Technologie

Die Illusion der Green-Tech-Wunder: Warum die Klimarettung nicht nur von Hightech abhängt

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat großzügige grüne Subventionen in den Inflation Reduction Act aufgenommen, der auf den Aufbau einer „von amerikanischen Innovatoren angetriebenen klimafreundlichen Wirtschaft“ zielt.
Autor
avtor
19.10.2024 09:04
Lesezeit: 3 min
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Der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank und ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat der EU-Kommission einen einflussreichen Bericht vorgelegt, in dem er argumentiert, dass die Zukunft der europäischen Volkswirtschaft von einer dualen Wettbewerbs- und Dekarbonisierungsstrategie abhänge. Und China hat hohe Investitionen getätigt, um die „neuen drei“ Industrien – Solar-Photovoltaik, Lithium-Ionen-Batterien und Elektrofahrzeuge – zu Exportmotoren zu machen.

Die Green-Tech-Träume der Politik: Ein globaler Überblick

Die Details unterscheiden sich, aber der Grundgedanke ist ein und derselbe: Die Förderung grüner Hightech-Industrien ist nicht nur der Schlüssel zu einer nachhaltigen, sondern auch zu einer wohlhabenden Zukunft. Aber wie glaubwürdig ist diese Logik? Kann man eine große Volkswirtschaft wie die der USA, der Europäischen Union oder Chinas wirklich auf einem Fundament grüner Technologien aufbauen?

Wahrscheinlich nicht.

Energie im Wirtschaftssystem: Geringer Anteil, große Erwartungen?

Zunächst einmal macht Energie nur einen kleinen Teil dieser Volkswirtschaften aus, und in den meisten Branchen entfallen nur 2-5 % der Gesamtkosten auf die Energie. Natürlich liegt dieser Anteil in bestimmten energieintensiven Sektoren – wie Zement, Eisen und Stahl, oder Baumaterialien – mit über 10 % viel höher. Aber diese Sektoren dürften zu einer von grüner Technologie angetriebenen Wirtschaft nicht viel beitragen.

Die Grenzen der Innovation: Bekannte Technologien als Haupttreiber

Noch wichtiger ist, dass für die ökologogische Wende viel weniger neue Technologien erforderlich sind als allgemein angenommen. Den Großteil der kohlenstofffreien Energie, die die Welt benötigt, werden für die absehbare Zukunft bestehende Technologien liefern: Solarzellen, Windräder und Batterien. Solarzellen gibt es schon seit fast einem halben Jahrhundert, obwohl die ersten Versionen so sperrig und teuer waren, dass sie nur für Satelliten verwendet wurden. Windräder gibt es sogar noch länger. Selbst Lithium-Ionen-Batterien sind seit mehr als 30 Jahren auf dem Markt.

Zwar gibt es Raum für weitere Forschung und Entwicklung; es lassen sich neue Wege zur Herstellung dieser Güter finden. Aber die Auswirkungen weiterer Fortschritte bei diesen Technologien werden begrenzt sein. So ist es zwar – u. a. durch Einsatz künstlicher Intelligenz – möglich, das „intelligente“ Netzmanagement zu verbessern, doch sind Verluste in den Strom- und Übertragungsnetzen weitgehend unvermeidbar. Letztlich hängt die rasche Einführung erneuerbarer Energien nicht von bahnbrechenden Innovationen ab, sondern von der langweiligen Aufgabe, die Kostenkurve bekannter Technologien zu senken.

Massenproduktion und fallende Preise: Ein Teufelskreis?

Ein weiterer Grund, warum es schwierig wäre, auf dem Fundament grüner Technologien eine starke Wirtschaft aufzubauen, ist, dass sich Festkörperprodukte wie Solarmodule und Batterien am besten für die Massenproduktion eignen. Das bedeutet: Sie erfordern hohe Vorabinvestitionen, und mit zunehmender Produktion sinken sowohl Kosten als auch Preise. Gemessen an der Erzeugungskapazität stiegen die chinesischen Exporte von Solarmodulen im vergangenen Jahr um 33 %; wertmäßig jedoch gingen sie leicht zurück, da die Stückpreise um ein Drittel sanken. Ähnlich dürfte es sich bei Batterien verhalten.

Mit anderen Worten: Ein Land, das eine führende Rolle im Bereich grüner Technologien anstrebt, muss zur Erhöhung seiner Produktionskapazitäten und zur Herstellung von Waren, deren Preise zunehmend sinken, womöglich immer größere Summen ausgeben. China mit seinem großen Sparüberschuss kann sich derartige Investitionen leisten – und die ganze Welt profitiert, wenn zwei Solarmodulfabriken gebaut werden, wo eigentlich eine ausreichen würde (vor allem, wenn die Alternative weitere Geisterstädte sind) –, aber die USA und die EU können das nicht.

Selbst für China ist unklar, inwieweit sich die steigenden Exporte der „neuen drei“ Industrien in einem höheren BIP-Wachstum niedergeschlagen haben. Sie produzieren zwar Waren mit deutlich höherem Hightech-Anteil als die „alten drei“ Exportmotoren – Haushaltsgeräte, Möbel und Kleidung –, doch arbeiten sie derzeit meist mit Verlust. Und bei Elektroautos kommt es viel mehr auf Modell und Marke an (die beide nichts mit grüner Technologie zu tun haben) als auf die Leistung, und hier haben die chinesischen Hersteller keinen natürlichen Vorteil. Und ohnehin sind Elektroautos kaum als von den Batterien, von denen sie abhängen, separate Branche zu betrachten.

„Weiche Kosten“ und reale Herausforderungen: Der Fall der Gebäudedämmung

Ein Haupthindernis für die rasche Verbreitung erneuerbarer Energien sind die hartnäckigen „weichen Kosten“ – wie Genehmigungs-, Planungs- und Marketingkosten –, die im Allgemeinen viel langsamer sinken als die Hardwarekosten. Beim Ausbau der Solarenergie zum Beispiel sind diese Kosten laut Schätzungen mindestens so hoch wie die Kosten der Solarzellen selbst.

Eines der kostspieligsten Elemente der Klimawende wird die Gebäudedämmung sein. In der EU macht diese Aufgabe, für die ausschließlich bekannte Materialien, qualifizierte Handwerker und eine effiziente Planung erforderlich sind, oft einen großen Teil des geschätzten Gesamtinvestitionsbedarfs aus. Die Länder, die in diesem Bereich am schnellsten vorankommen, werden diejenigen sein, die über besser ausgebildete Bauarbeiter und weniger schwerfällige Hausbau- und Planungsverfahren verfügen – und nicht diejenigen, die die meisten Hightech-Geräte herstellen.

Was wirklich zählt: Dekarbonisierung ohne Hightech-Illusionen

Die Dekarbonisierung des Energiesektors und in der Folge der gesamten Wirtschaft ist eine ebenso dringende wie gewaltige Aufgabe. Statt sich jedoch darauf zu konzentrieren, ein „grüner Technologieführer“ zu werden – eine Strategie, die nicht unbedingt zu wirtschaftlicher Dynamik führt –, sollten die politischen Entscheidungsträger ihre Aufmerksamkeit auf die oft unspektakulären Aktivitäten lenken, die den Fortschritt tatsächlich beschleunigen werden.

Copyright: Project Syndicate, 2024.

www.project-syndicate.org

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Daniel Gros

                                                                            ***

Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.

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