Grenzenlose Freundschaft? Warum die China-Russland-Allianz bröckelt
Chinas Präsident Xi Jinping prahlte kürzlich lautstark mit Pekings Beziehungen zu Moskau und Pjöngjang – Länder, die westlichen Sanktionen unterliegen und beide in Kriege verwickelt sind. Zwar betonen Experten, dass Pekings Interessen näher an Moskau und Pjöngjang gerückt seien, doch die demonstrierte Freundschaft sei vor allem der Wille, Washington eins auszuwischen, und keine echte strategische Partnerschaft. „China arbeitet sehr vorsichtig mit diesen beiden Ländern zusammen. Auch wenn der Westen sie bereits eilig als Alliierte bezeichnet, steht China nicht im selben Lager. Seine Haltung zum Krieg und zu Sicherheitsfragen unterscheidet sich deutlich von der der beiden anderen“, versuchte Tang Xiaoyang, Leiter des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen an der Tsinghua-Universität in China, im Wall Street Journal zu betonen.
Doch wie westliche Diplomaten und China-Experten feststellen, verringert sich der Abstand zwischen Pekings Zielen und den Bestrebungen seiner Juniorpartner sichtbar. Wie schnell und in welchem Umfang diese Widersprüche gelöst werden, wird die Ordnung des internationalen Systems bestimmen – jenes Systems, das US-Präsident Donald Trump ins Wanken gebracht hat, indem er Washingtons Bündnisnetzwerk in Asien und Europa zerstörte. „Angetrieben vom immer intensiveren Wettbewerb zwischen China und den USA will Peking zeigen, dass es im Gegensatz zu Amerika, das seine Verbündeten zurückstößt, viel besser darin ist, Freunde um sich zu scharen. China sieht eine Gelegenheit, seine Führungsrolle zu festigen, während die USA ihre internationale Autorität schwächen“, erklärte Tong Zhao, Analyst bei der Denkfabrik Carnegie China.
Die gegenwärtige Unordnung in Washington und die Uneinigkeit unter den Demokratien verschaffen China eine einzigartige Chance. Doch zumindest bislang haben die Beziehungen zwischen China und Russland, auch wenn sie als „grenzenlos“ deklariert werden, in Wirklichkeit sehr wohl Grenzen.
Weder Russland noch China wollen sich in einen großen Krieg hineinziehen lassen, an dem auch die jeweils andere Seite beteiligt wäre. „Wenn China zum Beispiel wegen Taiwan mit den USA Krieg führen würde, glaube ich nicht, dass Russland zur Hilfe käme. China und Russland sind gute Partner, aber das ist auch alles. Sie werden niemals zu Alliierten werden“, erklärte Xinbo Wu, Dekan des Instituts für Internationale Studien an der Fudan-Universität in Schanghai.
Chinesische Beamte betonen, dass Peking Russlands Ansprüche auf ukrainisches Territorium nicht anerkenne und auch Nordkoreas Teilnahme am Krieg nicht billige. Doch die Realität sieht etwas anders aus – auch wenn die Rhetorik in dieser Frage zurückhaltend ist, befähigt China Russland, Krieg zu führen: sowohl durch den Ausbau der Handelsbeziehungen als auch durch den Verkauf von für Waffen nötigen Komponenten. „Vor allem Kim Jong Uns Teilnahme an der Parade in Peking war ein Signal, dass China Putin und Russlands Krieg gegen die Ukraine tatsächlich unterstützt. Die Tatsache, dass Kim Jong Un seine Soldaten schickt, um in der Ukraine zu kämpfen, hat China keinerlei ernsthafte Unannehmlichkeiten bereitet. Die Einladung des nordkoreanischen Diktators zur Parade war wie ein ausgestreckter Mittelfinger an die demokratischen Westmächte – ein Signal, dass es uns völlig egal ist, was ihr für inakzeptabel haltet“, erklärte Steve Tsang, Direktor des China-Instituts der SOAS-Universität in London.
Unterstützung und Distanz zugleich
Chinas Armee lernt aus Russlands Erfahrung im Kampf gegen westliche Waffensysteme in der Ukraine. Manche westliche Offizielle sagen sogar, dass China stillschweigend Nordkoreas Beteiligung am Krieg gebilligt habe, damit Pjöngjang sein Waffenarsenal modernisieren und erneuern könne – ein Vorteil für Peking, falls es zu einem Krieg mit dem Westen an mehreren Fronten kommen sollte.
Auch wenn Chinas wirtschaftliche Beziehungen zu Nordkorea unbedeutend sind, belief sich der bilaterale Handel zwischen Russland und China im vergangenen Jahr auf 245 Milliarden US-Dollar. Fast der gesamte russische Export besteht aus Öl, Gas und Rohstoffen, während China Industrieprodukte liefert – darunter auch essenzielle Komponenten für Russlands Rüstungsindustrie.
Pekings Beziehungen zu Moskau sind nicht kostenlos: Chinas Verhältnis zu den meisten europäischen Staaten – für Peking ein weitaus wichtigerer Technologie- und Handelspartner – hat unter der Unterstützung für Russlands Krieg gelitten. Daher finden Experten bisher keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob China tatsächlich einen russischen Sieg im Krieg gegen die Ukraine wünscht. „Wenn Russland gewänne, wäre das für China ein noch größeres Problem als jetzt, wo es kämpft. Russland wäre dann viel weniger abhängig von Chinas Wirtschaft. Und wenn Donald Trumps derzeit geführte Republikaner im Weißen Haus blieben, hätte Russland bessere Chancen, sich mit Washington zu versöhnen – etwas, das China mit Sicherheit beunruhigen würde“, erklärte Shi Yinhong, Professor an der Renmin-Universität in China.
