Zur Einstimmung erst einmal ein Schluck aus der Mineralwasserflasche – erst später soll es auch um die Kehrseite der Medaille gehen, die drohenden Konflikte, Krisen und Kriege, die wegen Wasser geführt werden.
Das Geschäft mit Wasser
Erzählt sei die Geschichte von einem ehrgeizigen jungen Mann, der im Berliner „Hotel Palace“ vor über zehn Jahren auf die Idee kam, seinen Restaurant-Gästen eine Auswahl unterschiedlicher Sprudelwasser zu kredenzen – Naturell, Medium, perlend, laut oder auch leise, wie es heutzutage vielseitig auf den Etiketten der Abfüllbetriebe heißt.
Martin Riese heißt er – seine Karriere erlaubt es, ihn heute als den führenden Wasser-Sommelier der Welt zu bezeichnen, als einen Feinsensoriker nicht etwa für die besten Weinreben und Tropfen dieser Welt, sondern um die distinguierten Unterschiede von Trinkwasser zu schmecken. Als Connaisseur verfügt der „Wasserpapst“, denn Riese versucht tatsächlich Verbraucher zu bekehren, über eine vergleichbare Klaviatur und Sprachfindigkeit, die Nuancen in der Flasche zu beschreiben, den Natriumgehalt zu bestimmen, die Spritzigkeit auf der Zunge perlen zu lassen.
Riese muss trotzdem schelmisch schmunzeln über die Bezeichnung Sommelier. Er hat diese Berufung quasi erst begründet – aus Zufall mehr denn als Vision. Für ihn begann alles 2007 mit Berichten über Promis wie Madonna und Mariah Carey, die sich angeblich stets nur Voss, Fiji oder andere Spezialwässerchen servieren lassen. „Ich fand das irgendwie witzig“, sagt Riese und erweiterte im Hotel-Restaurant „First Floor“ die bereits umfangreiche Wasserkarte von 14 auf 40 erlesene Tropfen. Die Hauptstadtpresse griff das Thema dankbar auf, die Sache sprach sich schnell herum, der Trendberuf des Wasser-Sommeliers war geboren. „Inzwischen gibt es für unsere Branche sogar einen Berufsverband“, sagt Riese lachend. Er hat in Los Angeles selbst eine Akademie gegründet, in Zukunft unterrichtet er persönlich Water-Masterclasses.
Rieses Ratio ist ganz einfach: Wer teuren und guten Wein zu schätzen weiß, sollte sein Vergnügen nicht mit fluoriertem, gechlortem oder gar geklärtem Leitungswasser beeinträchtigen. „Hahnenwasser“ lautet sinnigerweise der Schweizer Begriff für frisch gezapften Sprudel. Aber auch in Deutschland ist längst nicht jedes Trinkwasser tatsächlich gesundes Mineralwasser aus einer naturgegebenen Quelle.
Selbst in Nobel-Restaurants werden Gästen mitunter Flaschen auf den Tisch gestellt, die in der Küche erst aus dem Wasserhahn gezapft werden, womöglich mit einem Brita-Filter behandelt und purifiziert und schließlich mit Kohlendioxid-Patronen gesprudelt wurden. Geschüttelt, nicht gerührt!
Als Wasser-Sommelier hat Martin Riese natürlich weit bessere Optionen im Angebot – schon damals im „Palace“, zwischenzeitlich in allerlei gehobenen Restaurants von Los Angeles (wie Joachim Splichals berühmten „Patina“ unter dem Opernhaus in der Walt-Disney-Hall) und mittlerweile in den USA mit seinem eigenen Online-Wasservertrieb. Denn in Amerika, wohin er mit seiner jetzigen Ehefrau Nancy ausgewandert ist, lässt sich mit Wasser und der wohlfeilen Expertise, gutes von schlechtem Wasser unterscheiden zu können, mittlerweile ganz ordentlich Geld verdienen.
