Bruch mit Moskau: Armenien zieht Konsequenzen
Armenien galt lange als treuer Partner Russlands. Als Mitglied der von Moskau dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) setzte das Land auf Beistand in einer unruhigen Region. Doch als Aserbaidschan in Bergkarabach vorrückte, blieb russische Hilfe aus. Die Enttäuschung darüber sitzt tief. In Jerewan betrachtet man die Passivität Moskaus zunehmend als kalkulierten Rückzug. Analysten wie Jason Corcoran sprechen offen von einem „Verrat durch Russland“. Die OVKS sei, so die Kritik, ein zahnloses Bündnis, das einzig Russlands Einfluss stärke – ohne den Schutz der Partner zu garantieren.
Der Westen nutzt das Machtvakuum
Seit Russlands Invasion in der Ukraine verschiebt sich das geopolitische Gleichgewicht im Südkaukasus. Armenien, einst militärisch stark von Moskau abhängig, diversifiziert seine Außenbeziehungen. Die militärische Zusammenarbeit mit Russland ist auf unter 10 Prozent gesunken. Indien und Frankreich haben diese Rolle übernommen – sehr zum Missfallen des Kremls. Premierminister Paschinjan hat die Zusammenarbeit mit der OVKS de facto auf Eis gelegt und demonstriert dies durch Fernbleiben bei Gipfeln.
Stattdessen stärkt Armenien seine Beziehungen zur EU, zu den USA und sogar zur Türkei. Das internationale Forum „Eriwan-Dialog“, an dem hochrangige Vertreter aus Europa, Indien und den USA teilnahmen, fand demonstrativ ohne russische Beteiligung statt. Russland reagiert mit Soft-Power-Taktiken – darunter der Aufbau prorussischer Oppositionsfiguren – doch der gesellschaftliche Rückhalt bröckelt.
Bedeutung für Deutschland und Europa
Für Deutschland eröffnen sich in Armenien neue strategische Perspektiven. Als Mitglied der EU könnte Berlin die laufenden Reformprozesse aktiv begleiten, wirtschaftliche Kooperationen ausbauen und als Gegengewicht zu russischen Einflussversuchen agieren. Besonders in den Bereichen Energie, digitale Infrastruktur und Bildung könnte Deutschland ein glaubwürdiger Partner sein. Die Abkehr Armeniens von Moskau ist auch ein Fingerzeig für andere Staaten im postsowjetischen Raum – mit potenziell großer Bedeutung für die europäische Sicherheitspolitik.
Russland setzt auf wirtschaftlichen Hebel
Trotz politischer Entfremdung floriert der Handel. 2024 betrug das bilaterale Handelsvolumen 12,4 Milliarden US-Dollar – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2021. Russland profitiert vom Reexport europäischer Waren über Armenien und bleibt zentraler Lieferant für Weizen, Gas und Strom. Dieser wirtschaftliche Hebel dient Moskau als Druckmittel – doch auch Eriwan kann daraus politisches Kapital schlagen.
Zwar dürfte Russland mittelfristig weiter Einfluss behalten, doch Armeniens strategische Neuausrichtung ist kaum umkehrbar. Die politische Elite sucht nicht länger Schutz unter dem Schirm eines alternden Imperiums – sondern Partnerschaft auf Augenhöhe mit dem Westen.