aufbau von Anleihe-, Repo- und Derivatemärkten für lokale Währungen zur Absicherung gegen Währungsrisiken zu beschleunigen. Wichtig ist auch die Unterstützung des Wachstums der Märkte für bilaterale Direkttransaktionen, da dies nationale Devisenmärkte hervorbringen und die mit lokalen Währungen verbundenen Transaktionskosten sowie die Sicherungskosten durch Terminkontrakte verringern würde.

Schließlich gehören zu den Faktoren, die die Stellung des Dollars als bevorzugte Währung in Fremdwährungstransaktionen stützen, seine Liquidität, geringeren Transaktionskosten und der Mangel an entwickelten Märkten für regionale Währungspaare im globalen Süden. Auch wenn Transaktionen zwischen Währungspaaren von Schwellenmärkten einfacher werden, was die Notwendigkeit von „Verkehrswährungen“ reduziert, bleibt die Kluft zwischen den An- und Verkaufskursen lokaler Währungspaare in den Entwicklungsländern laut jüngsten Daten extrem hoch. In ganz Asien ist die Differenz zwischen Geld- und Briefkurs einer lokalen Währung doppelt so hoch wie beim Dollar, und anderswo in der sich entwickelnden Welt ist sie sogar noch höher. Eine Senkung dieser Kosten zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit würde die Entstehung eines multipolaren Währungssystems mit Sicherheit erleichtern.

Kurz- und mittelfristig könnte der IWF dazu beitragen, diese Swap-Linien und LCS-Vereinbarungen zu ermöglichen, indem er Bürgschaften zur Verringerung des Kontrahentenrisikos abgibt. Er könnte die Umstellung auf ein multipolares System zudem durch Stärkung des globalen finanziellen Sicherheitsnetzes unterstützen. Dies würde die Zunahme von Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Devisenreserven fördern und die Multilateralisierung von LCS-Vereinbarungen erleichtern. Und wenn dann mehr Länder Handel in eigener Währung treiben würden (und die Skalenerträge dieses Handels zunähmen), könnte die internationale Gemeinschaft Finanztechnologien nutzen, um die Umstellung auf politisch neutrale internationale Abwicklungsmedien reibungsloser zu gestalten.

Diese könnten die Form eines ressourcengestützten Ankers oder eines Währungskorbs wie der supranationalen Währung „Bancor“ haben (ein aus den französischen Wörtern „“banque“ und „or“ abgeleitetes Kunstwort), die von John Maynard Keynes Anfang der 1940er Jahre ins Spiel gebracht wurde. Keynes schwebte vor, dass sich der Bancor zu einem weltweit akzeptierten geldpolitischen Instrument entwickeln sollte, das die Effizienz der Abwicklung von Zahlungssalden erhöhen und das Risiko hartnäckiger gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte reduzieren würde. Um einen fairen Anpassungsaufwand zu erreichen, sollte der Bancor durch symmetrische Strafzahlungen zwischen Überschuss- und Defizitländern gestützt werden.

Darüber hinaus sollte man jüngste technologische Fortschritte und Finanzinnovationen nutzen, um bei Verwendung lokaler Währungen zur Abwicklung des bilateralen Handels, bei bilateralen und regionalen Swap-Vereinbarungen oder der Multilateralisierung von LCS-Vereinbarungen die Effizienz zu steigern und die Transaktionskosten zu senken. Speziell auf die Durchführung grenzübergreifender Zahlungen ausgelegte digitale Notenbankwährungen (CBDCs) sind vielversprechend und könnten sich zu einer effizienten Option entwickeln.

Schon heute sorgen technologiegestützte Finanzinnovationen für deutliche Verringerungen der Abwicklungsdauer – von 2-3 Tagen auf weniger als zehn Minuten. Und die Transaktionskosten sind von 6 % des Überweisungswertes auf weniger als 1 % gefallen. Zusätzlich zur Verkürzung der Zahlungskette und zur Senkung der Transaktionskosten können CBDCs Ineffizienzen und Rentenerträge in einem vernetzten Umfeld verringern und die Umstellung auf ein multipolares Währungssystem beschleunigen.

Die Herausforderung für die internationale Gemeinschaft besteht deshalb darin, sich auf einen gemeinsamen Rahmen für die Interoperabilität der CBDCs zu einigen, sodass mehrere Währungen auf einer einzigen Blockchain laufen können.

Erste Ergebnisse von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) durchgeführter Experimente sind ermutigend. Sie zeigen, dass die Notenbanken eine zugangsbeschränkte, auf vertrauenswürdige Vertragspartner begrenzte Distributed-Ledger-Technologie nutzen können, um ihre Wholesale-CBDCs (digitale Notenbankwährungen für Geschäftsbanken und andere Finanzinstitutionen) miteinander zu verknüpfen, was es Banken und Zahlungsanbietern ermöglichen würde, Transaktionen direkt in Notenbankgeld in mehreren Währungen durchzuführen.