Wasser: Lifestyle-Produkt, Fetisch und überlebenswichtig
Riese ist bekannt wie ein bunter Hund. Er ist der „Water Guy“, den die Welt aus der TV-Serie „Die Simpsons“ kennt. Ja, genau der mit der markanten Brille und dem nervigen „Thick German accent“ – beides seine Markenzeichen, wenn er bei den Star-Moderatoren Conan O’Brien oder Jimmy Fallon und deren Studiogästen leckeres Wasser verkostet und damit gewissermaßen zur Volksgesundheit der Amerikaner beiträgt. Anfangs haben sich alle noch amüsiert über den verrückten Deutschen. Geld bezahlen für kühles Nass? In Amerika, wo Wassergläser mit Eiswürfeln schon bei Ausgabe der Speisekarte auf den Tisch gestellt werden und das Eiswasser gleichermaßen zu Bordeaux oder „Two-bucks-Chuck“, dem beliebten Billigfusel vom Aldi-Discounter Trader Joe‘s, serviert wird? In Amerika ist Wasser das Einzige überhaupt, was es kostenlos gibt.
Anders als in Deutschland, wo Mineralwasser aus Hunderten von regionalen und oft traditionsreichen Quellen in Glasflaschen abgefüllt werden, handelt es sich in amerikanischen Restaurants schlicht nur um eisgekühltes Leitungswasser, zumeist in großen Bottichen herangekarrt. Wobei das nicht immer so war: In New York und San Francisco gibt es auch heute noch hie und da einen alteingesessenen „Seltzerman“, der seinen Sprudel per Truck anliefert. In Supermärkten beschränkt sich die Auswahl auf eine Handvoll Sorten: Im Westen der USA gibt es zumeist Arrow Springs-Quellwasser, das in Plastikflaschen abgefüllt wird. Im Osten Poland Spring aus dem Bundesstaat Maine.
Inzwischen kauft man bei US-Discountern wie Safeway aber auch die weltweit vertriebenen kohlensäurehaltigen Sorten von Perrier und San Pellegrino – und durchaus auch Gerolsteiner aus Deutschland. Das war ein Lern-Prozess. So wie damals, als Riese zufällig einen Investor traf, um nach eigenen Vorstellungen Quellwasser aus der Sierra Nevada Kaliforniens nach persönlicher Geheimformel mit Mineralien zu verfeinern – für ein trendy Lifestyle-Produkt.
„Die besten Geschäftsideen sind meistens die einfachsten“, sagte Jon Gluck auf der Terrasse des Restaurants „Barney Greengrass“ und präsentierte Rieses Kreation. Beide hatten hoch oben über dem Wilshire Boulevard zur Verkostung ihres neuen Luxus-Getränks eingeladen – in Anspielung an die Postleitzahl von Beverly Hills heißt es schlicht „9OH2O“. Ein Wässerchen für die Rich and Famous. Der erste Schluck samtweich, stilles Wasser mit süßlichem Abgang.
Man ahnt sofort, wer noch heute die Zielgruppe ist: Big shots, die sich wie Hollywood-Stars ihren erlesenen Geschmack was kosten lassen. Zwischenzeitlich ließ auch mancher Scheich das Wasser kistenweise importieren. In Sachen Mineralwasser gelangen Riese und seinem Geldgeber ein Coup wie beim Film Beverly Hills Cop mit Eddie Murphy. Gluck hatte seinem Wasser extra noch einen Geschenkkarton verpasst. Darin enthalten, in Klarsichtfolie verpackt und mit Schleifchen versehen wie Champagner, eine oktogonale, schwere Glasflasche mit schwarzem Etikett. Nummeriert – ein Sammlerstück gewissermaßen. „Voilá! Das erste Designerwasser der Welt“, so Gluck stolz.
Heute lacht Martin Riese nur noch über diese Eskapade. Ein Massenprodukt sei „9OH2O“ niemals geworden, eher ein Fetisch. Heute unterstützt er als gebürtiger Norddeutscher lieber gemeinnützige Projekte wie das Hamburger Label „Viva con Aqua“, das von Sankt Pauli aus den hohen Norden Deutschlands mit Sprudel versorgt, um weltweit Brunnen zu bauen mit den Erlösen des Handels. Geschmacksache zwar, aber politically correct!
