Finanzen

Ministeriumsbericht: Deutsche Staatsfinanzen nicht zukunftsfest

Deutschland ist aus finanzieller Sicht noch nicht gut auf eine alternde Bevölkerung vorbereitet. Das zeigt ein Bericht aus dem Finanzministerium.
14.03.2024 11:00
Aktualisiert: 14.03.2024 11:30
Lesezeit: 2 min

Ohne politisches Gegensteuern drohen die deutschen Staatsfinanzen nach Expertenmeinung langfristig aus dem Ruder zu laufen. Deutschland sei finanziell wieder schlechter auf das Altern der Gesellschaft vorbereitet, heißt es im aktuellen Tragfähigkeitsbericht des Finanzministeriums, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Im Haus von Minister Christian Lindner (FDP) versteht man das als Appell für tiefgreifende strukturelle Reformen.

Der Tragfähigkeitsbericht gilt als Frühwarnsystem für die Staatsfinanzen. Er zeigt, welche Folgen die Alterung der Gesellschaft für die Staatsfinanzen hat - weitere Belastungen wie der Klimawandel und mögliche künftige Krisen werden dabei außen vor gelassen. Der Bericht wird auf Grundlage eines Gutachtens externer Wissenschaftler einmal pro Legislaturperiode vom Finanzministerium erstellt. Die Modellrechnungen sind rein hypothetisch und gehen davon aus, dass sich die Politik nicht ändert.

Am 20. März soll der neue Bericht dem Kabinett vorgelegt werden. Er geht von einer deutlich alternden Bevölkerung aus. Heute ist jede fünfte Person in Deutschland älter als 66 Jahre, im Jahr 2070 könnte es fast jede dritte sein.

„Tragfähigkeitslücke“ ermittelt

Das stellt den Staat vor erhebliche finanzielle Probleme: Weil weniger Bürger arbeiten, nimmt er weniger Steuern ein. Gleiches gilt für die Beiträge der Sozialversicherungen. Gleichzeitig erhalten aber mehr Bürger Leistungen zum Beispiel aus der Renten- und Pflegeversicherung. Die demografieabhängigen Ausgaben zum Beispiel für Rente, Gesundheit, Pflege und Familie könnten laut Bericht im besten Szenario von aktuell 27,3 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 30,8 Prozent steigen - unter ungünstigen Bedingungen könnten sie sogar auf 36,1 Prozent klettern.

Die für das Jahr 2070 ermittelte „Tragfähigkeitslücke“ beträgt unter günstigen Annahmen 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung - bei einem pessimistischen Szenario 4,7 Prozent. Gemessen am aktuellen Bruttoinlandsprodukt müsste der Staat also zwischen 66 und gut 194 Milliarden Euro weniger ausgeben oder mehr einnehmen. Dabei setzen die Experten voraus, dass Deutschland beim Schuldenstand die Maastricht-Quote von 60 Prozent des BIP anpeilt.

Lindner: Über längere Lebensarbeitszeit nachdenken

Die Einhaltung der Schuldenbremse nicht vorausgesetzt, könnte die Schuldenquote bis zum Jahr 2070 der Projektion zufolge im ungünstigsten Szenario bis auf 345 Prozent des BIP steigen, im günstigen Szenario auf 140 Prozent. „Die Einhaltung der Schuldenregel würde über die Reduzierung der Schuldenstandsquote zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen beitragen“, heißt es im Bericht.

Im Finanzministerium sieht man die Projektion als Bestätigung: Eine nachhaltige Entwicklung der Staatsfinanzen sei nur mit strukturellen Veränderungen möglich. Die Finanzierung der gesetzlichen Rente, wie von der Ampel-Koalition geplant mit dem „Generationenkapital“ auf ein drittes Standbein, den Kapitalmarkt, zu stellen, sei dabei nur ein erster Schritt. Lindner hatte zuletzt auch dafür geworben, über eine längere Lebensarbeitszeit nachzudenken. Außerdem soll das Demografie-Problem durch die Zuwanderung von Fachkräften gemildert werden.

Lindner setzt außerdem auf ein besseres Wirtschaftswachstum. Er hat ein Sofortprogramm angekündigt, das eine „Wirtschaftswende“ einleiten und die Standortfaktoren der deutschen Wirtschaft verbessern soll. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Heuchelei als Strategie: Warum ausgerechnet Trumps Freunde den größten Beitrag zu Russlands Kriegskasse leisten
01.12.2025

Donald Trump wirft Europa vor, Putins Krieg gegen die Ukraine mitzufinanzieren. Doch die Fakten zeigen etwas anderes: Nicht Brüssel oder...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ostdeutschland setzt auf Wasserstoff – Länder planen gemeinsames Versorgungsnetz
01.12.2025

Die ostdeutschen Bundesländer wollen gemeinsam ein Wasserstoff-Verteilnetz aufbauen, um Kommunen, Industrie und Gewerbe besser mit...

DWN
Finanzen
Finanzen Neue Studie: Grüne Fonds unterscheiden sich nur minimal von traditionellen Produkten
01.12.2025

Viele Anleger erwarten, dass nachhaltige Fonds klare Alternativen zu traditionellen Produkten bieten und Kapital in verantwortungsvollere...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis-Prognose: Experten sehen weiterhin Potenzial am Markt
30.11.2025

Die Entwicklung am Goldmarkt sorgt derzeit für besondere Aufmerksamkeit, da viele Anleger Orientierung in einem zunehmend unsicheren...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Start-ups: Talente ziehen lieber in die USA statt nach Europa
30.11.2025

Immer mehr europäische Start-ups verlagern ihre Aktivitäten in die USA, um dort leichter an Risikokapital zu gelangen. Kann Europa durch...

DWN
Politik
Politik Militärischer Schengen-Raum: Wie die EU die Truppenmobilität beschleunigen will
30.11.2025

Die sicherheitspolitischen Spannungen in Europa erhöhen den Druck auf die EU, ihre militärische Handlungsfähigkeit neu auszurichten. Wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Digital Champions: Das sind die neuen deutschen Tech-Vorbilder
30.11.2025

Von Leipzig bis Heidelberg entsteht eine Generation von Startups, die KI-Forschung in Markterfolg übersetzt. Digitale Champions wie Aleph...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Blase durch steigende Investitionen: Wie EU und deutsche Wirtschaft betroffen sind
30.11.2025

Die rasanten Investitionen in künstliche Intelligenz lassen Experten vor einer möglichen KI-Blase warnen. Droht diese Entwicklung, die...