Zugleich zeigt eine gemeinschaftliche empirische Studie des BIZ Innovation Hub und von zehn Notenbanken, dass derartige Vereinbarungen schnellere, preiswertere und transparentere grenzüberschreitende Zahlungen ermöglichen und komplexe globale Wertschöpfungsketten unterstützen. Im Verbund mit Hilfsmitteln wie kryptografischen Hashing-Techniken und Zero-Knowledge-Proofs, mit denen sich vertrauliche Informationen authentifizieren lassen, ohne sie aufzudecken oder zuzulassen, dass sie kompromittiert werden, könnten derartige Entwicklungen beim CBDC-Design sowohl für Cyber-Sicherheit als auch für Datenschutz sorgen. Dies würde diese sich herausbildenden digitalen Alternativen zu ernstzunehmenden Optionen für eine reibungslose Umstellung auf ein global integriertes multipolares Währungssystem machen.

Die Fortschritte bei digitalen Technologien haben diese Umstellung ermöglicht, indem sie Reibungen bei der Bezahlung im internationalen Handel abgemildert und die Resilienz inländischer Zahlungssysteme gestärkt haben. Die entscheidende Aufgabe für Notenbanker und Regulierungsbehörden besteht nun darin, ihre Zusammenarbeit zu verstärken, um den CBDCs innewohnende Risiken zu minimieren und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Entwicklung zu maximieren. Noch wichtiger ist, dass sie zusammenarbeiten, um einen weltweit anerkannten Regulierungsrahmen für CBDCs zu konzipieren und sicherzustellen, dass die zu erwartenden beträchtlichen Effizienzgewinne nicht durch Fragmentierungsrisiken untergraben werden.

Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel in Bali betont diesen Punkt. Sie stellt die Vorteile einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit heraus, nicht zuletzt die Effizienzgewinne, die von einem durch eine robuste digitale und Zahlungsinfrastruktur gestützten Währungs- und Finanzsystem ausgehen würden. Um als Erfolg zu zählen, müssen alle neuen Vereinbarungen als ein Katalysator für die Diversifizierung von Reservewährungen wirken, um die grenzübergreifende Handels- und Investitionstätigkeit anzukurbeln und den Prozess der globalen Wirtschafts- und Finanzintegration zu vertiefen.

Ein verstärktes Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft zur Demokratisierung des internationalen Finanzsystems ist von entscheidender Bedeutung und sollte während der G20-Präsidentschaft Indiens eine Spitzenpriorität bleiben. Insbesondere in der Übergangsphase auf dem Weg hin zu einem stabilen internationalen Rahmenwerk, das die Interoperabilität zwischen CBDCs gewährleistet, müssen die Entscheidungsträger die Datenverfügbarkeit in Bezug auf die Fakturierung auf regionaler und globaler Ebene erhöhen. Dies würde die Währungsauswahl der Unternehmen zur Handels- und Investitionstätigkeit beeinflussen und die Multilateralisierung von LCS-Vereinbarungen weiter ausweiten.

Und schließlich muss im Kern jedes Reformbemühens auch eine Verbesserung des verzerrenden, den Schuldenüberhang des globalen Südens verschärfenden Bonitätsbewertungssystems stehen. Die internationale Gemeinschaft sollte auf ein System drängen, das transparenter, in sich schlüssiger, entwicklungsorientierter und fairer bei der Ausweitung des Zugangs zu globalen Finanzressourcen ist – insbesondere dem zur Diversifizierung von Volkswirtschaften und zur Stärkung ihrer Resilienz erforderlichen geduldigen Kapital. Das geringe Maß an Diversifizierung in vielen Entwicklungsländern schreckt vor langfristigen Finanzierungen ab und ist eine Risikoquelle, denn es macht die ungesunde Korrelation zwischen Wachstums- und Rohstoffpreiszyklen zum Dauerzustand.

Handhabung der Multipolarität

Angesichts des unwiderruflichen Wandels hin zu größerer Multipolarität ist eine Neuordnung der Steuerung der wichtigen internationalen Finanzinstitutionen, die den neuen Realitäten Rechnung trägt, von entscheidender Bedeutung, um deren Glaubwürdigkeit und Legitimität wiederherzustellen. Im Falle des IWF und der Weltbank – den wichtigsten Säulen des Bretton-Woods-Systems – bedeutet dies eine Änderung der Mechanismen zur Quotenzuteilung und die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen, um deren Mitglieder auf robuste und zügige Weise zu unterstützen.

Diese Institutionen sollten sich zudem bemühen, die Multipolarität durch eine verbesserte Koordination zwischen verschiedenen Reservewährungen und durch Förderung der Bemühungen um CBDC-Interoperabilität zu unterstützen. Was den IWF angeht, so würde die Unterstützung dieser Umstellung durch Risikobewertungen in Echtzeit und die Gewichtung der aktuellen Wechselkurse das Risiko destabilisierender spekulativer Episoden verringern und letztlich die Rolle des IWF als globaler Kreditgeber letzter Instanz stärken.

Die Welt hat sich seit 1944 drastisch verändert, und dies muss sich in ihren zentralen Institutionen widerspiegeln. Die Demokratisierung der Ausgabe von Reservewährungen würde viel dazu beitragen, das Vertrauen in das internationale Finanzsystem wiederherzustellen. Nach der Dekolonialisierungswelle im Gefolge des Zweiten Weltkriegs ist eine globale Initiative zur Dekolonisierung dieses Systems längst überfällig – insbesondere in einer zunehmend multipolaren Welt.

*****

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Hippolyte Fofack ist Chefökonom und Forschungsdirektor der African Export-Import Bank (Afreximbank).

Copyright: Project Syndicate, 2023.

www.project-syndicate.org


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