Ein knappes Gut
Laut des aktuellen Unesco-Weltwasserberichts haben 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. „Und das Problem kommt näher und betrifft nicht nur Entwicklungsländer“, warnt der Wasser-Experte Thomas Wollstein vom deutschen Ingenieur-Verband VDI. Wasser ist „eine knappe Ressource – auch, wenn wir es jeden Tag in hohem Maße verbrauchen“. Als „Viva con Aqua“ vor einigen Jahren zum Trend der Generation X wurde und zumindest im schnieken Hamburg reüssierte, setzten tatsächlich in Europa erstmals Debatten über „Wasser als Grundrecht“ ein. Prompt geriet der Schweizer Lebensmittel-Konzern Nestlé in den Fokus der öffentlichen Kritik – als größter kommerzieller Wasser-Dealer weltweit.
Die Vorstellung, wie Big Business Milliarden-Geschäfte mit Trinkwasser macht auf allen Kontinenten und an Monopolen arbeite, brachte Aktivisten auf die Barrikaden. Inzwischen hat sich Nestlé dem Druck gebeugt und sich wenigstens von seinen Beteiligungen an kleinen Regional-Brunnen getrennt. Womit wir wieder in der Realität angekommen wären: Nicht jeder hat die Möglichkeit, sich an kühlem Wasser zu laben. Nestlé weiß das – und die Bürger allmählich auch fast alle.
„Die Konflikte kommen näher.“ Laut Thomas Wollstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter von der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, stehe etwa Spanien bereits in vielen Regionen vor dem Zwiespalt, die Bevölkerung mit Trinkwasser versorgen zu müssen, gleichzeitig aber einen einträglichen, nur leider sehr durstigen Gemüseanbau mit Wasser versorgen zu wollen. „Eine Tomate oder Erdbeere bestehen zu über 90 Prozent aus Wasser, das in Spanien nicht so üppig vorhanden ist wie bei uns.“ Und von dort wird Obst und Gemüse aufwendig nach Deutschland exportiert.
Industrie und Landwirtschaft im industriellen Maßstab, vor allem Massentierhaltung und Fleischerzeugung, verbrauchen so viel Trinkwasser, das sie von den Wasserwerken günstig und ohne große Probleme beziehen. Die Frage ist, wie lange noch. Wann bekommt auch Wasser ein Preisschild? „Die Wasserversorger haben bereits Szenarien entwickelt, in welcher Reihenfolge sie wem den Hahn zudrehen wollen“, so Wollsteins Analyse der Folgen.
Verteilungskämpfe um Wasser
Die Verteilungskämpfe haben inzwischen längst auch um den wichtigsten Rohstoff der Welt begonnen. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, wie man im Nahen Osten sieht, wo etwa Jordan-Wasser seit Jahrzehnten unter Verwendung ausgetüftelter Meliorations-Techniken für eine extensive Landwirtschaft umgeleitet wird, wie es sie so wohl nirgends sonst gibt. Der Pegel am Toten Meer in der Negev-Wüste geht allmählich der Nulllinie entgegen – eine der Hauptursachen des politischen Dramas zwischen Israel, Palästina und seinen Nachbarn.
Nicht anders als bei Lithium, Gold und seltenen Erden wird überall auf dem Planeten heutzutage exploriert und nach allem gebohrt, was die Tiefen der Erdschicht so hergeben. Auch nach Wasser wird gesucht – nicht mehr nur mit Wünschel-Ruten, sondern längst mit Bohrtürmen. Denn: Wenn sage und schreibe 70 Prozent der Erdoberfläche (zu 1,4 Billionen Kubikmeter) aus Wasser besteht, gibt es doch lediglich 36 Millionen Kubikmeter Frischwasser für die gesamte Menschheit – gerade mal 2,5 Prozent also, das die Bevölkerungen dort wirklich gefahrlos trinken können.
Davon sind immerhin noch gut Zweidrittel in Form von Eis und Schnee in Grönland und der Antarktis gebunden. Der eigentliche Schatz, den wir täglich anzapfen, ist das Grundwasser – 30 Prozent unserer Trinkwasser-Reserven. Darauf weist die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover hin. Deutschland schöpft seinen Bedarf zu „70 Prozent aus dem Grundwasser“, Österreich, Litauen und Dänemark sogar zu 100 Prozent.
