Europa war einst der Nabel der pharmazeutischen Forschung – heute droht dem Kontinent die Bedeutungslosigkeit. Jahrzehntelang wurden hier Durchbrüche bei der Behandlung von Krebs, Infektionskrankheiten und neurologischen Leiden erzielt. Doch während sich in den Laboren Europas früher die Zukunft der Medizin abspielte, verlagert sich die Innovationsdynamik zunehmend in die USA und nach Asien. Der Anteil Europas an globalen klinischen Studien sinkt dramatisch. Die Folgen: Abhängigkeit, Innovationslücke, wirtschaftlicher Abstieg.
Klinische Studien: Das stille Rückgrat der medizinischen Zukunft
Klinische Studien sind mehr als ein Zwischenschritt in der Medikamentenentwicklung. Sie bedeuten frühzeitigen Zugang zu lebensrettenden Therapien – oft viele Jahre vor der Marktzulassung. Für Patienten mit seltenen Erkrankungen sind sie oft die einzige Hoffnung auf Heilung.
Zudem wirken sie wie ein wirtschaftlicher Katalysator: Studien entlasten die Gesundheitssysteme, reduzieren Arzneimittelausgaben und locken forschende Unternehmen auf den Kontinent. Doch trotz dieses Potenzials wird Europa zunehmend abgehängt. Während die Anzahl globaler klinischer Studien in den letzten zehn Jahren um 38 % gestiegen ist, hat sich der Anteil Europas nahezu halbiert.
Einst Vorreiter – jetzt Nachzügler: Europas dramatischer Rückfall
Laut Daten des Gesundheitsforschungsinstituts IQVIA fiel der Anteil Europas an weltweiten klinischen Studien von 25 % im Jahr 2013 auf nur noch 19 % im Jahr 2023. Besonders beunruhigend: Bei kommerziellen Studien, also jenen mit direktem Einfluss auf die Markteinführung neuer Medikamente, liegt der Rückgang sogar bei 10 Prozentpunkten – von 22 % auf 12 %.
Zur gleichen Zeit verzeichnete China ein explosives Wachstum: Seit 2018 hat sich die Zahl der Studien dort verdoppelt – sie machen mittlerweile 18 % des weltweiten Volumens aus. Die USA bleiben indes das dominante Forschungszentrum – Europa verliert auf beiden Fronten.
Fragmentierung, Bürokratie, Investitionsschwäche: Europas selbstverschuldete Krise
Der Rückstand Europas ist kein Schicksal – er ist das Ergebnis politischer und struktureller Fehlentscheidungen.
Ein zersplittertes Regulierungsumfeld, nationale Sonderwege trotz bestehender EU-Vorgaben und bürokratische Hürden schrecken Investoren ab.
Zwar gibt es positive Ausnahmen: Dänemark, Belgien und in jüngster Zeit Spanien zeigen, dass Reformwille Wirkung zeigt. Doch viele Länder – darunter auch Litauen – verpassen den Anschluss. Dort sank die Zahl der klinischen Studien seit 2018 um 7,6 %, die Aufnahme innovativer Arzneimittel in Erstattungslisten verzögert sich im Schnitt um 794 Tage – 17-mal länger als in Deutschland.
Weg zurück zur Führungsrolle: Was Europa jetzt tun muss
Wenn Europa wieder zum globalen Motor für pharmazeutische Innovation werden will, braucht es mehr als politische Willensbekundungen. Es braucht strukturelle Reformen – schnell und entschieden.
Kernforderungen aus Industrie und Forschung:
- Vereinheitlichung der Prüfprozesse für klinische Studien auf EU-Ebene
- Abschaffung nationaler Sonderregelungen über die EU-Clinical-Trial-Verordnung hinaus
- Standardisierung von Verträgen und Bewertungsverfahren
- Beschleunigung der Ethikprüfungen und Zulassungsprozesse
- Grenzüberschreitender Zugang zu Studien für Patienten in ganz Europa
- Stärkung öffentlich-privater Partnerschaften zur Etablierung von Exzellenzzentren
- Bessere Integration von Studien in den klinischen Alltag
Europa darf nicht länger zuschauen, wie andere Regionen mit staatlich geförderten Innovationsprogrammen Investitionen anziehen, während hierzulande selbst tragfähige Strukturen erodieren.
Litauen: Zwischen Potenzial und politischer Lähmung
Litauen liegt mit Platz 11 bei klinischen Studien pro Kopf nicht schlecht. Doch strukturelle Hindernisse – von chronischer Unterfinanzierung bis zu ineffizienten Entscheidungswegen bei der Erstattung innovativer Arzneien – bremsen das Land aus.
Von 167 innovativen Arzneimitteln, die zwischen 2019 und 2022 von der EMA zugelassen wurden, waren in Litauen nur 14 für Patienten über die Erstattung zugänglich. Ein Armutszeugnis – für die Politik und für das Gesundheitssystem.
Fazit: Europas Rückkehr zur pharmazeutischen Souveränität ist möglich – wenn der Wille da ist
Wenn Europa seine Abhängigkeit von externen Innovationszentren überwinden will, führt kein Weg an einer Neuausrichtung vorbei. Die politischen, wirtschaftlichen und ethischen Argumente liegen auf dem Tisch.
Jetzt ist die Zeit zu handeln.
Denn während Europa reformiert, forscht man andernorts längst an den Therapien von morgen.