Westliche Experten sind überzeugt, dass Xi Jinping mit der öffentlichen Show, bei der er Putin und Kim Jong Un an seine Seite setzte, eine klare Botschaft gesendet hat. „Xi Jinping versucht, Chinas Rolle in der internationalen Arena hervorzuheben. Das signalisiert der ganzen Region deutlich, dass China zu einer Großmacht geworden ist und nicht zurückweichen wird“, sagte Jonathan Czin, Analyst beim Brookings Institute, gegenüber CNN.
Laut Tong Zhao vom Carnegie Endowment for International Peace verfolgt Chinas Präsident eine politische Linie, die darauf abzielt, die Führungsrolle der USA zu diskreditieren, den westlichen Zusammenhalt zu schwächen und China als verlässliche Alternative zu positionieren.
Darüber hinaus, konfrontiert mit der schwierigen Lage der chinesischen Wirtschaft und dem schmerzhaften Handelskrieg mit den USA, war die Parade auch eine Gelegenheit für Xi, den Nationalismus zu schüren und – wie manche Analysten meinen – die Aufmerksamkeit von inneren Problemen abzulenken. „Solche Veranstaltungen sind nie dazu gedacht, Brücken zu bauen. Sie dienen eher dazu, politisches Theater zu inszenieren und die eigene Version der Geschichte zu erzählen“, erklärte Yu Jie, Expertin der Denkfabrik Chatham House.
Ein misstrauischer Blick über die Schulter
Einige Analysten mahnen, die Freundschaft der sogenannten Achse des Bösen nicht zu überschätzen. Sie werde durch interne Streitigkeiten der drei Staaten belastet; der Propagandaeffekt könne größer sein als die reale Bedrohung für die regelbasierte internationale Ordnung. Nach Ansicht von Yu Jie tut China nur so, als ob es enge Beziehungen zu Russland pflege, um dem Druck der USA und anderer westlicher Staaten standzuhalten. China sagt, seine Beziehungen zu Russland seien „grenzenlos“, doch in der Praxis zögere es ständig und blicke misstrauisch über die Schulter – aus Furcht vor möglichem Druck der EU und der NATO, ist ein Experte überzeugt.
Minxin Pei, Professor am McKenna College in Claremont, USA, der autoritäre Systeme analysiert, nennt weitere Unterschiede zwischen Peking und Moskau, die einen besonderen Bündnisstatus verhindern werden. „Vergangene Konflikte, Machtunterschiede, gegenseitiges Misstrauen und geografische Nähe werden langfristig unvermeidlich Reibungen verursachen. Tatsächlich trennen die beiden autoritären Staaten schon jetzt unterschiedliche Zukunftsvisionen“, erläutert Pei.
Der Experte betont jedoch, dass beide Länder derzeit kurzfristig denken – insbesondere der Kremlchef. „Für Putin bleibt derzeit nichts anderes übrig, als kurzfristig zu denken: Eine Niederlage in der Ukraine würde seine Herrschaft existenziell gefährden. Deshalb hat er allen Grund, Druck auf China auszuüben, um mehr militärische Unterstützung für seinen Krieg zu erhalten“, sagte Minxin Pei.
Moskau unter Druck, Peking auf Distanz
Alexander Gabuev von der Denkfabrik Carnegie ist überzeugt, dass die strategische Partnerschaft zwischen China und Russland nicht gleichwertig ist. „Derzeit brauchen beide Seiten einander, aber die Lage wird zunehmend asymmetrisch zugunsten Chinas. Peking ist nicht nur der stärkere Partner, sondern hat auch weitaus mehr Optionen als Moskau – und der Krieg hat dies noch verschärft. Russland steckt nun in der Rolle eines Vasallen Chinas fest“, erklärte Gabuev.
Hinzu kommt, dass auch russische Nationalisten immer lauter gegen die Abhängigkeit von China wettern. Angesichts der dünn besiedelten Fernostregionen Russlands, die an die riesige chinesische Bevölkerung grenzen, warnen nationalistische Kommentatoren, dass die Chinesen ihre „verlorenen Territorien“ nicht vergessen hätten und zweifellos auf Russlands billige Energie und Rohstoffvorkommen aus seien. „Die Vorstellung, dass Russlands Zukunft nach den Bedingungen Chinas gestaltet werden könnte, empört auch die politische Elite des Landes. Zudem gefällt China die russische Zukunftsvision nicht, denn Peking will sich als technologische Macht und wirtschaftliches Rückgrat der Welt etablieren – nicht Teil eines isolierten, bewusst destabilisierenden Bündnisses fragwürdiger Akteure werden“, erklärte Ruby Osman, leitende Politikberaterin am Tony Blair Institute für Chinafragen.
Da China es sich nicht leisten kann, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen abzubrechen, muss Peking weiterhin vorsichtig abwägen, wie viel und welche Art von Hilfe es Putin tatsächlich leisten kann. Doch während Donald Trump die etablierten Allianzen zerreißt, sieht Peking die Gelegenheit, Washington eins auszuwischen – und nutzt sie geschickt.