Es sieht bei uns also noch ganz gut aus, selbst wenn die Umweltaktivisten im Wald hinter dem Tesla-Automobil-Werk in Grünheide bei Berlin befürchten, die Mark Brandenburg trockne bald aus. Der Winter hat gezeigt, wie die staubigen Böden des vergangenen Sommers sich auch schnell wieder erholen können. Dennoch: Jeder kann sich ausmalen, an wie vielen Orten der Welt das nicht so selbstverständlich ist mit dem wieder Auffüllen – dem Replenishment, wie es Explorations-Unternehmen nennen.
Die BGR berät die Bundesregierung dabei, die Ressource Nummer 1 zu kartographieren, Konzepte für schonenden Umgang mit Wasser weltweit zu befördern und mögliche Krisen wegen Wasserknappheit zu entschärfen. Seit einigen Jahren gibt es selbst für Deutschland eine „Nationale Wasserstrategie“, die mit Hinblick auf den Klimawandel Mittel und Wege aufzeigt, wie Wasser in unserem Land umverteilt werden könnte; bei etwaigen Dürren schon bald.
Das geht so weit, dass überlegt wird, per Drainagen und Bewässerungstechnik Elbhochwasser etwa in die Lausitz umzuleiten, wenn es nötig wird. Und das könnte schon bald sein, wenn der gewohnte Wasserüberschuss aus dem Braunkohlebergbau nicht mehr über die Spree durch Brandenburg abfließt, sagen die Experten im BGR, die dem Wirtschaftsministerium zuarbeiten. Dann könnte es auch auf deutschen Landkarten bald dunkelrote Klimastress-Zonen selbst bei Berlin geben, wie wir sie sonst nur aus Nordafrika, dem Nahen Osten bis hin nach Indien kennen.
Lebenselixier und Luxusprodukt
Womit wir nun den Bogen geschlagen hätten zu den schmelzenden Polkappen und sich verändernden Wetterlagen. Wenn das so weitergeht, wird auch Svalbarði womöglich bald ein schnödes Massenprodukt. Noch nicht probiert? Es handelt sich, werbewirksam als Rarität angepriesen, um das nördlichste abgefüllte Trinkwasser der Welt. Als Quelle dienen geschmolzene Eisberge, die in den Fjorden um Svalbard, nur 1.000 Kilometer entfernt vom Nordpol, herumschwimmen. Das Ausgangseis kann 4.000 Jahre alt sein und erfordert „keine chemische Behandlung“.
Es heißt, für das Luxuswasser würden sowieso „nur Eisberge angezapft, die ohnehin in den nächsten Jahren abschmelzen“. Zynisch, nicht wahr? Mit jedem Kauf werde immerhin der Anstieg des Meeresspiegels abgebremst!
Die Wertschätzung von Wasser wird es erforderlich machen, auch im alltäglichen Umgang und beim Konsum mit Trinkwasser in Zukunft verantwortungsvoll und bewusst zu agieren. Denn Widersprüche sind ja manchmal ganz offenkundig. Martin Riese verweist beispielsweise wegen der Feinpartikel auf das Problem der Flaschen. „Plastik kommt daher eigentlich nicht in Frage“, sagt Riese. Aber selbst Fiji-Water, ein grundsätzlich gutes Lebensmittel, wird aus Produktions- und Logistikgründen nur in Plastikgefäßen vertrieben – in den USA ist es auch an Tankstellen erhältlich.
Derlei Wissen und Erkenntnisse versucht Riese inzwischen über Social Media zu verbreiten. „Water is not just water“, lautet der Wahlspruch des aus Aventoft an der Schleswig-Holsteinischen Grenze stammenden Wasser-Sommeliers. In seiner Garage in Van Nuys hortet er übrigens eine der weltwelt größten Sammlungen an Wasserflaschen. „Must be something in the water“, heißt es in den USA, wenn jemand einen echten Spleen hat. „Stay thirsty“, sagt er noch lachend am Telefon. Riese ist halt der ulkige „Water Guy“.