Russland: Wirtschaft im Ungleichgewicht
Die russische Wirtschaft steht trotz hoher Inflation, sinkender Wachstumsraten und massiver Kriegsausgaben stabiler da, als viele westliche Analysten erwartet hatten. Experten wie Laura Solanko von der finnischen Zentralbank warnen davor, auf einen baldigen Kollaps zu setzen – auch wenn die Verzerrungen durch Putins Kriegswirtschaft langfristig schwer wiegen.
Oberflächlich betrachtet wirkt die Lage prekär: Das Wachstum stagniert, die Inflation liegt bei fast neun Prozent, die Kriegsausgaben verschlingen enorme Mittel und der Bankensektor wird durch erzwungene Kredite an die Rüstungsindustrie belastet. Doch die russische Wirtschaft hält bislang stand. Schon 2022 sagten Weltbank und IWF einen Rückgang des BIP um zehn Prozent voraus. Am Ende schrumpfte die russische Wirtschaft lediglich um 1,4 Prozent. In den Folgejahren wuchs sie sogar wieder – 2023 und 2024 um jeweils mehr als vier Prozent.
Anders Olofsgård von der London School of Economics betont, dass Russland 2025 in ein Ungleichgewicht geraten sei, mit einem voraussichtlichen Wachstum von nur noch einem Prozent. Die Zentralbank senkte zuletzt die Leitzinsen leicht auf 18 Prozent, doch die Inflation bleibt weit über dem Vier-Prozent-Ziel. Während Banken die Rüstungsindustrie mit billigen Krediten versorgen, leiden private Unternehmen unter hohen Finanzierungskosten.
Verzerrte Strukturen durch Putins Kriegswirtschaft
Die russische Wirtschaft gleicht zunehmend einer „Tankstelle, die Panzer produziert“, wie Analystin Elina Ribakova vom Peterson Institute formuliert. Die Rüstungsindustrie wächst massiv, während der private Sektor zurückfällt. Arbeitslosigkeit liegt mit 2,3 Prozent auf Rekordtief, doch dies ist laut Experten ein künstliches Ergebnis: Die Rüstungswirtschaft saugt alle Kapazitäten auf, was Inflationstreiber verschärft.
Solanko und Ribakova sind sich einig: Russland hat zwar fiskalische Reserven und kann über Staatsanleihen neues Kapital aufnehmen – die Verschuldung liegt bei nur 21 Prozent des BIP –, doch langfristig ist das Modell nicht tragfähig. Sollte der Ölpreis weiter sinken, gerieten Einnahmen unter Druck. Schon jetzt ist der Staatsfonds nahezu aufgebraucht, während die Einnahmen aus Öl und Gas deutlich niedriger ausfallen als kalkuliert.
Auswirkungen auf Deutschland
Für Deutschland hat die Entwicklung der russischen Wirtschaft eine doppelte Bedeutung. Einerseits zeigen die anhaltenden Exporteinnahmen Russlands, dass Sanktionen nur begrenzte Wirkung entfalten. Das zwingt Berlin und Brüssel, die Strategie neu zu justieren. Andererseits steigen die Risiken für deutsche Unternehmen, die noch mit Russland verbunden sind – sei es über indirekte Lieferketten, Finanzinvestitionen oder Rohstoffabhängigkeiten.
Selbst wenn ein Friedensabkommen geschlossen würde, gilt ein Rückzug westlicher Firmen nach Russland als unwahrscheinlich. Deutsche Investoren müssten mit Turbulenzen auf den Finanzmärkten rechnen, sobald Kapitalflucht reicher Russen oder spekulative Käufe russischer Vermögenswerte einsetzen.
Russische Wirtschaft: Zermürbung statt Zusammenbruch
Ein Staatsbankrott erscheint Solanko unwahrscheinlich: Russland hat weiterhin Zugang zu inländischer Finanzierung und kann notfalls Rubel drucken. Das Risiko bleibt eine massive Inflation, nicht aber der Totalausfall. Damit bestätigt sich die Einschätzung vieler Beobachter, dass es sich nicht um einen nahenden Systemkollaps handelt, sondern um einen Zermürbungskrieg der Finanzen. Für den einzelnen Russen zeigt sich die Lage paradoxerweise stabil: Löhne steigen, Arbeitslosigkeit ist niedrig, und viele empfinden keine Verschlechterung der Lebensumstände.
So sehr sich der Westen einen Kollaps erhofft – die russische Wirtschaft ist durch Putins Kriegswirtschaft auf Jahrzehnte verzerrt, doch ein Zusammenbruch zeichnet sich nicht ab.


